Ausgesetzt oder Der Kampf mit einer längst vergessenen Krankheit. Evelyne Leandro

Ausgesetzt oder Der Kampf mit einer längst vergessenen Krankheit - Evelyne Leandro


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      Evelyne Leandro

      Ausgesetzt

      oder

      Der Kampf mit einer

       längst vergessenen Krankheit

      Ein Tagebuch aus dem heutigen Berlin

      Copyright © 2014, Evelyne Leandro

       Alle Rechte vorbehalten

      Kontakt:

       www.facebook.com/EinTagebuchAusBerlin

      Übersetzung aus dem Portugiesischen:

       Burkhard Puwalla

      Lektorat:

       Alfred Cordes, Osnabrück

       www.alfred-cordes.de

      Umschlagbild:

       Sibylle Cordes & Evelyne Leandro

      Umschlagdesign:

       Giannina Mihalic, Berlin

      published by:

       epubli GMBH, Berlin

       www.epubli.de

       ISBN 978-3-7375-1405-7

      Wir danken für die Unterstützung durch

       CIOMAL, Genf

       und

       DAHW, Würzburg

      Ich verbiete dir, eine Kirche, ein Kloster, einen Jahrmarkt, eine Mühle,

       einen Markt oder eine Versammlung von Menschen zu besuchen.

      Ich verbiete dir, dein Haus ohne die dich ausweisende Kleidung

       und ohne Schuhe zu verlassen.

      Ich verbiete dir, deine Hände oder andere Sachen an einem Fluss

       oder einer Quelle zu waschen oder daraus zu trinken,

       es sei denn, du benutzt eine eigene Schöpfkelle.

      Ich verbiete dir, bei einem Kauf oder Tausch etwas zu berühren

       bevor es dein Eigentum ist.

      Ich verbiete dir, ein Gasthaus zu betreten;

       und wenn du Wein kaufst oder angeboten bekommst,

       muss er in dein eigenes Gefäß gefüllt werden.

      Ich verbiete dir, dein Haus mit einer anderen Frau

       als deinem Weib zu teilen.

      Solltest du auf der Straße angesprochen werden, so befehle ich dir,

       dich windabwärts zu stellen bevor du antwortest.

      Ich verbiete dir, enge Gassen zu betreten,

       um ungewollte Berührungen mit Bürgern zu vermeiden.

      Ich verbiete dir, den Rand oder das Seil eines Brunnens zu berühren,

       es sei denn, du trägst Handschuhe.

      Ich verbiete dir, Kinder zu berühren

       oder ihnen etwas mit der Hand zu reichen.

      Ich verbiete dir, aus einer anderen Schüssel als deiner eigenen

       zu essen oder zu trinken.

      (Mass of Separation. England, 13. Jahrhundert)

      Inhalt

       Prolog

       Ausgesetzt

       Berlin Calling

       Leben auf der Achterbahn

       Summer in the City

       Nächster Halt: Würzburg

       Prosit Neujahr

       Rehabilitation

       365 Tage danach

       Epilog

       Über die Krankheit

      »Auch wenn es scheint, dass alles zusammenbricht, liegt es an mir, mich zu entscheiden zwischen Lachen oder Weinen, Weitergehen oder Stehenbleiben, Aufgeben oder Kämpfen; denn ich habe auf dem ungewissen Weg des Lebens entdeckt, dass das Wichtigste das Entscheiden ist.«

      Dieser Satz der brasilianischen Dichterin Cora Coralina hat mich begleitet und ermutigt, als ich den Weg antreten musste, von dem ich nicht ahnen konnte, wie lang und beschwerlich er werden würde. Er hat mir mein Lachen erhalten und mich auf diesem Weg geleitet. Denn ich hatte viele Entscheidungen zu treffen. Dieser Satz hat bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren, mehr noch: er hat sich in mir bewiesen und ich werde ihn für den Rest meines Lebens in mir tragen.

      Dieses Buch ist eine Erinnerung, ein Tagebuch aus Vergangenheit und Gegenwart und in gewisser Weise bin ich Cora Coralina, die ihre Geschichte im Laufe dieser unbegreiflichen Zeit erzählen wird. Zunächst sei nur so viel gesagt: ich bin eine Brasilianerin, die seit etwas mehr als zwei Jahren in Berlin lebte, als sie im Januar 2012 von einer Krankheit überfallen wurde, die niemand mehr in Europa erwartet: die Hansen-Krankheit.

      In Deutschland besser bekannt als Lepra.

      Von Anbeginn wollte ich nicht zulassen, dass diese Krankheit mein Leben zerstört oder mich daran hindert, das zu erreichen, was ich erreichen will. Denn ich will meinen Weg fortsetzen. Dieser Weg ist lang, schmerzhaft und manchmal auch einsam. Ich möchte meine Geschichte zu etwas Greifbarem werden lassen. Etwas, das mir irgendwann erlaubt, das Buch zu schließen und sagen zu können: »Ich habe gesiegt!«

      Denn, wie mir mein Onkel schrieb: »Es ist nicht der Pausenhof, auf dem wir lernen.«

      Ohne zu ahnen, dass ich eine Krankheit in mir trug, flüsterte mir das Universum eine Idee zu. Ich, die immer Lust hatte, ein Buch zu schreiben und häufig etwas angefangen hatte, ohne es zu Ende zu führen, hatte einen Geistesblitz, als ich in einem Papiergeschäft ein wunderschönes Tagebuch sah: ein Buch in Form eines Tagebuches zu schreiben, über eine Frau, die für einige Tage in einem Krankenhaus interniert ist.

      Die Geschichte würde aus der Perspektive der Patientin erzählt werden, über ihre Gefühle und Empfindungen, ihre Anpassungsprobleme, ihren emotionalen Zustand, über die Personen in ihrem Umfeld, ihre Kommunikation mit der Umwelt, ohne notwendigerweise die Krankheit in den Vordergrund zu stellen. Die Krankheit würde nur ein Anlass für die Geschichte sein. Sie wäre nebensächlich.

      Diese Idee ging mir nicht mehr aus dem Kopf, bis ich, zwei Wochen später, entdecken musste, dass es sich bei dieser kranken Frau um mich selbst handelte. Ich lachte über die Ironie des Schicksals, lachte darüber, wie mir das Universum ins Gesicht grinste. Bevor ich also wusste, dass ich krank war, keimte schon die Idee in meinem Kopf. Und seitdem geht sie nicht mehr fort.

      Die Geschichte basiert auf realen Tatsachen, hält sich aber nicht notwendigerweise minutiös an sie. Einige Momente habe ich nicht mehr in Erinnerung und andere werde ich aus verständlichen Gründen weglassen oder ein wenig schönfärben müssen. Nennen wir es so: Das Leben nach dem Aufprall. Über alle die Zufälle, die kommen werden. Oder sollte ich besser Vorsehung sagen? Ergänzend zu meinem Tagebuch werde ich Mails von meinen


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