In den Fängen der Stasi. Ellen G. Reinke

In den Fängen der Stasi - Ellen G. Reinke


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      In den Fängen der Stasi

      Autobiographie einer Ärztin

      Copyright: © 2009 Ellen G. Reinke

      Umschlagsgestaltung: R. Pernsteiner / Bildmotiv: Fotolia

      published by epubli GmbH, Berlin

       www.epubli.de

      ISBN 978-3-86931-722-9

      Dieses Buch ist meiner Tochter und meinem Enkelsohn gewidmet

      Warum ich dieses Buch geschrieben habe

      Dieses Buch basiert auf Tatsachen. Lediglich Personen sind teilweise entfremdet und Namen frei erfunden.

      Mein Anliegen ist es, als Zeitzeuge, 20 Jahre nach dem Mauerfall und später anhand eigener Erlebnisse, die ich und meine Familie in der DDR durchleben mussten, ein Bild zu verschaffen über den so genannten Arbeiter und Bauernstaat, der mit menschenverachtenden Methoden versucht hat, seine Macht zu erhalten.

      Ich wende mich in erster Linie an die heranwachsende Generation, um zu veranschaulichen, wie ein Leben in der DDR verlief, wie allgegenwärtig die Stasi war, welche Macht sie hatte und wie sie ihre Ziele über Jahrzehnte verfolgte. Die jungen Leute sollen erkennen, welchen Stellenwert die einzelnen Menschen in diesem System hatten und was in ihnen vorging.

      Ich möchte aber auch der Generation, die zur Zeit des DDR Regimes in der freien Welt sorglos leben konnte, vor Augen führen, wie skrupellos die Stasi in die Intimsphäre ihrer Brüder und Schwestern jenseits der Mauer eingegriffen hat und zeigen, welchem Psychoterror diese ausgesetzt waren.

      Nicht zuletzt wende ich mich an die Mitmenschen, die in der DDR gelebt haben, besonders aber diejenigen, die unzufrieden sind und am liebsten die Mauer oder - noch schlimmer! - die Stasi wiederhaben möchten, die inzwischen vergessen zu haben scheinen, wie rücksichtslos die „Diktatur des Proletariats“ war und wie das Volk sich nach Freiheit gesehnt hat. Diese Menschen, selbst wenn sie nicht unmittelbar betroffen waren, möchte ich daran erinnern, wie unmenschlich das System war.

      1. Medizinerfasching

      Februar 1967, ein Tag wie jeder andere, oder doch nicht?

      Noch ahnte ich nicht, dass an diesem Tag eine Wende in meinem Leben eingeleitet werden sollte. Es war Medizinerfasching im Parkhotel Weißer Hirsch in Dresden.

      Bisher hatte ich keinen Faschingsball auslassen können. Und so war ich auch in diesem Jahr längst im Besitz einer der nicht nur bei Medizinern sehr begehrten Eintrittskarten. Längst hatte es sich in ganz Dresden herumgesprochen, dass beim Medizinerfasching so richtig die Post abgeht. Aber ich hatte absolut keine Lust, hinzugehen. Ich versuchte, vormittags im Hörsaal und mittags in der Mensa, die Karte loszuwerden. Doch es war wie verhext. Keiner wollte sie, zu kurzfristig. Noch vor ein paar Tagen hätte man sie mir aus den Händen gerissen.

      Zu Hause relaxte ich etwas und überlegte: Gehe ich hin oder gehe ich nicht. Ich hatte kürzlich eine Beziehung abgebrochen, war ungebunden, beste Voraussetzungen, sich zum Fasching richtig amüsieren zu können. Warum also nicht? Nein, eigentlich war mir gar nicht danach. Aber es tut doch gut, sich mal richtig austoben zu können. Hatte ich mich nicht schon genügend ausgetobt? Spaß kann man nie genug haben. Man kann aber auch vernünftig sein.

      Was also tun?

      Ich ging meinen Gedanken nach: Mein Leben war bisher ziemlich normal verlaufen. Den Bombenangriff auf Dresden habe ich als Zweijährige nicht bewusst erlebt. Und dass wir zunächst zu fünft in der Zweizimmerwohnung meiner Oma hausten, hatte ich nur noch in dunkler Erinnerung. Die Gründung der DDR fiel mit meiner Einschulung 1949 zusammen. Als ich 1950 meine Tante in der Bundesrepublik besuchte, beneidete ich zwar die Menschen, denen es wesentlich besser als uns ging, aber ich nahm es als gegeben hin. Den 17. Juni 1953, jenen denkwürdigen Tag der Zerschlagung des Volksaufstandes, habe ich wohl bewusst erlebt und als ungerecht empfunden, aber man hatte mich schon Schweigen gelehrt. Ich wollte weder meine Eltern noch meine Zukunft gefährden. Natürlich bin ich auch Junger Pionier gewesen. Wer wäre denn ohne Halstuch zur Oberschule, so hieß in der DDR das Gymnasium, zugelassen worden. Schon meine Konfirmation 1957 war ein Hinweis für keine rechte Linientreue. Dennoch hatte ich das Glück, die relativ konservative Kreuzschule in Dresden besuchen zu dürfen, an der auch die Chorknaben des weltberühmten Dresdener Kreuzchors unterrichtet wurden. Zwei Monate vor dem Mauerbau bestand ich das Abitur, die Reifeprüfung, und war inzwischen reif genug, um abwägen zu können. Wie alle meiner Mitschüler wollte ich weiterkommen. So war ich auch egoistisch genug, kein Märtyrer sein zu wollen. Als am 13. August 1961 der „Antifaschistische Schutzwall“, so nannte man die Mauer offiziell, errichtet wurde, brach in vielen Menschen die Hoffnung zusammen, ihr Leben irgendwann in Freiheit fortsetzen zu können. Ich war eine von den Vielen. Hier in der DDR waren wohl die Gedanken frei, aber man lebte in ständiger Angst, sie doch einmal ungewollt oder aber dem Falschen zu äußern. Und das konnte leicht geschehen. Viele Stasileute gaben sich als Andersdenkende aus und schimpften über den Staat, nur um ihr Gegenüber auszuhorchen. Die Partei musste sich doch ein Bild über die Volksmeinung schaffen. Natürlich trug ich wie die anderen das Blauhemd. Wie hätte man eine Zulassung zum Studium erhalten können, wenn man nicht in der FDJ gewesen wäre. Ich wollte auf jeden Fall studieren. Nach einem Praktischen Jahr im Krankenhaus begann ich mit dem Vorklinischen Studium an der Humboldt Universität in Berlin. Unser Anatomieprofessor wohnte in Westberlin und hatte sein Lehrbuch dort auch verlegt. Wer aber die Anatomieprüfung bestehen wollte, musste nach dem „Waldeyer“, wie der Name des Professors und des Buches lautete, lernen. In der Bibliothek gab es wohl zehn Exemplare dieses Lehrbuches, aber wir waren 625 Studenten! Wie mögen ca. 600 Studenten an einen „Waldeyer“ gekommen sein? Vor dem 13. August 1961, dem unvergesslichen Tag des Mauerbaus, hatten die Studenten nach Westberlin fahren und Blut spenden oder sich mit Nachtwachen im Krankenhaus die erforderlichen D-Mark für das Lehrbuch verdienen können. Aber jetzt? Offiziell besaß ja niemand Westverwandtschaft. Und falls es bekannt geworden ist, hatte er angeblich die Beziehungen abgebrochen. Für seine Verwandtschaft kann ja bekanntlich keiner etwas.

      Wer sich bei staatlichen Stellen beklagte, dass an einer Universität der DDR nach Lehrbüchern gelehrt wurde, die in diesem Staat nicht käuflich waren, erhielt zur Antwort, dass auch in der DDR Anatomiebücher verlegt würden. Dieser oder jener wagte wohl auch, andere Lehrbücher zu benutzen, aber das ging nicht gut aus. Ich habe selbst mit eigenen Augen gesehen, dass der allmächtige Herr Professor einem Studenten ein DDR-Anatomiebuch, den „Voss-Herlinger“, weggenommen und zerrissen hat. Ein Unding? Natürlich! Sich beschweren? Wäre möglich gewesen, aber nur wenn man sein Anatomiestudium hätte an einer anderen Universität fortsetzen wollen. Manchmal lässt man die Dinge besser wie sie sind.

      Man musste schweigen, auch über die Schreckensnachrichten von den Todesschüssen an der Mauer in unserer unmittelbaren Nähe. Damals waren es meist nur Stacheldrahtzäune. Aber auch wenn man schwieg, solche Untaten können niemals vergeben und erst recht nicht vergessen werden. Meine Freundin und ich lernten einmal beim Tanzen zwei nette Jungs, die wir aufgrund ihres Dialekts sofort als Landsleute identifizieren konnten, kennen. Wir vermuteten, dass sie Grenzsoldaten seien und ließen sie natürlich unsere Zurückhaltung spüren. Auf unsere Frage hin, ob sie auch auf Menschen schießen würden, erwiderten sie, was wir meinten, welche Wahl sie wohl hätten. Auch später haben wir noch oft an die armen Jungs und deren Gewissenskonflikte gedacht. Die wahren Täter waren doch diejenigen, die den Schießbefehl gaben, nicht die, die ihn ausführten. Mörder!

      Eine Erinnerung an ein weiteres Ereignis zeigt, wie marode das System war: Wir mussten jedes Jahr zu Beginn des Herbstsemesters zum Ernteeinsatz nach Mecklenburg fahren. Einmal waren wir in einer LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft), die einen Vorsitzenden hatte, der uns alle wie ein General herumkommandierte. Natürlich mochte ihn niemand. Am letzten Tag haben wir einen Schlafanzug mit Stroh ausgestopft und ihn in fröhlicher Runde im Lagerfeuer verbrannt. Selbst den dicken Bauch des LPG-Vorsitzenden hatte die Strohfigur. Einen Namen hat keiner genannt. Als wir dann wieder in Berlin waren, durften wir den Hörsaal nicht betreten. Jeder aus der Seminargruppe musste einzeln zum Verhör. Die Stasi war da und man unterstellte uns, wir hätten den Staatsratsvorsitzenden verbrannt. Wie schlimm musste das schlechte


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