So weit weg uns doch ganz nah. Eomée Wächter
aus, sieht einen Film an oder telefoniert. Doch ich fand Timo nicht vor. Der PC noch an, die Essensreste in einer Schüssel und Teller, ein Zustand also in seinem Zimmer, als würde er nur mal kurz rausgegangen sein und gleich wieder kommen. Die kleine rote Lampe brannte, die chinesische Lampe, die ich ihm aus einem Urlaub mal mitbrachte. Ich fühlte Timos Lebensenergie noch in diesem Raum, hoffte, dass ich doch endlich aufwachen werde, dass ich geschüttelt werde, weil ich vielleicht verschlafen habe. Doch niemand schüttelte mich, zwickte mich, es muss also stimmen, dass Timo nie mehr wieder zur Tür reinkommt, seinen PC anmacht, sich Filme ansieht oder hier mit seinen Freunden feiern kann?
Auf seinem kleinen Tisch standen noch Gläser und eine Hugo-Flasche. Ich erfuhr später, dass Timo abends, also am 2.11.13 noch Besuch bekam von zwei Schulfreundinnen. Die Julia wollte in ihren Geburtstag hinein feiern und sie überredeten Timo, doch mit in die Stadt zu kommen, obwohl er gar keine Lust mehr hatte, so die Aussage von Robin, als sie abends noch gemeinsam einkaufen waren. Timo wollte seinen Bruder nicht alleine lassen, schließlich hatte er ja nun die Aufsichtspflicht übernommen. Doch scheinbar waren die Überredungskünste doch stärker, denn Timo ging in Robins Zimmer und fragte ihn, ob er nochmal kurz in die Stadt kann. Robin macht sich noch heute Vorwürfe, wenn er doch nur nein gesagt hätte, dann …
All diese Energie lebte noch in diesem Raum, ich spürte sie sehr intensiv. Ich verließ Timos Zimmer, ohne irgend etwas anzurühren, ich ließ es so, wie er es verlassen hat, bis zu unserem Auszug am 1.2.14. Er ist nicht mehr nach Hause gekommen.
Die ersten Tage liefen automatisch wie ferngesteuert ab, ich konnte und wollte nichts denken, war auch unmöglich. Unser langjähriger Hausarzt kam auch sofort zu uns und gab mir und Robin eine homöopathische Notfallmedizin. Seine Worte werde ich nie vergessen. Er setzte sich zu uns aufs Sofa und sagte: „gehen Sie durch diesen Schmerz, erfühlen und durchleben sie ihn, ich gebe Ihnen nur diese homöopathischen Tropfen. Wenn ich Sie „zudröhne“, werden Sie Ihre Trauer nie richtig verarbeiten können. Ich weiß, wovon ich spreche“.
Mein Hausarzt verlor seine Frau an Krebs und musste mit zwei kleinen Jungen sein neuen lebbaren Weg finden. Ich vertraute ihm und immer noch. Er ist der beste Hausarzt, den man sich wünschen kann.
Herzlichen Dank, Dr. Günther, Sie sind uns ein guter Freund geworden. Sie haben sich mit mir gefreut, als Sie erfuhren, dass ich schwanger war mit Timo. Wir bekamen fast zeitgleich unsere Söhne und wenn ich in Ihrer Praxis war, redeten wir viel darüber. Ihre homöopathische Begleitung all die Jahre, die fürsorglichen Untersuchungen, die daraus entstandene freundschaftliche Arzt-Patient-Beziehung ist bis heute geblieben. Auch wenn ich jetzt noch in Ihre Gemeinschaftspraxis komme, werde ich begrüßt und von Ihrer lieben Arzthelferin, Frau Brettin, umarmt, willkommen geheißen. Das tut so gut zu wissen, dass man eine Anlaufstelle hat, wenn gar nichts mehr geht. Mein herzlichster Dank an Sie und Ihr Praxisteam.
Es wurde Nacht, es wurde sehr still im Wohnzimmer, alle gingen nach Hause nur Fabian, Halbbruder von Timo und Robin, blieb bei uns und das wochenlang. Ohne ihn wäre ich verloren gewesen, verloren in der Welt der Trauer, verloren in der Welt des Alltags. Ich war zu nichts fähig. Ich wollte auch in kein Zimmer mehr gehen auch nicht in meinem Schlafzimmer schlafen, ich fühlte mich allein. So beschlossen wir drei, uns es im Wohnzimmer mit Matratzenlager gemütlich zu machen. Dort lebten und schliefen wir eine ganze Weile, organisierten das Abschiednehmen von Timo, seine Abschiedsfeier im Sarg, seine Beerdigung in der Urne.
An dieser Stelle bedanke ich mich bei dir Fabian, auch wenn sich unsere Wege wieder getrennt haben, ich danke dir aus tiefstem Herzen, dass du für uns dagewesen bist, uns eine große Stütze und Berater warst, obgleich du selbst den großen Verlustschmerz deines Bruders verarbeiten musst. Ihr habt euch noch zuletzt in München beim Oktoberfest getroffen, Timo hat bei dir gewohnt, ihr hattet wundervolle super Tage in München verlebt, das verbindet.
Aber wie beerdige ich nun mein Kind? Diese Frage sollte sich NIEMALS eine Mutter stellen müssen. Ich habe die Looser-Karte gezogen und wurde herausgefordert, ging an meine Grenzen, schöpfte meine Energiereserven voll aus. Essensaufnahme war unmöglich, doch ich versprach meinem Hausarzt, wenigstens paar Datteln am Tag zu essen und viel zu trinken. Das nahm dann auch mein Magen an.
Am Schlimmsten war das nächtliche Einschlafen, da bekam ich eine kleine niedrig dosierte Einschlafhilfe. Ich ließ den Weihnachtsengel aus Halit-Salz ständig leuchten, er stand auf dem Tisch, Timos Bild daneben, ihn ständig betrachtend und ihn heimlich bittend, er möge nach Hause kommen, während ich versuchte, auf dem Sofa einzuschlafen.
Jedes kleine Geräusch ließ mich hochschrecken, es könnte doch Timo sein, der gerade die Haustüre aufsperrt und „Hi Mum“ ruft. Die Einschlafhilfe hat dann doch gewonnen und ich fiel in einen tiefen Schlaf.
Jeden Abend zündete ich draußen eine große Kerze an, vor der Kellertreppentür, die Timo doch den Nachhauseweg leuchten soll. Doch Timo kam nicht wieder ….
Fabian war unsere größte Stütze in dieser schweren Anfangszeit. Ich frage mich noch heute, woher er diese Energie nahm, diese Ruhe ausstrahlte, um mich und Robin für den schwersten Tag unseres Lebens vorzubereiten, die Beerdigung. Er fuhr uns zum Beerdigungsinstitut, wir redeten über Abschiedszeremonien, wie die Urne auszusehen hat vor allem standen wir vor der großen Frage. „wo wird Timos letzte Ruhestätte sein“?
Wir fanden nach langem Suchen eine schöne Stelle, ein Baumgrab sollte es werden. Ich erinnerte mich an ein Gespräch mit Timo, als wir von Röttenbach aus dem schönen alten Häuschen wegen Eigenbedarf des Mieters ausziehen mussten. Er fand ein Prospekt über Baumbestattungen und ich erklärte ihm, dass ich mir so etwas wünsche, wenn ich mal das Zeitliche segne. Er fand diese Idee gut und ich erklärte ihm, dass es an der Zeit ist, dass ich meinen letzten Willen aufsetze, damit er weiß, was zu tun ist, wenn ich gehe.
Nun ist es andersrum, ich musste Timo irgendwie und irgendwo begraben, mein eigenes Kind, welches in meinem Bauch heranwuchs, sein Strampeln ich oftmals an der Bauchdecke zu spüren bekam, mein Kind, das aus mir heraus gewachsen und geboren wurde, muss ich wieder zurückgeben in einer Urne … an Gott.
Ein Tag vor seinem Tod fragte mich Timo über whats app (ich war schon zur Kur), ob er eine „Homeparty“ Zuhause am 15.11.13 machen darf. Das war mir nur recht, wenn er Zuhause blieb bei seinem Bruder und stimmte dem zu. Ich bat ihn nur, zwei Zimmer abzuschließen, doch die Türschlüssel fand er nicht. Ich wollte es ihm noch schreiben, wo die Schlüssel zu finden sind, doch er antwortete mir: „das hat doch alles noch Zeit“ … das waren seine letzten Worte an mich ….
Was ich als Mutter immer versuchte einzuhalten waren die Versprechungen, die ich meinen Kindern gab. Wenn es mal nicht funktionierte, fand ich immer einen Weg, es nachzuholen. Somit versprach ich Timo an seinem Bild, eine Kerze anzündend, dass ich ihm seinen letzten Wunsch noch erfüllen werde. Ich werde seine Homeparty organisieren mit seinen Freunden.
Somit machten wir, Fabian, Robin und ich, uns ans Werk, suchten einen geeigneten Raum zum Feiern und einen Tag, an dem es stattfinden soll, an seiner offiziellen Beerdigung am 22.11.13, an John F. Kennedys 50igsten Todestag. Warum das Datum? Es hieß damals in den USA, dass ein Präsident dort einzieht, der den „heiligen Gral“ mitbringt. Das war die Verbindung von Timo zu ihm, Timos Abschiedsgedicht.
Zuvor war jedoch noch die Aussegnungsfeier mit Sarg angedacht. Es sollen seine Freunde und Lehrer, Bekannte und Verwandte sich auf eine besondere Art und Weise bei ihm verabschieden können.
Ich erinnerte mich an eine Situation, halbes Jahr zuvor, als die Erlanger Bergkirchweih zu Pfingsten stattfand. Mit Lederhosen und schicken karrierten Hemden machten sich die jungen Burschen auf den Weg zum Berg. Unterwegs war unser neu bezogenes Haus in Alterlangen eine willkommene Zwischenstation, um sich zu stärken für den weiteren „Kastenlauf“ zum Berg. So trafen einige Freunde bei uns ein und machten es sich in unserem kleinen Holzhäuschen gemütlich, feierten, lachten, tranken Bier, so wie es eben ist bei einer Kirchweih.
Einen Tag später ging ich in das Häuschen und es traf mich der Schlag. Der schöne Holztisch wurde bemalt, beschriftet mit Songs und Zitaten, sie hatten mächtig Spaß daran,die Buben. Und kurze Zeit später durften Timo und Jan diesen Holztisch abschleifen und neu versiegeln, unter sengender Hitze, mit Sonnenschirm als Schutz und kühlen