Maidan. Joachim Gerlach

Maidan - Joachim Gerlach


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wissen, wenn es uns gelingen sollte, bei nächstbester Gelegenheit unserer Angelegenheit einen solchen Stups zu verleihen und dann darauf zu achten, dass die einmal in Gang gesetzte Mühle auch in Bewegung bleibt, möglicherweise sich noch etwas schneller dreht.“

      Der Direktor nahm noch einen Schluck aus seinem Glas und kaute den Whiskey geradezu hinunter. Er war ein Genießer. Sein leises Kopfnicken verdeutlichte dem Präsidenten, dass er ihn verstand. So fuhr der fort:

      „Wir wissen auch, dass solche Anstöße nicht immer einer tatsächlich gegebenen Faktenlage entsprechen, was nicht heißen soll, dass wir bewusst lügen wollen. Manchmal sind uns bestimmte und nicht unwesentliche Objekte eben zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung nicht bekannt, das ist keinesfalls außergewöhnlich.“

      Claptons Kopfnicken bestätigte die Ausführungen des Präsidenten, welcher den Monolog weiter spann:

      „Und wir wissen auch, dass infolge, sagen wir einmal, Fehlinterpretation der Ausgangslage auch Maßnahmen festgelegt werden können, welche sich im Nachgang, moderat ausgedrückt, als eher ungünstig herausstellen und jede Menge Ärger nicht nur mit dem Ausland sondern auch im Inneren produzieren. Auch wenn in aller Regel diese Fehleinschätzungen erst Jahre nach der Folgeaktion offenbart werden und sich dann kaum noch, etwas brutal ausgedrückt, ein Schwein daran erinnert. Von einigen ewig misstrauischen, ewig besser wissenden und ewig meckernden Gutmenschen einmal abgesehen. Tonking und Grenada stehen dafür als Beleg.“

      Schluck, Kopfnicken, Clapton war mit den soeben genannten Belegen bestens vertraut: Ein Gerangel zwischen US-amerikanischen Marineeinheiten und ein angeblicher Torpedoangriff durch zwei nordvietnamesische Schnellboote im Golf von Tonking lösten im August 1964 das direkte Eingreifen der USA in den seit 1956 andauernden Vietnamkrieg aus und legalisierte nach der Beschlussfassung im US-Kongress alle Kriegsmaßnahmen der USA in Vietnam von 1965 bis 1973. Der rund zehn Jahre währende Konflikt richtete im Land eine ungeheure Verwüstung an und kostete zwei Millionen Vietnamesen und 55 Tausend US-Soldaten das Leben. Clapton wusste natürlich auch, dass es dabei nicht um den läppischen Zwischenfall in der Tonking-Bucht sondern um die Zurückdrängung des kommunistischen Einflusses im Weltmaßstab ging. Der Vorfall selbst wurde offiziell nie aufgeklärt. Am 25. Oktober 1983 starteten die USA mit der Organisation Ostkaribischer Staaten die Operation Urgent Fury, in deren Folge US-Truppen auf der kleinen Karibikinsel anlandeten und die linksorientierte Regierung unter Maurice Bishop gestürzt wurde. Die Operation wurde damit begründet, die Sicherheit US-amerikanischer Staatsbürger auf Grenada zu garantieren und den mit sowjetischer Hilfe vorangetrieben Bau eines Flughafens zu unterbinden. Der Flughafen sollte nach offiziellen Angaben der Regierung Bishop der touristischen Erschließung des Landes dienen, laut US-Propaganda stellte er eine strategische Bedrohung vor der eigenen Haustür dar. Auch dieser Konflikt, dessen war sich Clapton sehr wohl bewusst, fügte sich nahtlos in die US-Operationen während des kalten Krieges ein. Und auch hier musste ein zusammen geschneiderter Anlass herhalten, um die wahren Ursachen zu verhehlen.

      „Ich lasse Ihnen, Dirk, völlig freie Hand, aber bitte“, der Präsident hob die Stimme und schaute dem Chef der CIA starr in die Augen, „ich möchte mir und Ihnen und unserem ganzen Land eine nochmalige Peinlichkeit wie Bushs Giftgasgeschichte vor Saddam Husseins Sturz ersparen. Wir wollen den Russen auf gar keinen Fall das arktische Feld überlassen, aber die Sache ist ausgesprochen delikat und verlangt folglich in höchstem Grade Takt und Fingerspitzengefühl. Habe ich mich da deutlich genug ausgedrückt?“

      Kopfnicken, letzter Schluck. Clapton stellte das nunmehr leere Glas auf die Anrichte zurück: „Sir, Sie können sich auf mich verlassen!“

      „Danke, Dirk. Und grüßen Sie bitte Ihre Frau ganz herzlich.“ Der Direktor war entlassen.

      Es sollten fast auf den Tag genau zwei Jahre vergehen, bis die zugespitzten politischen Verhältnisse in der ehemaligen Sowjetrepublik Ukraine endlich die Möglichkeit boten, den dortigen Ereignissen den nötigen Stups im Interesses der Sicherung us-amerikanischer Interessen zu verleihen.

      Das Gebiet der heutigen Ukraine, sprachlich abgeleitet von „Grenzland“, ist uraltes menschliches Siedlungsgebiet. Schon während des Paläolithikums lebten hier Menschen. Fruchtbarer Ackerboden, der dem Gebiet in späteren Jahrhunderten die Bezeichnung „Kornkammer Europas“ einbrachte, weckte Begehrlichkeiten und schürte Aggressionen. Griechen, Hunnen, Bulgaren und Goten hinterließen in der Antike ihre Spuren. Nachdem im frühen Mittelalter Magyaren aus dem Wolgagebiet die Ukraine durchzogen, bildeten Im 9. Jahrhundert ostslawische Stämme unter dem Einfluss skandinavischer Waräger an den Handelswegen von Skandinavien und Nowgorod nach Süden in Richtung Konstantinopel ein lose verfasstes Großreich mit der Hauptstadt Kiew., welches als die „Kiewer Rus“ in die Geschichte einging. Dessen Herrscher Wladimir der Große entschied sich im Jahre 988 für die Annahme des Christentums nach östlichem Ritus. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts fielen die Mongolen, von den hier lebenden Menschen „Tataren“ genannt, in das Land ein und fraßen es kahl, Die Belagerung und Zerstörung von Kiew nach dem zweiten Mongolenfeldzug im Jahr 1240 gilt als das Ende der Kiewer Rus.

      In wechselvoller Geschichte und eng verknüpft mit der Geschichte Polens, Litauens und Russlands wurde das Land in den folgenden Jahrhunderten mehrfach unter verschiedene Herrschaftsbereiche aufgeteilt. Nach dem Scheitern eines eigenständigen ukrainischen Kosakenstaates wurde die Ukraine in der Mitte des 17. Jahrhunderts zwischen Polen und Russland geteilt. Im russischen Ostteil der Ukraine begann der Aufstieg der russischen Sprache, während im polnischen Teil die schon lange anhaltende Polonisierung weitergeführt wurde. Nach der dritten Teilung Polens wurde dann auch die westliche Ukraine mit Ausnahme Ost-Galiziens 1795 Russland zugeschlagen. 1796 wurden dann die südlichen und östlichen Gebiete der heutigen Ukraine, die Russland unter Katharina der Großen von den Osmanen erobert hatte, zu einem russischen Gouvernement zusammengefasst, welches für ein paar Jahrzehnte auch unter dem Namen „Neurussland“ fungierte, wo hingegen die Kern-Ukraine als „Kleinrussland“ bezeichnet wurde. Es erfolgte die Gründung der Städte Sewastopol und Simferopol auf der Halbinsel Krim sowie der Hafenstadt Odessa. Insbesondere Sewastopol erlangte als Festung und Marinebasis eine herausragende strategische Bedeutung zur Beherrschung des Schwarzen Meeres. Die bisher fast unbewohnten Steppengebiete im Südosten wurden durch die kluge Politik des durch die Zarin als Verwalter einsetzten Grafen Potemkin urbar gemacht und größtenteils mit Russen, aber auch mit Deutschen bevölkert.

      Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen sich in Kiew Kräfte zu formieren, die eine Unabhängigkeit von Russland einforderten. Während des Ersten Weltkriegs unterstützte das Deutsche Reich diese Separationsbemühungen der Ukrainer zur Schwächung Russlands. Mit der Februarrevolution 1917 in Russland und dem Sturz der Zarenregierung sah man in der Ukraine die Chance für eine eigene, von Russland unabhängige Staats- und Gesellschaftsentwicklung gekommen, welche aber letztlich durch den Einmarsch deutscher Truppen nach dem Abschluss der Friedensvertrages mit Russland in Brest-Litowsk im März 1918 zunichte gemacht wurde. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 und dem Abzug der deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen herrschte in den Jahren 1919 bis 1920 Bürgerkrieg, den am Ende die Bolschewiki für sich entschieden. Schon 1919 wurde die Ukraine ohne Ost-Galizien zu einer Sowjetrepublik. Ebenso erging es der Volksrepublik Krim, welche sich Ende 1917 zu einer unabhängigen Republik der Krimtataren ausgerufen hatte. Nach dem Krieg zwischen Polen unter Führung von Piłsudski und Sowjetrussland wurde Ost-Galizien polnisch. In der Zentral- und Ostukraine hingegen setzte sich die sowjetische Herrschaft durch. 1922 wurde die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik offiziell Teil der 1922 gegründeten Sowjetunion, nachdem die Rote Armee unter Leo Trotzki die Machno-Bewegung in einem blutigen Kampf besiegt hatte.Im Rahmen der sowjetischen Industrialisierung unter Stalin wurden im Osten der Ukraine in den heutigen Millionenstädten Dnepropetrowsk, Donezk und Charkow innerhalb nur eines Jahrzehnts mit gigantischen Anstrengungen große wirtschaftliche Zentren entwickelt, welche vorwiegend auf die Erzeugung von Stahl und Kohle, aber auch chemischer und maschinenbautechnischer Erzeugnisse ausgerichtet waren und als „das Ruhrgebiet der Ukraine“ in die Geschichte eingingen.

      Infolge rigoroser Maßnahmen der Sowjetführung bei der Durchsetzung der Kollektivierung und der „von oben“ verordneten Getreideabgaben kam es im Land Anfang der 30er Jahre des zurückliegenden Jahrhunderts zu Landflucht und massiven Sabotagehandlungen, worauf die Staatsorgane


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