Dionysos und die neue Freiheit. Sabine Hoffelner

Dionysos und die neue Freiheit - Sabine Hoffelner


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      Dionysos und die neue Freiheit -

      ein Wohnungskater zieht aufs Land

      Eine Katzengeschichte

      von

      Sabine Hoffelner

      Für meine beiden

      schnurrenden Musen

      Elli & Aramis

      Ein neues Zuhause

      Vorsichtig wagte er einen Schritt und blieb dann wieder regungslos stehen. Er reckte aufgeregt schnuppernd seine Nase nach draußen. Wie es hier roch! So etwas kannte er bisher nur aus den Blumenkästen im Sommer. Doch der Sommer war noch weit, die Tage begannen nach dem finsteren Winter gerade erst, spürbar heller und wärmer zu werden.

      Der etwas pummelige rote Kater kauerte sich auf die Türschwelle, schlang den Schwanz eng um seine Vorderpfoten und blickte sich um. Dieser „Blumenkasten“, der sich vor ihm erstreckte, war riesig. Er schien überhaupt kein Ende zu nehmen. Und es gab auch fast keine von den stinkenden Brummkisten, denen er von seinem alten Stammplatz am Küchenfenster aus immer zugeschaut hatte, während sein Professor zur Arbeit weg war. Nur die schreckliche grüne Stinkekiste, in der der alte Mann ihn vor zwei Wochen hierher gebracht hatte – ohne ihn zu fragen, die stand nun regungslos ein paar Meter neben dem Eingang. Frustriert seufzte der Kater. Na, das konnte ja langweilig werden...

      Plötzlich schreckte er hoch, drehte die Ohren nach hinten und spreizte sein Fell. Einen Moment später entspannte er sich wieder. Es waren nur die vertrauten Schritte seines Professors, die schlurfend auf ihn zukamen.

      „Na, mein kleiner Dionysos, wie gefällt dir dein neues Zuhause? Es ist doch viel besser als unsere kleine Wohnung in der Stadt. Hier kannst du den ganzen Tag die freie Natur erkunden, Mäuse fangen und viele Katzenfreunde finden.“

      Fassungslos starrte der Kater seinen Menschen an. Ein entsetztes „Mau“ flitzte aus seiner Kehle. Neue Katzenfreunde? Dionysos war froh, dass er sich bisher nicht mit Artgenossen hatte herumschlagen müssen. Und was sollte das mit dem Mäusefangen? Musste er sich sein Futter in Zukunft selbst erjagen? In seinem ganzen Leben hatte er noch keine richtige Maus gesehen. Sein Professor hatte ihm zwar einmal in einem Buch ein Bild von einer Maus gezeigt und ihm auch immer wieder Spielzeugmäuse mitgebracht, aber fressen musste er noch keine. Den Kater beschlich ein beklemmendes Gefühl. Sollte es etwa von nun an kein Kaninchen-Feinschmecker-Menü mehr geben? Und die gegrillten Lachsstreifen mit Sahnecreme... Dionysos spürte, wie sich ein dumpfes Leeregefühl in seinem Magen regte. Ach, da waren auch noch die Hühnchenhappen an chinesischem Gemüse – na gut, darauf konnte er zur Not verzichten. Aber Mäuse? Und selber fangen auch noch? Das ging wirklich zu weit!

      Der Kater erhob sich, reckte seinem Professor und der freien Natur sein Hinterteil zu und spazierte entschlossen in die Küche. Dort setzte er sich neben den leeren Futternapf. Dann blickte er sich kurz um. Gut, der alte Mann folgte ihm. Als sein Herrchen den ersten Fuß in das Zimmer setzte, gab Dionysos mit einem fordernden „Mau“ seine Bestellung auf. Das Feinschmecker-Menü, wenn er bitten durfte. Mäuse fangen, von wegen! Doch der alte Mann schien die Aufforderung nicht gehört zu haben, denn er setzte sich an den Küchentisch und begann, in der Zeitung herumzublättern.

      Das zweite „M – a – u“ war eine Spur lauter. Wieder keine Reaktion. Na gut, dann musste Dionysos seine Strategie ändern. Er erhob sich wieder und rieb sein Köpfchen an die Beine seines Menschen. Nach und nach arbeitete er sich so einmal von einer Seite zur anderen vorwärts und pflanzte sich schließlich mit seinem ganzen Gewicht auf die Füße des Professors. Dann setzte er seinen traurigsten Katzenblick auf und hauchte ein leidvolles „Maaauu“. Das zog immer.

      Auch heute.

      „Hast du Hunger, mein kleiner Genießer?“ Der alte Mann legte seine Zeitung weg. „Na, eigentlich erlaubt dir deine Figur kein zweites Frühstück. Erinnerst du dich noch daran, wie der Tierarzt mir letztes Mal ins Gewissen geredet hat?“ Er beugte sich zu seinem Wonneproppen hinunter und strich ihm über das Köpfchen. „Nun, jetzt, wo wir aufs Land gezogen sind, müssen wir uns sowieso einen anderen Tierarzt suchen.“ Zwinkernd streichelte er den Kater noch einmal. Dann schlüpfte er aus seinen Pantoffeln heraus, auf denen sich Dionysos inzwischen zufrieden räkelte, und stand auf.

      Zwinkernd blickte er sein schnurrendes Fellknäuel an. „Wo hab ich bloß das Feinschmecker-Menü hingeräumt?“

      Sofort stand Dionysos wieder auf seinen Beinen. Jetzt nur keine Zeit verlieren! Innerhalb von zwei Sekunden war er an dem entsprechenden Schranktürchen und kratzte aufgeregt mit beiden Vorderpfoten daran. Sein Mensch folgte ihm gemächlich, öffnete den Schrank und holte ein Schälchen mit dem begehrten Futter heraus. Dann servierte er dem Kater den zusätzlichen Leckerbissen.

      Als Dionysos gerade den letzten Happen hinunterschlang, fiel sein Blick auf die noch immer offenstehende Haustür, die er durch Küche und Flur hindurch von seinem Futterplatz aus einsehen konnte. Er erstarrte. Ein Gesicht war dort erschienen, ein Katzengesicht. Sofort sträubte sich jedes einzelne seiner roten Haare. Wer schlich sich hier so frech in sein Revier, fast schon in sein Haus hinein und so nahe an seinen Napf heran?!

      Mit weichen Knien baute er sich breitbeinig und katzbuckelnd vor seinem Allerheiligsten auf, ohne die Katze auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Ruhig und ohne eine Bewegung blickte die Fremde zurück. Dieses stille Kräftemessen dauerte ein paar endlose Herzschläge lang, dann wandte sich die Katze an der Haustür ab und verschwand.

      Dionysos entspannte sich mit einem erleichterten Seufzer wieder. Trotzdem huschte er durch die Küche und den Flur auf die Eingangstür zu. Er musste sich davon überzeugen, dass der Eindringling auch wirklich weg war. Doch er hatte Pech. Nur ein paar Schritte entfernt, unter der alten Kastanie neben dem Haus, saß die Fremde aufrecht im Gras. Dionysos schaute sie sich jetzt ein wenig genauer an und atmete tief durch. Es war eine grau getigerte Katzendame. Und wenn er mal davon absah, wie frech sie sich an ihn herangeschlichen hatte, konnte er sogar sagen, dass sie eine ganz hübsche Katzendame war.

      „Was willst du hier“, herrschte Dionysos sie schärfer an, als es eigentlich nötig gewesen wäre.

      „Das müsste ich eigentlich dich fragen. Tauchst hier einfach in meinem Haus und in meinem Garten auf! Der große Mensch hat dich mitgebracht, stimmt's?“

      „Was heißt hier: dein Haus? ICH wohne hier. Und von dir hab ich noch überhaupt nichts gerochen oder gesehen.“

      „Es ist mein Haus! Ich wohne schon mein ganzes Leben lang dort. Im Schuppen hinter dem Haus bin ich zur Welt gekommen. Und da drüben geht es die Treppe zum Keller hinunter. Das war MEIN Eingang. Bevor all die fremden Leute mit ihren Hämmern und anderen Krachmaschinen daherkamen, die Wände mit stinkenden Farben beschmierten und fast alle meine Schlupflöcher“, sie grinste, „fast alle, vernagelten, war das hier MEIN Haus. Diese Wandalen haben drinnen alles durcheinandergebracht und mich einfach ausgesperrt!“ Empört blitzte sie ihn an. „Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, haben sie auch noch dich angeschleppt.“

      Dionysos war gar nicht mehr wohl in seinem Fell. „Das hört sich ja schlimm an“, meinte er zerknirscht. „Aber ich kann doch auch nichts dafür. Zuerst haben mein Professor und ein paar wildfremde Rowdys unsere einst so gemütliche Wohnung verwüstet. Dann, als kein Möbelstück mehr an seinem Platz stand, hat er mich einfach in den Gitterkorb gesperrt.“ Naja, eigentlich hatte der verfressene Kater sich dort ziemlich schnell hineinlocken lassen – mit der allerbesten Leberwurst, die ihm jemals ins Mäulchen gewandert war. „Und dann hat er mich hierher entführt. Glaub mir, ich wäre viel lieber zu Hause geblieben. Aber was kann ein Kater schon tun, wenn sein verrückt gewordener Mensch sich etwas in den Kopf gesetzt hat?“

      „Hm. Da hast du wohl recht.“ Die Tigerkatze blickte ihn ratlos an. Insgeheim war sie sehr froh darüber, dass sie selbst nicht von einem Menschen abhängig war. „Manchmal kann man einfach nichts machen. Wie heißt du?“

      Etwas verlegen


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