Go East 2014. Tatiana Pongratz

Go East 2014 - Tatiana Pongratz


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      Inhaltsverzeichnis

       München – Berlin. Sonntag, 21. September

       Hoppegarten – Buckow. Montag, 22. September

       Buckow – Müncheberg. Dienstag, 23. September

       Müncheberg – Lychen. Mittwoch, 24. September

       Lychen – Prerow. Donnerstag, 25. September

       Prerow. Freitag, 26. September

       Prerow. Samstag, 27. September

       Prerow – Wittenberge. Sonntag, 28. September

       Wittenberge – Dessau – Coswig. Montag, 29. September

       Coswig – Lichterfeld. Dienstag, 30. September

       Lichterfeld – Hohnstein. Mittwoch, 1. Oktober

       Hohnstein – Hinterhermsdorf. Donnerstag, 2. Oktober

       Hinterhermsdorf – Görlitz – München. Freitag, 3. Oktober

       Go East 2014

       Eine Reise in die Ex-DDR

      Tatiana Pongratz

      „Wenn die alten Kartographen ans Ende der Welt kamen, pflegten sie zu schreiben, dass jenseits dieser Stelle Drachen sind.“

      (Berkley Cole zu Karen Blixen in „Jenseits von Afrika“)

      München – Berlin. Sonntag, 21. September

      Lilli, meine Jüngste, hat kurzfristig abgesagt. Sie will mit ihrem Bruder Valentin bei einem Kurzfilmwettbewerb mitmachen und hat keine Zeit. Emma, Kind Nr. 2, war gerade in Dublin und muss wieder arbeiten. Mit Paula, meiner Ältesten, habe ich 12.00 Uhr ausgemacht. Abholen in der Bergmannstraße. Dass die Wiesn weiträumig abgesperrt und kaum ein Durchkommen ist durch all die Lederhosen und Dirndl, habe ich weiter draußen auf dem Land nicht bedacht. Fast eine geschlagene Stunde dauert dieser Wahnsinn. Wollten wir nicht davor flüchten? Ich fluche, als wir ihre Tasche drin haben und die Schiebetür mit Schwung zumache. Nix wie weg.

      Nach dem Tanken tauschen wir vor Nürnberg die Plätze. Paula fährt, wir reden, wir lachen. Irgendwann sehe ich kein Berlin mehr auf den Schildern und mir schwant Übles. Ich weiß beim besten Willen nicht, wie wir es geschafft haben, auf die A3 Richtung Würzburg zu fahren. Frauen halt. Als ich mit Lilli im Frühjahr auf der Leipziger Buchmesse war, haben wir schließlich auch ohne Navi hingefunden. Ich schalte das iPhone an und es lotst uns bei Pommersfelden raus. Rechtsschwenk. Der hat uns mindestens 100 km gekostet. Jetzt klagt Paula über Zahnschmerzen und wirft eine Tablette ein. Ich beschließe, doch nicht mehr vor Berlin zu campieren und sie direkt hinzubringen, damit sie morgen früh gleich zum Zahnarzt gehen kann.

      Je näher wir Berlin kommen, desto mehr schüttet es. Muck sollte seine Abendrunde drehen, Haufen machen und Futter kriegen. Als der Regen nachlässt, fahre ich ein Stück raus in den Wald, wo er endlich laufen kann. Er freut sich sichtlich, rennt mit fliegenden Ohren einen weichen Waldweg entlang und kommt wieder zurück. Wie ein Welpe. Vor Kurzem ist er zehn geworden. Ostern stand er wegen eines zweifachen Bandscheibenvorfalls und einer Vergiftung ganz hart auf der Kippe. Irgendwie ist die Reise auch für ihn. Immer draußen, immer unterwegs, neue Gerüche, keine Treppen. Nach zehn Kilometern Fahrt fällt uns ein, dass wir Hunger haben und biegen erneut ab, diesmal zu einem Autohof. Er liegt weit abseits. Zwei Tische sind besetzt. Irgendwie riecht es unangenehm. Wir nehmen beide was Vegetarisches. Ich esse kaum noch Fleisch aus Massenproduktion und schon gleich gar nicht, wenn es irgendwo so süßlich riecht. Ein junger Mann mit Reisetasche kommt rein. Auffällig gut gekleidet, bisschen dandylike. Nachdem wir bezahlt haben, kommt er an unseren Tisch und fragt, ob wir nach Leipzig reinfahren. Ich verneine. Er geht wieder. Wenn es nicht schon so spät gewesen wäre – ich hätte ihn vermutlich hingebracht. Beim Hinausgehen kaufe ich eine Deutschlandkarte, weil im Auto nur Süddeutschland vertreten ist. Dann erinnere ich mich, dass sich Andreas, unser großartiger Campingbusverleiher, ein Startfoto gewünscht hatte. Paula macht von uns dreien ein Selfie vor so einem Glaskasten mit diesen unsäglichen Kuscheltieren. Ich erinnere mich noch gut an das Gekreische der Kinder und dass der Greifarm das quietschfarbene Teil jedes Mal kurz vorm Ziel fallen ließ. Danach heulte immer einer kilometerweit im Auto. Ich überlege kurz, einen Euro zu investieren, aber dann darf ich mir wieder wochenlang anhören, dass die Mama immer noch so kindisch ist wie eh und je. So stehen wir davor und lachen über den Schmarrn.

      Gegen 23 Uhr fahren wir in Berlin rein – Paula’s Freundin wohnt in Charlottenburg. Ich setze sie vor der Haustür ab, wir verabschieden uns. Es ist ein lauer Abend. Auf der Karte suche ich ein Ziel im Osten. Märkische Schweiz fiel ja im Forum. Ich gebe Müncheberg ins Navi ein. Ach Du Sch… 300 km auf dem Tageszähler! Was sagte Andreas nochmal? 300 km oder waren es 330 oder 350 km Reichweite mit dem Autogas? Meine letzte Berlinfahrt vor fünf Jahren war diesbezüglich ein Fiasko. Im Inneren gibt es so gut wie keine Tankstellen. Sie liegen praktisch wie ein Ring außen rum. Ungefähr alle 300 Meter eine Tankstelle. Damals ging erst das Gas aus und ein paar Kilometer weiter das Benzin. An einer Ampel ist links von mir ein Wagen, zwei dunkle Lockenköpfe, Mitte 30. Sie winken mir zu, rufen „Hallo München! München! Schöne Stadt!“ Ich winke zurück und lache. Bin dankbar für das Schummerlicht. Sie haben bestimmt meine Falten nicht gesehen. Wie lange kann man das als Frau noch genießen? Manchmal erschrecke ich mich ja selbst, wenn eine Frau von hinten irgendwie interessant aussieht und dann dreht sie sich um. Wie in der Geisterbahn. Vielleicht sollte man wirklich besser die Haare grau werden lassen und nur noch in Beige rumlaufen wie alle alten Leute. Aber dann denke ich wieder an Anya, diese deutsche Galeristin in Dublin. Wie sie damals bei uns auftauchte mit ihrem schwarz gefärbten Pagenkopf und den engen schwarzen Lederklamotten. Sie war etwa 55, ich halb so alt. Bei ihr sah das Alter absolut lässig aus. Und ich dachte bei mir … wenn ich eines Tages so alt bin, möchte ich so sein wie sie. Bloß kann ich dieses snobistische Künstler-Schwarz nicht ausstehen. Vor 30 Jahren bekam ich mal einen knallroten Ledermantel aus den 70ern geschenkt. Ist von Hermés. Der könnte gut aussehen zu weißen Haaren.

      Die Autos werden immer weniger, die Straßen schmäler. Links und rechts liegen alte Gebäude, die in München so nahe an der Innenstadt längst in elegante Lofts umgewandelt worden wären. Nach ein paar Kilometern im Wald falle ich kurz in den Sekundenschlaf. Das zur Warnung, biege ich in die nächste Einfahrt ab, finde eine Rückegasse. Ein guter Platz. Ich lasse den Hund raus zum Pinkeln und richte im Bus das Bett. Dann – wo ist der Hund? Ich rufe. Nix. Nochmal. Wieder nix. Sch… ich pfeife. Da kommt er angedackelt, bestens gelaunt. Beim Reinheben riecht es streng und mich beschleicht eine dunkle Ahnung, die ich sofort verdränge. Am nächsten Morgen laufe ich mit ihm die Rückegasse ein Stück in den Wald, damit er sich lösen kann. Als ich danach den Bus für die Abfahrt vorbereite, ist er wieder weg. Schließlich finde ich ihn an einer Stelle mit weißen Papiertüchern und meine Befürchtung von letzter Nacht ist bestätigt. LKW-Kutscher-Hinterlassenschaften verfügen wohl noch über jede Menge verwertbarer Proteine. Vermutlich braucht er das jetzt nach den vielen Medikamenten? Jedenfalls hat er das


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