Der letzte Schnappschuss. Thomas Riedel
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Der letzte Schnappschuss
Kriminalroman
Thomas Riedel
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar
2. Auflage (überarbeitet)
Cover- und Buchgestaltung:
© 2019 Susann Smith & Thomas Riedel
Cover- und Buchgrafiken:
© Depositphotos.com
Impressum Copyright: © 2019 Thomas Riedel Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de ISBN siehe letzte Seite des Buchblocks
»Wir unterscheiden uns weniger
in unseren Hoffnungen
als durch die Art des Umgangs
mit der Hoffnungslosigkeit.«
Horst A. Bruder (*1949)
1
London, 1926
Selbstmord ist die einfachste Sache der Welt, dachte Whitney McFlaherty. Sie war schließlich nicht die erste, die freiwillig aus dem Leben scheiden wollte, und sie würde bei weitem nicht die letzte sein. Die Unglücklichen springen von Aussichtstürmen oder Brücken, schneiden sich die Pulsadern auf, werfen sich vor Züge, hängen sich auf oder schlucken einfach eine Überdosis Schlaftabletten. Für diese Todesart hatte sich Whitney McFlaherty entschieden. Sie wollte nicht, dass alles voll Blut war, wenn sie nicht mehr lebte. Sie hatte sich immer vor Blut geekelt, ob es nun das von fremden Menschen oder ihr eigenes gewesen war. Nein, es sollte kein Blut fließen. Sie sollte aussehen, als würde sie schlafen. Es würde schmerzlos sein. Und dann würde sie endlich Ruhe finden. Die grelle Nachmittagssonne stahl sich durch die Lamellenjalousie ihres Schlafzimmers und zeichnete ein Gerippe auf den weichen, flauschigen Teppich.
Draußen war ein herrlicher Tag.
Eigentlich viel zu schön zum Sterben. Sie hatte sich den Tag ihres Todes grau und düster vorgestellt. Die Welt nahm nicht einmal in diesem Augenblick Anteil an ihrem heftigen Schmerz.
Sie ging zur Schlafzimmertür und überzeugte sich, dass sie abgeschlossen war. Sie wollte in diesem schweren Moment nicht gestört werden. Ihr Entschluss stand unumstößlich fest. Nun wollte sie ihn durchführen und niemand sollte sie daran hindern.
Sie begab sich ins Bad und holte eine noch verschlossene Phiole mit Schlaftabletten aus dem Medikamentenschrank. Ihr junges Gesicht verlor die Farbe, angesichts der zwanzig Tabletten, die für sie den Tod darstellten. Sie strich sich mit zitternder Hand das rostrote Haar aus der Stirn und öffnete dann den Aluverschluss.
Nun griff sie nach einem Glas und füllte es mit Wasser. Sie war aufgeregt und nervös. Aber sie hatte keine Angst vor dem Sterben. Sie hatte sich damit abgefunden, dass es sein musste. Sie hätte nur Angst vor quälenden Schmerzen gehabt, doch die verursachten Schlafmittel ja nicht.
Whitney McFlaherty hielt das Glasröhrchen über das Wasserglas, kippte es leicht und ließ alle zwanzig Tabletten hineinfallen. Geduldig sah sie zu, wie die weißen Tabletten weich wurden und sich schließlich auflösten. Das Wasser wurde zuerst trübe und dann weiß wie Milch. Mit dem Griff der Zahnbürste rührte sie das tödliche Getränk um, ging ins Schlafzimmer zurück und setzte sich auf den Bettrand.
Nun wurden ihre Knie doch ein wenig weich. Sie hatte Angst, der Mut könnte sie verlassen. Zwei kalte Tränen rollten über ihre heißen Wangen.
Sie setzte das Glas schnell an die bebenden Lippen und begann, hastig zu trinken. Es fiel ihr schwer, das bittere Zeug zu schlucken. Ihr wurde während des Trinkens übel, doch sie setzte das Glas nicht mehr ab. Sie zwang sich, das Glas bis zum letzten Tropfen zu leeren. Ekel und ein bitterer Geschmack erzeugten ein Knebelgefühl in ihrem Hals.
Sie stellte das Glas angewidert auf das Nachttischchen, griff nach dem Kuvert, das darauf lag, und lehnte es an das Glas, so dass niemand es übersehen konnte. Es war der Abschiedsbrief für ihren Mann. Sie war sicher, dass Malcolm aus allen Wolken fallen würde, wenn das hier vorbei war. Und sie hätte es bestimmt nicht getan, wenn sie einen anderen Ausweg gehabt hätte.
Seufzend griff sie nach der schwarzen Schlafmaske, die sie immer aufsetzte, wenn sie sich hinlegte. Sie legte sich das samtweiche Ding auf die Augen. Eine wohltuende Dunkelheit umfing sie. Nun legte sie sich auf das Bett. Kerzengerade. Auf den Rücken. Als wäre sie aufgebahrt.
Dann musste sie warten. Sie fühlte, dass ihr Herz langsamer schlug! Und leiser. Sie spürte, dass sie ruhiger wurde. Die Welt um sie herum, das Schlafzimmer - alles wurde unwirklich.
Die Wehmut, mit der sie aus dem Leben schied, die Verzweiflung, die sie zu diesem Schritt getrieben hatte alles wurde klein, unscheinbar, unwichtig. Eine bleierne Müdigkeit bemächtigte sich ihrer. Ihr Denkvermögen wurde allmählich schwächer. Sie konnte das alles genau registrieren.
Die Müdigkeit kroch von den Beinen nach oben. Höher. Immer höher. Doch diesmal war es kein wohltuender, erfrischender Schlaf, der da kam.
Diesmal war es der Tod ...
2
Malcolm McFlaherty kletterte gutgelaunt aus seinem weißen Straßenschiff. Die Sonne tanzte übermütig auf seiner Nase. Sie sollte ruhig noch ein paar Wochen lang kräftig scheinen. Der gleißende Feuerball dort oben am Himmel war McFlahertys größter Verbündeter.
Er produzierte Limonade in allen erdenklichen Varianten. Ohne Sonne keine Limonade. Deshalb liebte er die Sonne und freute sich über jeden Tag, an dem sie schien.
Man konnte ihn als einen sportlichen Typ bezeichnen. Er ging auf Großwildjagd, fischte, hatte eine Yacht und einen Sportwagen und flog ein eigenes Flugzeug. Eine Zeitlang war er bei der Luftwaffe gewesen. Aber da hatte es Vorgesetzte gegeben, mit denen er sich nicht verstanden hatte. Deshalb hatte er seinen Abschied genommen.
Er hatte dunkles Haar und dunkle Augen. Seine Haut war immer sonnengebräunt.
McFlaherty ging mit federnden Schritten auf den Eingang seines Hauses zu.
Die Tür öffnete sich wie von selbst, und ein Mann im hellgrauen Anzug erschien. Es war der Diener. Er hieß Malcolm McFlaherty wie jeden Tag herzlich willkommen. Dabei legte er eine überschwängliche Freundlichkeit an den Tag, als ob der Herr des Hauses gerade eben aus Afrika oder Indien zurückgekehrt wäre.
»Wie geht es, Finley?«, fragte McFlaherty.
Es war beinahe ein Ritual. Es war zu einem Spiel mit verteilten Rollen geworden. Finley hieß den Dienstgeber herzlich willkommen, und dieser erkundigte sich nach dem Befinden des Dieners. Und Finley sagte auch heute wieder, so wie jeden Tag: »Danke, Sir. Mir geht es gut.«
»Fein«, erwiderte Malcolm McFlaherty. Er griff in die Tasche seines senffarbenen Kammgarnanzuges und holte eine kleine, längliche, schmale Schachtel hervor. Auf dem Deckel waren Name und Anschrift eines Londoner Juweliers in Gold eingeprägt. »Wo ist meine Frau, Finley?«, fragte McFlaherty mit einem jungenhaften Lächeln. Er brannte darauf, seine Frau überraschen zu können.
Der Diener hob den Kopf und blickte zur Decke. Denn ungefähr da befand sich Whitneys Schlafzimmer. »Mrs. McFlaherty befindet sich in ihrem Schlafzimmer, Sir.«
McFlaherty