Nostromo. Joseph Conrad
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Joseph Conrad
Nostromo
© 1904 by Joseph Conrad
Erstmals erschienen 1904 unter dem Titel
Nostromo: A Tale of the Seaboard
Aus dem Englischen von Ernst Wolfgang Freissler 1927
© Lunata Berlin 2019
Inhalt
II. Die Isabellen
III. Der Leuchtturm
Vorbemerkung des Verfassers
Nostromo ist die am sorgfältigsten durchdachte der längeren Erzählungen aus der Zeit nach der Veröffentlichung des Novellenbandes Taifun.
Ich will nicht sagen, daß mir damals etwa ein Wechsel in meiner Einstellung auf meine künstlerische Aufgabe zum Bewußtsein gekommen wäre. Und vielleicht hat es einen solchen Wechsel auch gar nicht gegeben, außer in jenem geheimnisvollen, unterbewußten Punkt, der mit den Kunsttheorien nichts zu tun hat; einen kaum merklichen Wechsel in der Art der Eingebung; ein Phänomen, für das ich in keiner Weise verantwortlich zu machen bin. Was mich allerdings etwas beunruhigte, war der Umstand, daß ich nach Beendigung der letzten Novelle von »Taifun« irgendwie das Gefühl hatte, es wäre über nichts in der Welt mehr zu schreiben.
Diese eigenartig verneinende und beunruhigende Stimmung hielt geraume Zeit an; und dann entstand in mir, wie bei vielen meiner längeren Erzählungen, der erste Gedanke für »Nostromo« in Gestalt einer flüchtigen Anekdote, ohne verwendbare Einzelheiten.
Tatsächlich hatte ich im Jahre 1875 oder 1876, als ganz junger Mensch, in Westindien oder vielmehr im Golf von Mexiko, denn meine Berührungen mit dem Lande waren kurz, selten und flüchtig, die Geschichte eines Mannes gehört, von dem es hieß, er habe ganz allein eine Leichterladung Silber gestohlen, irgendwo an der Küste der Tierra Firme, während der Wirren einer Revolution.
Auf den ersten Blick erschien dies als etwas wie eine Tat. Aber ich hörte keine Einzelheiten, und da mir das Interesse für das Verbrechen als solches fehlt, so war kaum anzunehmen, daß mir dies eine im Gedächtnis bleiben sollte. Und ich vergaß es auch, bis ich sechs- oder siebenundzwanzig Jahre später darauf stieß, in einem schundigen Büchlein, das ich in der Auslage eines Althändlers aufgestöbert hatte. Es war die Lebensgeschichte eines amerikanischen Seemanns, von ihm selbst unter Beihilfe eines Journalisten geschrieben. Im Laufe seiner Wanderjahre hatte dieser amerikanische Matrose einige Monate lang an Bord des Schoners gedient, dessen Eigner und Schiffer der Dieb war, von dem ich in meinen jungen Tagen gehört hatte. Darüber habe ich nicht den geringsten Zweifel, denn es könnte ja schwerlich zwei Unternehmungen der gleichen besonderen Art, im gleichen Teil der Welt geben, beide in Verbindung mit einer südamerikanischen Revolution.
Der Bursche hatte es tatsächlich fertiggebracht, einen Leichter voll Silber zu stehlen, und zwar, wie es scheint, einfach deswegen, weil ihm seine Dienstgeber blind vertrauten, die auffallend schlechte Menschenkenner gewesen sein müssen. In der Lebensgeschichte des Matrosen erscheint dieser Mann als ein ruchloser Schurke, ein niedriger Betrüger, sinnlos roh und übellaunig, von gemeinem Aussehen und gänzlich unwürdig der Größe, zu der ihm der Zufall verhelfen hatte. Merkwürdig war es, daß er sich seiner Tat offen rühmte.
Er pflegte zu sagen: »Die Leute glauben, daß ich mit meinem Schoner da eine Menge Geld verdiene, aber das ist gar nichts. Ich schere mich nicht drum. Ab und zu gehe ich ruhig hin und hole mir einen Silberbarren. Ich muß langsam reich werden – du verstehst.«
Der Mann wies noch einen anderen merkwürdigen Wesenszug auf. Einmal, bei Gelegenheit irgendeines Streites, drohte ihm der Matrose: »Was