Die Schatten von Paradell. Sebastian Müller

Die Schatten von Paradell - Sebastian Müller


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kam zu keinem richtigen Schluss und beließ es bei dem Vorsatz, mit seinen Freunden darüber zu sprechen. Leider waren sie erst am Samstag wieder alle beisammen. Morgen musste er shoppen gehen. Ihm fehlte weiterhin eine Idee, was er Ben zu seinem Geburtstag am Samstag mitbringen sollte.

      Am folgenden Tag stand Lukas erst gegen zehn Uhr auf. Er hatte bereits eine Stunde vorher seine Zimmertür einen Spalt weit geöffnet, um zu hören, was unten vor sich ging. Doch da waren seine Eltern in der Küche zu Gange gewesen. Er dachte sich: „Lieber warte ich. Dad verschwindet gleich ins Arbeitszimmer und Mum zum Einkaufen. Der gestrige Tag reicht mir vorerst an ‚schöner‘ Familienzeit.“

      Er ließ die Tür angelehnt und legte sich nochmal hin. Er griff nach dem Handy und schrieb Tamara:

      @Lukas> Guten Morgen Schatz, bist du schon wach?

      Die Antwort folgte prompt.

      @Tamara> Ja, wir haben gerade gefrühstückt. Und du?

      @Lukas> Ach ich lieg ein bisschen rum und warte, dass Dad arbeiten geht. Dann kann ich in Ruhe frühstücken.

      @Tamara> Ich verstehe. Den Trick nutze ich auch oft ;-).

      @Lukas> Ich werde nachher ins Shoppingcenter gehen und für Ben ein Geschenk suchen. Kommst du mit?

      @Tamara> Na klar. Super Idee ich brauche eh ein paar Schuhe, die ich am Samstag tragen werde.

      Sie verabredeten sich zu zwölf Uhr und Lukas hing seinen Gedanken an den letzten Tag nach. Um zehn Uhr hörte er von unten seinen Vater sagen: „Dann mal frisch ans Werk. Nach dem Zeichen gestern bin ich wieder zuversichtlicher, dass ich die wackeligen Geldgeber heute auf Linie bekomme. Lass uns auf Gott vertrauen, Martha, dann schaffen wir es. Denk bitte beim Einkauf an meine Baldriantropfen, die brauche ich dringend.“

      „Na klar Christian, ich bin dann unterwegs. In Gedanken und im Gebet bin ich jederzeit bei dir. Du schaffst das.“

      Das war das Zeichen für Lukas aufzustehen. Er aß ein paar Toasts und trank Orangensaft, wobei er die Ruhe des Hauses genoss.

      Um zwölf Uhr war er pünktlich im Einkaufscenter und wartete auf Tamara. Er setzte sich in das Eiscafé am Eingang und schrieb im Handy:

      @Lukas> Hi Schatz, ich sitze vorn beim Italiener, am Tisch in der Ecke.

      @Tamara> Okay, ich bin gleich da.

      Lukas beobachtete die Menge, die hektisch im Einkaufscenter auf und ab strömte. Nach fünf Minuten entdeckte er im hereinkommenden Menschenstrom seine Freundin. Es machte ihn glücklich, dass das wie zu Beginn ihrer Beziehung einen kurzen Satz in seiner Herzfrequenz auslöste.

      Tamara sah ihn, kam zu seinem Tisch und sagte mit einem Lächeln: „Na, du siehst aber zufrieden aus. Hast du etwas Schönes gesehen?“

      „Nur das hübscheste Mädchen, das ich kenne“, antwortete er und schaute sie liebevoll an.

      „Ach du …“, sagte sie und errötete.

      Sie setzte sich zu ihm an den Tisch. Sie bestellten sich zusammen ein Spaghettieis. Als der Kellner mit der Bestellung weg war, sagte Lukas: „Du wirst es nicht glauben, was gestern passiert ist. Ich brenne schon die ganze Zeit darauf, es dir zu erzählen, aber das war nichts für das Telefon.“ Tamara schaute ihn mit einer Mischung aus Neugier und Verwunderung an. Dann erzählte er ihr im Detail die Ereignisse von gestern, wie er mit seinen Eltern auf dem Weg zur Kirche gewesen war.

      „Was hältst du davon?“, fragte er, als er fertig war.

      Einen Moment sagte Tamara erst einmal nichts. Dann ergriff sie seine Hand, die auf dem Tisch lag, sah ihn an und sagte: „Du weißt, wie ich zu diesem ganzen Paradellzeug stehe. Andererseits glaube ich dir und so langsam häufen sich die Vorfälle, sodass ich es nicht mehr schaffe zu ignorieren.“

      „Ja, es ist zu surreal. Ich weiß nicht, wie das weitergehen soll.“

      Als das Eis kam, aßen sie es gemeinsam still und gedankenversunken. Nachdem der letzte Löffel verputzt war, lenkte Lukas das Thema in eine andere Richtung. „Also, Ben … was könnten wir ihm zum Geburtstag kaufen?“

      Tamara sagte mit einem Zwinkern: „Ich kenne ihn nicht so lang wie du. Was zum Trainieren scheint mir angebracht.“

      „Haha, ja du hast recht. Aber dennoch, sei nicht so fies zu ihm“, sagte er. Worauf sie mit seriöserer Miene sagte: „Okay, im Ernst. Ich habe gehört, dass er diese alten Kindergruseltaschenbücher liebt. Ich komme nicht auf den Titel der Reihe. Ich glaube, das ist ein weiteres, dieser Stevie-Andenken, an denen er hängt.“

      „Das ist perfekt, Schatz, super Idee. Ich habe das Cover vor Augen und erinnere mich gut an sein Bücherregal. Wir finden im Buchladen sicher eins, was er noch nicht hat.“

      Sie zahlten und machten sich auf den Weg. Im Gehen kam Lukas erneut auf die Vorkommnisse zu sprechen. „Weißt du? Wenn das Ganze nicht real ist, was ist es dann? Was löst bei uns fünf zusammen solche lebendigen Halluzinationen aus?“, fragte er und fuhr mit einem Gedanken fort, der ihn schon den ganzen Tag beschäftigte. „Wenn es real ist, kann ich das erst recht nicht einschätzen. Einerseits haben sie eventuell mit dem Verschwinden von Simons Eltern zu schaffen. Das wäre echt übel, obwohl wir nicht wissen, wie das ablief. Aber gestern wirkte es, als wären sie wie Schutzengel, die den Menschen helfen.“

      Darauf sagte Tamara: „Wenn wir sie wirklich in dem Wald gesehen haben, wissen wir, sie sind auch nur aus Fleisch und Blut. Und von allem, was wir über uns Menschen wissen, gibt es dabei Licht und Schatten, mit jeder Menge Graustufen. Warum sollte es bei denen anders sein?“

      „Dann hoffen wir, dass das Licht die Schatten überwiegt“, antwortete Lukas.

      Kapitel 4 – Rückkehr

      – 1 –

      Samstagmorgen. Neun Uhr. Ben Lindner, der an diesem Tag fünfzehn Jahre alt geworden war, schlief tief und fest. Ein schwankender Lichtschimmer schien in seinem Zimmer. Das Aquarium in der Ecke leuchtete in der Nacht konstant und wenn die Fische an der Lampe vorbeischwammen, erzeugte das schaurige Schatten. Geräuschlos und gemächlich öffnete sich seine Zimmertür, aber niemand trat ein. Die Vorhänge an seinem Fenster wehten weit in den Raum durch den spärlichen Luftzug, der durch die offene Tür kam. Im Wind quietschte die Tür in den Angeln. Das Geräusch wirkte lauter durch die absolute Stille, die ansonsten herrschte.

      Ben regte sich dadurch und aufgrund des Lichts, was durch den zur Seite gewehten Vorhang in das Zimmer strömte.

      Plötzlich unterbrach ein Lied die Stille, das erst schwach ertönte und langsam an Kraft gewann.

      Die Melodie weckte ihn endgültig und er schlug die Augen auf. Kurz war er noch etwas verwirrt, aber er erkannte die Melodie sofort und grinste über das ganze Gesicht.

      In dem Moment wurde seine Zimmertür vollständig aufgestoßen und seine Eltern kamen herein. Sie sangen: „Happy birthday to you, happy birthday to you, happy birthday lieber Ben, happy birthday to you.“

      Seine Mum hielt ein winziges Törtchen mit einer Kerze in der Hand und lächelte ihn liebevoll an. Als das Lied aus dem Bluetooth-Lautsprecher zu Ende ging, sagte sie: „Alles, alles Liebe zu deinem Geburtstag mein Schatz. Wir wünschen die ganz viel Glück, Freude und Gesundheit im neuen Lebensjahr.“

      Sein Vater schloss sich an: „Alles Gute. Ich hoffe, du hast heute einen wunderbaren Tag mein Sohn.“

      Ben konnte kaum mehr grinsen, ohne schwere Gesichtslähmung zu riskieren. Er war übermäßig gerührt. „Danke, danke, vielen Dank, Mum und Dad. Das ist so lieb von euch.“

      Seine Mum gab ihm das Törtchen und sagte: „So hier schon einmal eine kleine Kerze zum Üben und eine Kleinigkeit zum Naschen. Zum Frühstück gibt es dann die richtige Version.“

      „Kann ich mir somit zweimal was wünschen?“, fragte Ben und lachte. „Du kannst es versuchen, aber du kannst auch einen ganz wichtigen Wunsch doppelt verstärken“, schlug sein Dad


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