Strafrecht Besonderer Teil. Olaf Hohmann
um eine tatbestandliche Restriktion handelt, ändert sie an dem auf Mord lautenden Schuldspruch nichts; dieser signalisiert aber gerade schwerstes Unrecht.[61] Sie begegnet im Übrigen erheblichen methodischen Einwänden, weil sie dem bezüglich der Rechtsfolge klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers widerspricht, d.h. jedenfalls eine für eine Analogie erforderliche planwidrige Regelungslücke fehlt, und eine Berechtigung für eine derartige richterliche Rechtsfortbildung nicht besteht.[62]
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– | Auch der eine feindliche Willensrichtung fordernde Ansatz des Bundesgerichtshofs kann nicht restlos zufriedenstellen. Denn er vermag eine nicht plausible Begünstigung von Tätern, die die Möglichkeit und keine Skrupel haben, einen Menschen mit dem Ziel der Tötung offen anzugreifen, nicht auszuschließen. Gleichwohl erscheint der vom Bundesgerichtshof eingeschlagene Weg beim jetzigen Stand der Diskussion als vorzugswürdig. Seine Vorteile überwiegen die Bedenken jedenfalls dann, wenn man ihn im Zusammenhang mit den hohen Anforderungen sieht, die der Bundesgerichtshof zu Recht an die subjektive Seite der Heimtücke stellt (vgl. Rn. 53 f.).[63] |
Hinweis:
Eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ansichten ist bei der Bearbeitung von Aufgaben nur notwendig, wenn diese – wie im Beispielsfall – zu unterschiedlichen Lösungen führen. Sonst genügt eine knappe Darstellung des Streitstands nebst der Feststellung, dass dieser sich im konkreten Fall nicht auswirkt.
Ergebnis:
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A hat sich somit eines Mordes (§ 211 Abs. 2) in – von seinem Vorsatz umfasster – heimtückischer Begehungsweise schuldig gemacht.
2. Grausamkeit
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Grausam ist nach allgemeiner Ansicht eine Tötung, die schwere Leiden körperlicher oder seelischer Art hervorruft und zudem einer gefühllosen und unbarmherzigen Gesinnung entspringt.[64] Die Schmerzen oder Qualen müssen dafür nach Art und Dauer das für die Tötung erforderliche Maß übersteigen.[65] Hierfür kann bereits ein Zeitraum von wenigen Sekunden genügen, wenn etwa ein mit Benzin übergossenes Opfer in Brand gesetzt wird und unter sog. Vernichtungsschmerzen stirbt.[66]
Beispiele:
A wirft den schwer verletzten B in einen Abwasserschacht und verschließt diesen mit einem schweren Deckel in dem Bewusstsein, dass B sich aus dieser Situation nicht mehr werde befreien können.[67]
C lässt ihr einjähriges Kind „planmäßig“ verhungern.[68]
D erwürgt seine Freundin E. Um ihr Sterben zu verlängern, lockert er über geraume Zeit hinweg immer wieder seinen Griff, damit E jeweils kurzfristig wieder zu Bewusstsein kommt.[69]
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Bei der Bewertung der Auswirkungen des Täterverhaltens kommt es auf das konkrete Opfer an. Ist dieses beispielsweise infolge eingetretener Bewusstlosigkeit nicht (mehr) zum Empfinden ihm zugefügter Schmerzen fähig, scheidet das Mordmerkmal aus.[70]
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Für sich genommen kann grausames Verhalten den Tatbestand des Mordes nur dann erfüllen, wenn es Bestandteil des Tötungsgeschehens selbst ist. Was vor dessen Beginn liegt – z.B. grausames Vorgehen „nur“ mit Körperverletzungsvorsatz –, reicht in der Regel insoweit nicht aus.[71]
Beispiel:
A drückt auf Armen und Beinen des gefesselten B Zigaretten aus. Erst im Anschluss daran kommt A die Idee, B zu töten. Diese setzt er mit einem gezielten Pistolenschuss um.
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Entsprechendes gilt für ein Verhalten, das dem Vorgang des Tötens erst nachfolgt. Deshalb genügt „grausiges“ Verhalten wie etwa das Zerstückeln der Leiche nicht. Die Grausamkeit muss allerdings nicht notwendig in der Ausführungshandlung i.e.S. liegen, sondern kann sich auch aus den Umständen ergeben, unter denen die Tötung eingeleitet und vollzogen wird.[72]
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Die der Grausamkeit zugrundeliegende Gesinnung braucht schließlich kein allgemeiner Charakterzug des Täters zu sein, was in der Praxis ohnehin kaum feststellbar wäre. Es genügt, wenn sie ihn bei der Tatbegehung beherrscht hat. Dies ist regelmäßig schon anzunehmen, wenn der Täter dem Opfer die Schmerzen bewusst zugefügt hat.[73]
3. Mit gemeingefährlichen Mitteln
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Diese Modalität ist am meisten auf das äußere Tatgeschehen bezogen.
Merke:
Gemeingefährlich sind solche Mittel, deren konkreter – vom Täter nicht beherrschbarer (vgl. Rn. 49) – Einsatz geeignet ist, eine Mehrzahl von Menschen an Leib oder Leben zu gefährden. Dazu zählen typischerweise etwa Brandsetzungsmittel und Explosionsstoffe.[74]
Beispiele:
A setzt ein von mehreren Mietparteien bewohntes Haus mit Benzin in Brand, um den ebenfalls dort wohnenden B zu töten.[75]
C zündet in einer von über 200 Menschen besuchten Diskothek eine Bombe.[76]
D öffnet das Ventil einer Gasflasche, so dass sich in einer Garage ein Luftgasgemisch bildet, das beim Einschalten des Lichtschalters explodieren und in einer Entfernung von 50 Metern Zerstörungen verursachen kann.[77]
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Die Einbeziehung der Leibesgefahr ist grundsätzlich zu befürworten, nachdem der Gesetzgeber den vergleichbaren Streit im Rahmen des § 221 ungeachtet der Überschrift des Sechzehnten Abschnitts des StGB mit dem 6. StrRG i.d.S. entschieden hat.[78] Jedoch bedarf es zumindest der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung.
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Das Mordmerkmal hat seinen Grund in der besonderen Rücksichtslosigkeit, mit der der Täter sein Ziel durch die Schaffung unberechenbarer Gefahren für andere durchzusetzen sucht.[79] Daraus ergibt sich, dass die Verwendung eines abstrakt-generell gefährlichen Mittels für sich allein nicht ausreicht. Vielmehr muss sein Einsatz derart erfolgen, dass der Täter eine Ausdehnung der Gefahr über das von ihm gezielt angegriffene Tatopfer hinaus nicht in seiner Gewalt hat.[80] Kann er die konkrete Situation dagegen ausnahmsweise – evtl. aufgrund besonderer Fähigkeiten – in diesem Sinn kontrollieren, ist das Merkmal „gemeingefährlich“ zu verneinen.[81]
Beispiele:
A tötet B zwar mittels einer Bombe. Als Tatort wählt er aber ein einsames Waldgebiet, so dass eine Gefährdung Dritter ausgeschlossen ist.[82]
C wirft einen 30 kg schweren Stein von einer Autobahnbrücke auf das allein nahende Fahrzeug des D.[83]
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Dasselbe gilt grundsätzlich erst recht, wenn der Täter sein Opfer mit einem typischerweise beherrschbaren Tatmittel (z.B. einer Pistole) angreift, selbst wenn er dabei in Kauf nimmt, dass der Schuss fehlgeht und einen Unbeteiligten aus einer größeren Personengruppe treffen kann.[84] Denn bei dieser Konstellation fehlt es an der für das erhöhte Unrecht des Mordtatbestands erforderlichen Möglichkeit der kumulativen Gefährdung mehrerer Menschen.[85]
Vertiefungshinweise: