Die Staatsanwaltsklausur: Prüfungswissen für das Assessorexamen. Christian Jakob
I. Vorliegen einer Sachentscheidung
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Nur Sachentscheidungen verbrauchen die Strafklage.[4] Sachentscheidungen sind beispielsweise schuld- oder freisprechende Strafurteile und Strafbefehle (vgl. § 410 Abs. 3 StPO). Keine Sachentscheidung ist die Einstellungsverfügung nach § 170 Abs. 2 StPO, der Einstellungsbeschluss nach § 206a Abs. 1 StPO oder – wie es in Examensklausuren bereits abgeprüft wurde – ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG (siehe dazu Rn. 30). Liegt der Klausurakte eine Einstellungsverfügung nach § 170 Abs. 2 StPO bei, kann diese Entscheidung folglich von vornherein keinen Strafklageverbrauch erzeugen. Auf die bisweilen schwierige Umgrenzung der prozessualen Tat kommt es in diesem Fall nicht mehr an.
II. Die prozessuale Tat
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Weiter ist zu fragen, ob das zu verfolgende Delikt von der bereits rechtskräftig entschiedenen prozessualen Tat umfasst ist. Unter Tat ist die prozessuale Tat gem. §§ 155 Abs. 1, 264 Abs. 1 StPO zu verstehen. Anders als die Tat im materiellen Sinn, womit eine „Handlung“ i.S.d. §§ 52, 53 StGB gemeint ist, ist die Tat im prozessualen Sinn ein geschichtliches Vorkommnis, das das gesamte Verhalten des Täters umfasst, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang bildet.[5]
Zur Frage, wann ein Geschehen als „einheitlich“ bezeichnet werden kann, betont der BGH, dass zwischen den einzelnen Verhaltensweisen des Täters eine innere Verknüpfung dergestalt bestehen müsse, „dass ihre getrennte Würdigung in verschiedenen Verfahren als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde.“[6] Maßgeblich sind Kriterien wie die Identität des Geschehens (Tatort, Tatzeit, Tatobjekt, Zielrichtung des Täterverhaltens, Taterfolg) sowie die Identität der Personen.[7]
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Obwohl die Tat im materiellen Sinn von der prozessualen Tat streng zu unterscheiden ist, können die folgenden Grundsätze aufgestellt werden:
• | Eine Handlung gem. § 52 StGB bildet in der Regel auch eine Tat im prozessualen Sinn. |
• | Umgekehrt folgen aus mehreren Handlungen gem. § 53 StGB in der Regel auch mehrere Taten im prozessualen Sinn. |
Eine prozessuale Tat ist bei mehreren Handlungen gem. § 53 StGB nach BGH hingegen anzunehmen,
„wenn die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern wegen der ihnen zu Grunde liegenden Vorkommnisse unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch innerlich derart miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde.“[8]
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Obwohl materiell-rechtlich Tatmehrheit vorliegt, kann in Anwendung der Rechtsprechung des BGH folglich von nur einer prozessualen Tat auszugehen sein.
Beispiele:
(1) Der Beschuldigte hat während der Trunkenheitsfahrt (fahrlässig, § 316 Abs. 2 StGB) einen Unfall verursacht und beschließt, den Unfallort zu verlassen (§ 142 StGB und erneut – nun vorsätzlich – § 316 Abs. 1 StGB). Hier soll nach BGHSt 25, 72 durch den Unfall eine Zäsur erfolgt sein, sodass jede weitere Straftat hierzu tatmehrheitlich verwirklicht wird. Dennoch besteht nur eine Tat im prozessualen Sinn.
(2) Gleiches gilt in den Fällen, in denen der Beschuldigte das eigene Haus in Brand gesetzt hat, um die Versicherungssumme zu kassieren. Hier stehen die Brandstiftungsdelikte in Tatmehrheit zum späteren Betrug gegenüber und zu Lasten der Versicherung, gleichwohl handelt es sich um eine prozessuale Tat.[9]
III. Einschränkungen des Strafklageverbrauchs
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Obwohl das zu prüfende Delikt Gegenstand derselben prozessualen Tat ist, über die mit Rechtskraft entschieden wurde, kann das Delikt verfolgt werden, wenn der Strafklageverbrauch eingeschränkt ist und das Delikt die Voraussetzung der weiteren Verfolgbarkeit erfüllt. Fallgruppen, die in Examensklausuren abgeprüft werden können:
1. Nach Einstellung des Verfahrens, §§ 153 ff. StPO
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Hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach § 153a Abs. 1 StPO endgültig eingestellt, kann die prozessuale Tat nur noch wegen eines Verbrechens verfolgt werden, § 153a Abs. 1 S. 5 StPO. Gleiches gilt für den Einstellungsbeschluss des Gerichts gem. § 153a Abs. 2 S. 2 StPO.
Für die Einstellung wegen Geringfügigkeit gem. § 153 StPO sieht das Gesetz keinen Strafklageverbrauch vor. Erfolgt die Einstellung aber durch Beschluss des Gerichts gem. § 153 Abs. 2 StPO, ist aber § 153a Abs. 1 S. 5 StPO analog anzuwenden. Denn dann hat ein Gericht den Sachverhalt umfassend geprüft, sodass der Beschuldigte bei Einstellung ohne Auflage nicht schlechter stehen soll als bei Einstellung mit Auflage gem. § 153a Abs. 1 StPO.[10]
2. Nach Verurteilung durch Strafbefehl
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Ist der Beschuldigte in einem anderen Strafverfahren durch rechtskräftigen Strafbefehl verurteilt (§ 410 Abs. 3 StPO) worden, kann dieselbe prozessuale Tat nur noch unter den Voraussetzungen des § 373a StPO verfolgt werden.[11] Bekanntlich kann ein Strafbefehl ausschließlich bei Vergehen erlassen werden, vgl. § 407 Abs. 1 S. 1 StPO. Konsequenterweise eröffnet § 373a StPO die Möglichkeit, die Tat
(1.) wegen eines Verbrechens weiter zu verfolgen, sofern
(2.) neue Beweismittel oder Tatsachen beigebracht worden sind.
Aber beachten Sie: § 373a StPO bildet keinen Fall der Rechtskraftbeschränkung, sondern der Rechtskraftdurchbrechung. Das bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft das Wiederaufnahmeverfahren zuungunsten des Beschuldigten aus der Akte des abgeschlossenen Verfahrens heraus betreiben wird. Die Tat wird nach erfolgreicher Zulässigkeitsprüfung (sog. Additionsverfahren) in zumeist neuer Hauptverhandlung (sog. Probationsverfahren) unter dem alten Aktenzeichen weiterverfolgt werden. In der Klausursituation dürfte Ihnen indes ein neues Verfahren in neuer Akte (neues Js-Aktenzeichen!) vorliegen. In diesem Verfahren dürfen Sie das Delikt folglich nicht (erneut) anklagen, sondern müssen die Voraussetzungen des Wiederaufnahmeverfahrens (§ 373a Abs. 2 i.V.m. §§ 359 ff. StPO) – je nach Bundesland: im B-Gutachten – prüfen.
Beispiel:
Der Beschuldigte hat sich wegen eines Straßenverkehrsdelikts am 25.07.2020 hinreichend verdächtig gemacht. Zugleich ergeben die Ermittlungen aus der Akte, dass er sich am 23.12.2019 wegen Raubes hinreichend verdächtig gemacht hat. Hinsichtlich dieser Tat wurde der Beschuldigte bereits wegen Diebstahls im Wege eines rechtskräftigen Strafbefehls (Az. 21 Js 532/19) verurteilt.
In der Klausur klagen Sie das Straßenverkehrsdelikt an. Hinsichtlich des Raubverdachts prüfen Sie die Voraussetzungen eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens, der in der anderen Verfahrensakte (Az. 21 Js 532/19) zu stellen wäre. Im Bearbeitervermerk findet sich zur Prüfungserleichterung häufig der Hinweis, dass der Prüfling