Ius Publicum Europaeum. Paul Craig
fehlt.[206] Dies hat auch die Union zu respektieren. Als ausreichendes Korrektiv der nach nationalem Recht fehlenden Weisungsfreiheit und als Garant für das unionsrechtlich geforderte Maß an Transparenz wirkt die Pflicht zur Veröffentlichung von Weisungen.[207] Die politische Unabhängigkeit wird ferner personell durch Inkompatibilitätsvorschriften[208] und prozedural durch das justizförmige Kammerverfahren[209] verbürgt.[210]
dd) Elektronische Verwaltung
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Seit dem Ende der 1990er-Jahre sind die Abläufe in der Verwaltung und Verwaltungsjustiz[211] in Deutschland in zunehmendem Maße durch das Leitbild der Elektronischen Verwaltung (Electronic Government, E-Government) gekennzeichnet.[212] Gemeint ist hiermit der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik zum Zwecke der Verbesserung der Verwaltungsleistungen, der Erhöhung der Bürgernähe und Transparenz[213] sowie der Steigerung der administrativen Effizienz.[214] Hauptschubkräfte für die seit einigen Jahren zu konstatierende neue Qualität auf dem Gebiet der Informatisierung der Verwaltung[215] waren die rasante Weiterentwicklung der Informationstechnik, die Veränderungen in der Verwaltungskultur infolge des Neuen Steuerungsmodells sowie die Verbreitung des Internets[216] als Kommunikationsmedium innerhalb der Bevölkerung.
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Zunächst ging es bei der Umsetzung des Leitbildes des E-Government vor allem um die Erleichterung des Zugangs des Bürgers und der Wirtschaft zu öffentlichen Dienstleistungen über einheitliche Internet-Portale der Behörden und um die Einrichtung von Behörden als einzigem virtuellen Ansprechpartner („One-Stop-Government“).[217] In neuerer Zeit verlagert sich der Schwerpunkt stärker zur Reorganisation der behördeninternen Arbeitsabläufe, etwa durch Einführung des papierarmen Büros, Standardisierung und Mehrfachverwendung von Prozessteilschritten, Entwicklung einheitlicher Formate, Einsatz von Work-Flow-Managementsystemen oder Ausbau von Informationsverbünden. Art. 8 der EU-Dienstleistungsrichtlinie hat zu einer weiteren Aufwertung des Konzepts des E-Government geführt,[218] die sich in Deutschland u.a. in § 41 Abs. 2 und § 71e VwVfG n.F. niedergeschlagen hat.[219] Einzelmaßnahmen im Rahmen des E-Government sind indes rechtspolitisch und verfassungsrechtlich durchaus kontrovers (z.B. Einführung eines „E-Personalausweises“[220]).
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Die geschilderte tatsächliche Entwicklung der Verwaltung in der Informations- und Wissensgesellschaft[221] ist nicht ohne Rückwirkungen auf die Dogmatik des Verwaltungsrechts geblieben: In der Verwaltungsrechtswissenschaft setzt sich immer mehr die Erkenntnis von der Notwendigkeit der systematischen Ausbildung eines übergreifenden Informationsverwaltungsrechts durch, in dessen Zentrum die Steuerungsfaktoren Information, Wissen und Kommunikation stehen und für dessen wissenschaftliche Etablierung bereits wesentliche Vorarbeiten geleistet wurden.[222] Andreas Voßkuhle[223] hat hierfür vier Regelungssektoren ausgemacht, die im Kontext ihrer Vernetzung innerhalb der EU[224] analysiert werden müssen: (1) Ein die Informations- und Kommunikationsbeziehungen zwischen Staat und Bürger regelndes Verwaltungskommunikationsrecht (z.B. elektronisches Verwaltungsverfahren, elektronischer Verwaltungsakt,[225] Informationszugangsrechte), (2) ein den verwaltungsinternen Bereich betreffendes informationelles Verwaltungsorganisationsrecht, (3) ein das Verhältnis der privaten Akteure untereinander ordnendes informationsbezogenes, wettbewerbs- und marktorientiertes Regulierungsrecht und (4) ein Datenverkehrsrecht, das dem Schutz personenbezogener Informationen dient.
aa) Stärkung der Verwaltungsverantwortung
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Das Unionsrecht nimmt sowohl unmittelbar durch punktuelle Organisationsregelungen als auch mittelbar über die aus der Unionstreue (Prinzip der loyalen Zusammenarbeit, Art. 4 Abs. 3 EUV[226]) abgeleiteten Gebote der Äquivalenz und der Effektivität des indirekten Vollzugs auf das nationale Verwaltungsorganisationsrecht Einfluss.[227] Beispiele wären primärrechtliche Privatisierungsimpulse[228] oder die sekundärrechtliche Pflicht, bestimmte Verwaltungsstellen zu errichten bzw. zu vernetzen.[229] Die teilweise andersartigen Regelungsdesigns der EU haben dabei den Einfluss der steuernden Legislative, aber auch der kontrollierenden Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Tendenz eher zurückgedrängt.[230] Die materiell-rechtlichen Vorgaben greifen zwar weit aus, verlieren aber an inhaltlicher Dichte (Finalisierung der Steuerung)[231]. Die Steuerung durch Ressourcen[232], durch Organisation[233] und durch Verfahren (Prozeduralisierung des Rechts) tritt vielfach an die Stelle der parlamentarischen Entscheidung in der Sache.
bb) Europäischer Verwaltungsverbund
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Die Europäische Verwaltung nimmt zunehmend die Form eines Netzwerks[234] an, in dem verschiedene Entscheidungsebenen – bis hin zu Formen einer „Gemeinsamen Europäischen Verwaltung“[235] – miteinander interagieren.[236] Mit Blick auf diese vielfältigen,[237] nicht selten informalen Formen der Zusammenarbeit[238] zwischen nationalen Behörden sowie zwischen nationalen Behörden und der Kommission[239] wird von der Herausbildung eines horizontalen und vertikalen Europäischen Verwaltungsverbunds im Sinne eines Informations-, Handlungs- und Kontrollverbunds[240] oder – juristisch weniger präzise – von einer Mehrebenenverwaltung[241] gesprochen.
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Rechtsstaatliche Grundprinzipien Europäischer Verbundverwaltung sind Transparenz, Kohärenz und Subsidiarität.[242] Ausprägungen des Verbundgedankens sind das europäische Umweltinformationsnetz[243] oder die Verpflichtung, innerhalb des mitgliedstaatlichen Territoriums Behörden zur Verwaltung von Flussgebietseinheiten einzurichten und bei grenzüberschreitenden Flussverläufen mit anderen Anrainerstaaten Kooperationsbedingungen zu institutionalisieren[244]. Die Bundesnetzagentur ist Teil eines europäischen Regulierungsverbundes[245] und daher kompetenziell in vielfacher Weise mit Entscheidungsbefugnissen anderer nationaler Regulierungsbehörden und der Kommission verwoben (vgl. Art. 7 Abs. 3–5 Telekommunikationsrahmenrichtlinie, § 12 Abs. 2 TKG).
cc) Europäische Verwaltungszusammenarbeit und Einheitlicher Ansprechpartner
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Zu einer weiteren Intensivierung der europäischen Verwaltungszusammenarbeit in Form einer Europäisierung der Amtshilfe[246] zwischen den national zuständigen Behörden hat die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (kurz: EU-Dienstleistungsrichtlinie – DLRL)[247] geführt (Art. 21, 28–35 DLRL). Durch Art. 4a des Gesetzes vom 17.7.2009 zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewerberecht und in weiteren Rechtsvorschriften[248] wurde ein neuer Abschnitt „Europäische Verwaltungszusammenarbeit“ (§§ 8a–8e) in das VwVfG eingefügt.[249] Die „Europäische Verwaltungszusammenarbeit“ geht jedoch über die traditionelle deutsche Amtshilfe (§§ 4ff. VwVfG) weit hinaus.
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Daneben brachte die DLRL u.a.[250] weit reichende Überformungen des Verwaltungsorganisationsrechts: Art. 6 DLRL sieht zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung die Einrichtung eines sogenannten Einheitlichen Ansprechpartners vor, über den alle Verfahren und Formalitäten, die für die Aufnahme der Dienstleistung notwendig sind, abgewickelt werden können. Hauptaufgaben[251] des Einheitlichen Ansprechpartners sind die Übermittlung von Informationen darüber, welche verfahrens- und materiell-rechtlichen Anforderungen für die rechtmäßige Aufnahme und Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit zu beachten sind, sowie eine Unterstützung bei der Abwicklung der erforderlichen Verfahren.
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Die Umsetzung der DLRL erfolgte in Deutschland u.a.[252] durch das Vierte Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften (4. VwVf ÄndG) vom 11.12.2008[253]. Ihm dient die Umsetzung der DLRL als Anlass für eine „überschießende Transformation“