Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
gilt für die über Facebook auf den Timelines der Nutzer wiedergegebenen Inhalte. Diese sind teils private Meinungsbekundungen, teils verlegerische Angebote, deren Verbreitungsgrad und somit auch Klickhäufigkeit zum einen durch einen von Facebook kontrollierten Algorithmus und zum anderen durch die Verbreitung durch die Nutzer („Gefällt mir“-Button) bestimmt wird. Durch die Verbreitung über Freunde besteht zum einen die Gefahr einer „Meinungsbubble“, zum anderen mag manchem Nutzer ein von einem Freund empfohlener Artikel durch den persönlichen Bezug besonders glaubhaft erscheinen. Solche nachrichtenähnlichen Inhalte sind Multiplikatoren der Meinungsbildung und erfüllen damit das Kriterium eines Mediums, ohne aber wie die klassischen Medien reguliert zu sein.[72] Es handelt sich demnach um neue Formen der Meinungsbildung und -macht, deren Relevanz und Brisanz evident werden, wenn es um die Verbreitung von „Fakenews“, also ausgedachter und unwahrer Nachrichten und Meldungen, geht. Hierin liegt eine neue und sehr konkrete Gefahr einer Meinungsmacht und Beeinflussung, die geeignet sein kann, die Meinungsfreiheit zu pervertieren. Denn wird die Meinungsfreiheit als Vorwand für Beleidigungen und Ehrverletzungen („Hatespeech“) missbraucht, so verliert sie ihre in Art. 5 Abs. 1 GG vorgesehene Legitimierung.[73] Dies kann einen ähnlich gravierenden und zersetzenden Effekt auf die Meinungsfreiheit und letztlich die Demokratie haben wie Meinungsmonopole und -kartelle.[74] Begegnet werden könnte diesen Gefahren mit einer dreistufigen Regulierung. In einem ersten Schritt ist es dem jeweiligen Unternehmen selbst überlassen, ggf. mit externer Hilfe geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Rechtsverstöße zu ahnden. In einem zweiten Schritt stünde ein runder Tisch der wesentlichen betroffenen Netzanbieter, der verbindliche Regeln festsetzt. Ein dritter Schritt wäre dann ein System der freiwilligen Selbstkontrolle, wie etwa nach dem Vorbild des Jugendmedienschutzes. Bei dieser Form der regulierten Selbstregulierung würden die Anbieter als maßgebliche Teiler der Internetwirtschaft selbst den Rahmen vorgeben dessen Einhaltung in Form einer staatlichen Letztkontrolle überwacht würde.[75]
19
Auch der Gesetzgeber sah hier Handlungsbedarf. Er hat das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG)[76] auf den Weg gebracht, das am 1.10.2017 in Kraft getreten ist.[77] Das Gesetz stellt einen wichtigen Baustein zur Internetregulierung dar.[78] Als verfassungskonforme Ausgestaltung der Meinungsfreiheit enthält es Verfahrensregeln für die Nutzung Sozialer Netzwerke und nimmt so die Anbieter Sozialer Medien verstärkt in die Verantwortung.[79] Das NetzDG konkretisiert dazu unter anderem die Regelungen des TMG durch Verfahrensvorschriften und überträgt Sozialen Netzwerken Pflichten, die der EuGH für Suchmaschinenbetreiber zum Teil bereits etabliert hat.[80] Die durch das NetzDG unvermeidlichen Eingriffe in die Meinungsfreiheit nach Art. 5 I GG wurden in einen angemessenen Ausgleich mit deren Schranken aus Art. 5 II GG zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter gebracht.[81] Insbesondere verfolgt das NetzDG den Ansatz einer regulierten Selbstregulierung: Anbieter Sozialer Netzwerke können sich einer privaten Kontrolleinrichtung anschließen und sich deren Verfahrensstandards unterwerfen. Es soll ein Beschwerdemanagementsystem entwickelt und zertifiziert werden, das mit einer staatlichen Aufsichtsbehörde abgestimmt wird. Wer sich diesen Standards unterwirft und sie einhält, kann in der Folge von der Aufsicht wegen seines Beschwerdemanagements und im Falle vermuteter Verstöße gegen die gesetzlichen Standards nicht belangt werden und ist insoweit privilegiert. Indem der Durchgriff der Aufsicht auf zertifizierte Anbieter gesperrt ist, entfällt für diese der Druck, aus Angst vor einem Bußgeld Inhalte vorschnell zu löschen (sog. „Overblocking“).[82] Die materiell-rechtliche Entscheidung hinsichtlich der Rechtswidrigkeit von Inhalten bei der Bearbeitung von Beschwerden ist vom NetzDG nicht betroffen. Hier endet die Kompetenz des Bundes aus dem Recht der Wirtschaft. Nach welchen Regeln Inhalte verboten werden müssen, entscheiden die jeweilige Medienaufsicht der Länder und ihre Landesmedienanstalten.[83]
20
Neben der Vielfaltsicherung und unabhängig von der Meinungsbildungsrelevanz eines Angebots muss auch der Zugriff auf Inhalte mit Gefährdungspotential einheitlich geregelt werden.[84] Als gefährdete Rechtsgüter kommen beispielsweise das Urheberrecht,[85] Persönlichkeitsrechte Dritter oder der Jugendschutz[86] in Betracht. So müssen etwa jugendgefährdende Inhalte im Internet in gleicher Weise vor der Nutzung durch Minderjährige geschützt werden, wie dies bei gleichartigen Fernsehprogrammen der Fall ist.[87] Auch können die dargebotenen Inhalte selbst – etwa durch Missachtung des Urheberrechts – gefährdet sein. Werden Rechtsgüter Dritter gefährdet, kann durch Zugangsbeschränkungen sichergestellt werden, dass die jeweiligen Inhalte nur autorisierten Personen (z.B. Personen über 18 Jahre oder zahlende Kunden einer Online-Videothek) zur Verfügung stehen. Daneben besteht die Möglichkeit, rechtsverletzende Inhalte zu filtern/zu sperren oder zu löschen. Allerdings stoßen derartige Vorhaben häufig auf erhebliche Widerstände der sog. Netzgemeinde, die sich in ihren Kommunikationsfreiheiten unangemessen beschränkt sieht.[88] Tatsächlich müssen derartige Bedenken dahingehend berücksichtigt werden, dass der Abruf von Inhalten nicht unverhältnismäßig und vor allem nur auf solche Angebote beschränkt wird, die eindeutig rechtsverletzend sind.[89] In seiner „Goldesel“-Entscheidung hat der BGH[90] entschieden, dass Access-Providern, die rechtswidrige Inhalte wie etwa urheberrechtlich geschützte Musik verbreiten, die Pflicht auferlegt werden kann, den Zugang zu den rechtswidrigen Inhalten im Netz zu sperren. Ein ausdrücklicher Sperranspruch der Rechteinhaber findet sich nun mehr in § 7 Abs. 4 S. 1 TMG.[91] Dies soll jedoch erst dann erforderlich sein, wenn die Rechteinhaber vorher versucht haben, die Identität der Websiteinhaber zu ermitteln und unmittelbar gegen diese vorzugehen.[92] Netzsperren müssen nach § 7 Abs. 4 S. 2 zumutbar und verhältnismäßig sein und sind demnach nur als Ultima Ratio ein zulässiges Mittel.
21
Losgelöst von Übertragungswegen und linearer bzw. non-linearer Angebotsstruktur bedarf es einer Regulierung folglich immer dann, wenn der jeweilige Inhalt für die persönliche und allgemeine Meinungsbildung von Relevanz ist oder ein gefährdendes Potential für bestimmte Rechtsgüter aufweist oder diese sogar verletzt. Hiervon ausgehend kann und muss ein abgestuftes System weg von der Sonderstellung des Rundfunks hin zu einer flexiblen angebots- und inhaltsbezogenen Regulierung geschaffen werden. Zu berücksichtigen ist dabei, dass eine ausgewogene, die Rechtspositionen sämtlicher Beteiligter in Betracht ziehende Regulierung nicht freiheitsbeschränkend wirkt, sondern für die Meinungs- und Informationsvielfalt sowie die Verhinderung bzw. Kontrolle einseitiger Machtstrukturen vielmehr konstituierend ist.[93]
3. Aktuelle Regulierungsansätze
22
Angesichts der zunehmenden Überschneidung sämtlicher Mediengattungen und der damit verbundenen Zuordnungsschwierigkeiten wird bisweilen die Schaffung eines einheitlichen Grundrechts der Medienfreiheit gefordert.[94] Wird aber die Differenzierung nach Mediengattungen auf Verfassungsebene aufgegeben, müsste auch die einfachgesetzliche Medienordnung auf eine gattungsspezifische Regulierung verzichten. Angezeigt wäre insoweit eine gattungsübergreifende Regulierung nach den Kriterien der Meinungsbildungsrelevanz und des Gefährdungspotenzials eines Angebots.[95]
23
Neben der Einführung eines einheitlichen Mediengrundrechts wurde alternativ die Schaffung einer zusätzlichen grundrechtlichen Gewährleistung, der sog. Internetdienstefreiheit, vorgeschlagen.[96] Parallel dazu wurde auf einfachgesetzlicher Ebene die Schaffung eines Internet-Gesetzbuches (NetGB) als einheitliches Gesetz gefordert, in dem alle Normen mit Netzbezug vereint werden sollen. Angedacht war z.B., den Anspruch auf Zugang zum Netz, den Schutz der Daten und der digitalen Persönlichkeit, den Kinder- und Jugendschutz, den Verbraucherschutz bei Geschäften im Internet und das Urheberrecht in der digitalen Welt zu behandeln.[97] Derartige Bestrebungen bieten indessen gegenüber der aktuellen Rechtslage keinen Vorteil und sind in der Debatte zu Recht in den Hintergrund getreten. Durch die ausdrückliche Benennung der „Internetdienste“ neben den grundrechtlich geschützten Gattungen des Rundfunks, der Presse und dem Film würde lediglich eine zusätzliche Begriffskategorie geschaffen. Der medialen Realität, in der sich Angebote häufig nur noch schwer in derartige Kategorien einteilen lassen, wäre dadurch kein Dienst erwiesen. Auch wird die bloße Kompilation