Auf zwei Planeten. Kurd Laßwitz

Auf zwei Planeten - Kurd Laßwitz


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gesprochen wurden, endlich sogar Idiome, die allein im Kreis einzelner Familiengruppen verstanden wurden. Denn es zeigte sich als eine Eigentümlichkeit der Kultur der Martier, daß der allgemeinen Gleichheit und Nivellierung in allem, was ihre soziale Zusammengehörigkeit als Bewohner desselben Planeten anbetraf, eine ebenso große Mannigfaltigkeit und Freiheit des individuellen Lebens entsprach. Wenn so die schnelle Erfaßbarkeit des Martischen den Deutschen zugute kam, so brachte die erstaunliche Begabung der Martier andererseits zuwege, daß sie sich wie spielend das Deutsche aneigneten. Gegenüber dem verwirrenden Formenreichtum des Grönländischen erschien ihnen das Deutsche wesentlich leichter. Was aber die schnellere Erlernung desselben hauptsächlich bewirkte, war der Umstand, daß das Deutsche als Sprache eines hochentwickelten Kulturvolkes dem geistigen Niveau der Martier soviel näherstand. Was der Grönländer in seiner Sprache auszudrücken wußte, die konkrete Art, wie er es nur ausdrücken konnte, der enge Interessenkreis, auf den sich das Leben des Eskimo beschränkte, das alles war dem Martier sehr gleichgültig, und er beschäftigte sich damit nur, weil er bisher kein anderes Mittel besaß, mit Bewohnern der Erde in Verkehr zu treten. Ganz anders aber wurde das Interesse der Martier erregt, als sie mit Grunthe und Saltner Gesprächsthemata berühren konnten, die ihrem eigenen gewohnten Gedankenkreis näherlagen. Im Deutschen fanden sie eine Sprache, reich an Ausdrücken für abstrakte Begriffe, und dadurch verwandt und angemessen ihrer eigenen Art zu denken. Die Überlegenheit, mit welcher die Martier die kompliziertesten Gedankengänge behandelten und in einem allgemeinen Begriff jede einzelne seiner Anwendungen mit einemmal überblickten, diese bewundernswerte Feinheit der Organisation des Martiergehirns kam den Deutschen zum erstenmal zum vollen Bewußtsein, als sie die Gewandtheit bemerkten, mit welcher die Martier das Deutsche nicht nur erfaßten und gebrauchten, sondern gewissermaßen aus dem einmal begriffenen Grundcharakter die Sprache mit genialer Kraft nachschufen.

      Grunthe und Saltner wurde es sehr bald klar, daß die Martier geistig in ganz unvergleichlicher Weise höher standen als das zivilisierteste Volk der Erde, wenn sie auch noch nicht zu übersehen vermochten, wie weit diese höhere Kultur reiche und was sie bedeute. Ein Gefühl der Demütigung, das ja nur zu natürlich war, wenn der Stolz des deutschen Gelehrten einer höheren Intelligenz sich beugen mußte, wollte im Anfang die Gemüter verstockt machen. Aber es konnte nicht lange vor der übermächtigen Natur der Martier bestehen. Es wich widerstandslos der ungeteilten Bewunderung dieser höheren Wesen. Neid oder Ehrgeiz, es ihnen gleichzutun, konnten bei den Menschen gar nicht aufkommen, weil sie sich nicht einfallen lassen durften, sich mit den Martiern auf dieselbe Stufe der Einsicht stellen zu wollen.

      Freilich wurden sie von den Martiern wie Kinder behandelt, denen man ihre Torheit liebevoll nachsieht, während man sie zu besserem Verständnis erzieht. Aber davon merkten Grunthe und Saltner nichts. Denn die Martier, wenigstens diejenigen der Insel, waren viel zu klug und taktvoll, als daß sie je ihre Überlegenheit in direkter Weise geltend gemacht hätten. Sie wußten es so einzurichten, daß den Menschen die Berichtigung ihrer Irrtümer als Resultat der eigenen Arbeit erschien, und ihre unvermeidlichen Mißgriffe korrigierten sie mit entschuldigender Liebenswürdigkeit.

      Die Wunder der Technik, welche die Forscher bei jedem Schritt auf der Insel umgaben, versetzten sie in eine neue Welt. Sie fühlten sich in der beneidenswerten Lage von Menschen, die ein mächtiger Zauberer der Gegenwart entrückt und in eine ferne Zukunft geführt hat, in welcher die Menschheit eine höhere Kulturstufe erklommen hat. Die kühnsten Träume, die ihre Phantasie von der Wissenschaft und Technik der Zukunft ihnen je vorgespiegelt hatte, sahen sie übertroffen. Von den tausend kleinen automatischen Bequemlichkeiten des täglichen Lebens, die den Martiern jede persönliche Dienerschaft ersetzten, bis zu den Riesenmaschinen, die, von der Sonnenenergie getrieben, den Marsbahnhof in sechstausend Kilometer Höhe schwebend erhielten, gab es eine unerschöpfliche Fülle neuer Tatsachen, die zu immer neuen Fragen drängten. Bereitwillig gaben die Wirte ihren Gästen Auskunft, aber in den meisten Fällen war es gar nicht möglich, ihnen den Zusammenhang zu erklären, weil ihnen die Vorkenntnisse fehlten. Grunthe war in dieser Hinsicht so vorsichtig, nicht viel zu fragen; er suchte sich auf seine eigne Weise zurechtzufinden, sobald er sah, daß die Erklärung der Martier über seinen Horizont ging. Saltner machte sich weniger Skrupel darüber. »Das hilft nun nichts«, pflegte er zu sagen, »wir spielen einmal hier die wilden Indianer, und was wir nicht begreifen, ist Medizin.«

      Als ihnen Hil zum erstenmal die Einrichtung erklärt hatte, wodurch sich die Martier in ihren Zimmern den Druck der Erdschwere erleichterten, und Grunthe mit zusammengekniffenen Lippen in tiefes Nachdenken verfiel, sagte Saltner einfach: »Medizin« und hob Grunthe samt dem Stuhl, auf welchem er saß, mit ausgestreckten Armen über seinen Kopf. Diese Kraftleistung war zwar für ihn bei der auf ein Drittel verringerten Erdschwere durchaus nichts Besonderes, ließ ihn aber doch den Martiern als einen Riesen an Stärke erscheinen.

      Das Zimmer, welches an die beiden Schlafzimmer von Grunthe und Saltner stieß, war für den bequemen Verkehr der Martier mit den Menschen in eigentümlicher Weise eingerichtet worden. Da nämlich die Verringerung der Erdschwere, deren die Martier für die Leichtigkeit ihrer Bewegungen bedurften, von Grunthe und Saltner nicht gut vertragen wurde, so hatte man es durch eine am Boden markierte Linie – Saltner nannte sie den ›Strich‹ – in zwei Teile zerlegt. Der abarische Apparat konnte für die Hälfte des Zimmers, welche an die Wohnräume der Menschen grenzte, ausgeschaltet werden, während in dem übrigen Teil die Gegenschwere auf das den Martiern gewohnte Maß eingestellt wurde. Hier hielten sich die Martier auf, wenn sie bei den Deutschen ihre Besuche machten, während diese sich nach ihren Wünschen eingerichtet hatten, soweit es mit den von den Martiern bereitwillig hergegebenen Möbeln und den wenigen von ihnen selbst mitgebrachten Gegenständen geschehen konnte. Freilich beschränkte sich diese Einrichtung nur auf die Aufstellung eines Arbeitstisches, einiger Bücher, Schreibmaterialien und Instrumente; denn in dieser Hinsicht wußten die Forscher nur in der ihnen gewohnten Weise auszukommen. Was im übrigen die Bequemlichkeiten des täglichen Lebens anbetraf, so waren sie nicht nur auf die Apparate und Gewohnheiten der Martier angewiesen, sondern fanden dieselben auch bald um so viel vorteilhafter und angenehmer, daß sie gern darüber nachdachten, wie sie dergleichen in ihre Heimat verpflanzen könnten.

      Saltner, der seinen photographischen Apparat unter den geretteten Gegenständen wiedergefunden hatte, konnte kaum Zeit genug gewinnen, alle die Ausstattungsstücke der Martier aufzunehmen und die gänzlich neuen Formen der Verzierungen, die Gemälde, Kunstwerke und Zimmerpflanzen abzubilden. Ein besonderes Studium machte er aus den Automaten, deren Mechanismus er zu ergründen suchte und sich immer wieder aufs neue erklären ließ.

      Seine Beraterin in diesen Dingen war in der Regel die immer heitere Se, seine liebenswürdige Pflegerin beim ersten Erwachen. Sie hielt sich täglich einen großen Teil ihrer Zeit über in dem gemeinschaftlichen Gesellschaftszimmer auf und machte den Gästen gewissermaßen die Honneurs des Hauses. Dagegen bekam Saltner La nur selten zu sehen, gewöhnlich nur des Abends, wenn sich die Martier in größerer Anzahl einzustellen pflegten. Und dann hielt sie sich gern zurück, obwohl er oft fühlte, daß ihre großen Augen mit einem sinnenden Ausdruck auf ihm ruhten. Sein lebhaftes Gespräch mit Se aber unterbrach sie häufig durch eine Neckerei. Da man sich meist bei geöffneten Fernhörklappen unterhielt, so konnte man, sobald man wollte, einem Gespräch in einem andern Zimmer zuhören und sich hineinmischen; so war es nichts Ungewöhnliches, daß man von einem Zwischenruf eines ungeahnten Zuhörers unterbrochen wurde. Ebensowenig aber nahm es jemand übel, wenn man einfach seine Klappe abschloß.

      Die Sprachstudien waren speziell zwischen La und Saltner nicht wieder aufgenommen worden. Denn La hatte noch mehrere Tage nach ihrem Unfall sich vollkommener Ruhe hingeben müssen, und als sie wieder gesundet war, fand sie das gegenseitige Verständnis zwischen Menschen und Martiern schon ziemlich weit vorgeschritten. Aber auch sie hatte ihre unfreiwillige Muße benutzt und nicht nur den Ellschen Sprachführer, sondern auch die wenigen Nachschlagwerke, welche die Luftschiffer mit sich hatten, durchstudiert.

      Trotz des Eindrucks, den die reizende Se auf Saltners empfängliches Gemüt machte, flogen seine Gedanken immer zu der stilleren, milden La zurück, und es war ihm stets wie eine leichte Enttäuschung, wenn er sie im Zimmer nicht vorfand. Gerade daß er öfter ihre tiefe Stimme vernahm, ließ ihn ihren Anblick um so mehr vermissen.

      Las Zurückhaltung war nicht absichtslos. Daß sowohl


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