Der Waldläufer. Gabriel Ferry

Der Waldläufer - Gabriel  Ferry


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Nähe der Gefahr werden sie in tollem Schrecken die Flucht ergreifen. Der Jaguar, der hier herumschweift, wird sie nicht verfolgen, weil der Instinkt die Pferde nach der dem Wasser, von dem er sich nicht entfernen will, entgegengesetzten Seite treiben wird, und … vielleicht …«

      »Vielleicht?« fragten mehrere Stimmen auf einmal.

      »Vielleicht«, fuhr Benito feierlich fort, »vielleicht hat er schon Menschenfleisch gekostet; und da diese Tiere, wie ich euch eben sagte, sehr sinnlich sein sollen, so wird er das Fleisch eines Pferdes verschmähen, wenn er denn eines von uns bekommen kann; und wenn man alles bedenkt, so hat man nicht allzuviel Recht, ihn darum zu tadeln.«

      »Das ist ermutigend!« unterbrach Cuchillo.

      »Gewiß, denn er wird sich mit einem begnügen, sofern nämlich …«

      Benito schien der Mann zu sein, etwas Schreckliches absichtlich zu verschweigen; auch wagte niemand mehr, ihn während einer Minute zu fragen. Dann aber rief Cuchillo, ungeduldig, ihn immer noch schweigen zu sehen: »Zum Teufel, so redet doch!«

      »Ich wollte nur sagen«, antwortete der alte Vaquero, »sofern er nicht sein Weibchen bei sich hat, in welchem Fall …«

      Ein dumpfes Knurren – freilich weniger nahe als das erste, das sie gehört hatten, aber weniger entfernt auch als das zweite – bestätigte die Versicherung des alten Vaqueros.

      »Da ist der Beweis«, sagte er, »daß der Durst lebhafter wird, denn die Nachtluft macht ihn nur zorniger, da sie ihm die frischen Ausdünstungen der Zisterne zuführt.«

      Unterdessen verbreitete die nach und nach aufgezehrte Glut weniger helles Licht umher, und der Holzvorrat näherte sich seinem Ende. Eine erschreckende Gleichmäßigkeit zeigte sich zwischen dem Fortschritt des Durstes beim Jaguar und der Verminderung des Holzes an der Feuerstelle. Der Glanz des Feuers war das unübersteigliche Hindernis, das der Verzweiflung des Raubtieres entgegengesetzt werden konnte.

      Ein Brüllen wie der Ton einer Trompete erscholl plötzlich von der der letzten entgegengesetzten Richtung und schnitt ihm das Wort vom Mund ab.

      »Ave Maria! Der Jaguar ist beweibt?« rief Baraja ängstlich.

      »Dieser Mann spricht die Wahrheit«, bestätigte Benito, »denn wir haben hier zwei, und noch niemals haben zwei männliche Jaguare gemeinschaftlich gejagt. Was Ihr auch dazu sagen mögt, Señor Cuchillo, wir haben nun schon zwei Chancen weniger. Der Durst nimmt zu, und der Jaguar hat sich verdoppelt. Also eins verhält sich zu vier wie zwei zu acht; das heißt …«

      Bei einem Brüllen, das aus der unbestimmten Grenze der nächtlichen Finsternis und des Lichtgürtels, der die Poza erhellte, hervorzudringen schien, lösten sich die Pferde, die sich bis jetzt dicht beim Feuer gruppiert hatten, von tollem Schrecken ergriffen, in wilde Flucht auf. Die Erde zitterte unter ihren Hufen, die Büsche krachten mit schrecklichem Lärm, und alle verloren sich bald unter den Schatten des Waldes, den die Strahlen des Mondes mit einem durch das Laubdach gebrochenen Licht erhellten. Das war ein Zeichen, daß die Gefahr sich vergrößerte und die Tiere, die Begleiter des Menschen, alles Vertrauen in seinen Schutz verloren und nur noch Rettung von der Flüchtigkeit ihrer Hufe, verzehnfacht durch einen grenzenlosen Schrecken, erwarteten.

      In dem Augenblick, als die letzte Hilfe, auf die die Reisenden hätten zählen können, verschwand, erhob sich Benito, durchschritt den Raum, der zwischen der Gruppe, zu der er gehörte, und Don Estévan und dem Senator lag, die abseits saßen, und näherte sich ihnen:

      »Die Klugheit fordert, daß ihr nicht mehr so fern von uns bleibt; man weiß nicht, was sich ereignen kann. Ihr habt es gehört, die Gefahr umgibt uns rechts und links; kommt in unsere Mitte, und wir werden für euch einen Wall mit unseren Leibern bilden.«

      Die erschrockene Haltung des Senators bot einen seltsamen Gegensatz zu der ruhigen und kalten Haltung des spanischen Granden.

      »Die Pflicht eines Führers ist, seine Leute zu beschützen, und nicht, sich von ihnen beschützen zu lassen«, erwiderte Arechiza stolz, »und das wollen wir tun. Wenn die Gefahr von dieser Seite kommt, da wir rechts und links dieses Gebrüll gehört haben, so bleibe ich hier mit dem Gewehr in der Hand, um den Feind zu erwarten und unseren Rücken zu decken. Mit einem sicheren Auge, einem festen Herzen und zwei Kugeln in jedem Lauf braucht man einen Jaguar nicht zu fürchten. Ihr, Herr Senator, tut beim Vortrupp, was ich beim Nachtrupp tue, und wenn Eure – Klugheit es erfordert, Euch auf unsere Leute zu stützen, so überlasse ich das ganze Eurer Entscheidung.«

      Diese Übereinkunft, die den Schein rettete, war zu sehr nach dem Geschmack des Senators, um nicht von ihm angenommen zu werden.

      Diese Vorkehrungen waren kaum getroffen, als sich ein fürchterliches Wechselgebrüll zwischen dem hungrigen und durstigen Jaguarpaar zu entwickeln schien. Ersticktes Knurren, tiefes Brüllen oder scharfe Töne wechselten die beiden Tiere miteinander von den verschiedenen Punkten aus. – Diese schreckliche Musik weckte im Wald dumpfen oder klingenden Widerhall, der die Steppe ringsum mit einem Dutzend dieser schrecklichen Gäste zu bevölkern schien. Jedes Gebrüll fand sein Echo in der Brust der Reisenden.

      Das Gewehr des Senators zitterte in seinen Händen wie das Rohr, das der Wind hin oder her weht; Baraja empfahl sich allen Heiligen der spanischen Legende; Cuchillo umschloß seine Büchse, als ob er sie zerbrechen wollte; Benito erwartete mit dem Fatalismus der Araber kalt die Entwicklung dieses Dramas, von dem die beiden falben Darsteller schon den Prolog brüllten.

      9. Die Jaguartöter

      Beim Licht des Feuers, das Benito sparsam unterhielt, konnte man bemerken, wie Don Estévan mit den Bewegungen seines Körpers der Richtung folgte, in der das Brüllen sich links hören ließ. Er hatte die ruhige Miene eines Jägers, der auf die Erscheinung eines Rehbocks lauert.

      Tiburcio fühlte beim Anblick des spanischen Führers jene Aufregung in sich, die die Gefahr in gewissen energischen Charakteren hervorbringt. Aber sein Dolch war die einzige Waffe, die er besaß. Er warf einen raschen Blick auf das Doppelgewehr des Senators, von dem dieser einen Gebrauch machen sollte, der verderblicher für seine Gefährten als für die Jaguare ausfallen konnte. Nach dem krampfhaften Zittern seiner Hand zu urteilen, mußte sein Auge verdunkelt genug sein, um das Ziel zu verfehlen.

      Der Senator wieder warf seinerseits einen neidischen Blick auf die Stellung, die Tiburcio nun mitten in der Gruppe einnahm, die von den beiden Gefährten Benitos, dem alten Vaquero selbst, Baraja und Cuchillo gebildet wurde.

      Tiburcio bemerkte einen solchen Blick. »Herr Senator«, sagte er zu ihm, »es schickt sich wohl nicht, daß Ihr ein so kostbares Leben wie das Eure so aufs Spiel setzt. Ihr habt Verwandte, eine edle Familie; ich habe niemand, der mich beweinen wird.«

      »Die Wahrheit ist«, erwiderte der Senator, »daß, wenn die anderen auf mein Leben nur halb soviel Wert legen, als ich es tue, mein Tod ihnen einen schrecklichen Kummer verursachen wird.«

      »Nun, dann wollen wir die Plätze wechseln; gebt mir dieses Gewehr, und ich werde mit meinem Leib ein Wall für Euch sein gegen die Tatze und den Zahn des Jaguars.«

      Dieser Versuch Tiburcios geschah in dem Augenblick, als die hohlen Stimmen des wilden Paares noch abwechselnd ertönten. Aber plötzlich vereinten sich beide zu einem Brüllduett, das den Widerhall zerriß und die Luft über den Gipfeln der Bäume durchzitterte. Unter dem Eindruck dieses furchtbaren Stückes wurde der von Tiburcio vorgeschlagene Tausch angenommen. Der Senator nahm seinen Platz ein, während jener mit funkelnden Augen und zusammengepreßten Lippen einige Schritte vor die Gruppe trat und, das Gewehr im Anschlag, den unvermeidlichen Angriff eines der beiden Jaguare erwartete.

      Don Estévan und er schienen unbeweglich und unerschütterlich wie zwei Statuen. Der ungleiche Widerschein erleuchtete diese so seltsam vom Zufall zusammengeführten Männer, von denen keiner dem anderen – weder an Stolz noch an Mut – nachstand.

      Der Augenblick wurde immer entscheidender. Die beiden Jaguare befanden sich nun ihren würdigen Gegnern gegenüber. Die Glut der Feuerstelle warf kaum noch einen bleichen Widerschein umher. Indes sollte ein neues Ereignis bald die Lage der Dinge verändern. Um dieses begreiflich zu machen, ist es nötig, genau die Stellung der Männer und die örtlichen Verhältnisse anzugeben.

      Wir


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