Der Waldläufer. Gabriel Ferry

Der Waldläufer - Gabriel  Ferry


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in dem Ton, der von der Seeseite her erklang, daß er ihr wie ein Echo aus einer unsichtbaren Welt vorkam.

      Die Gräfin erhob sich halb aus ihrem Sessel mit einer solchen Ängstlichkeit, als ob sie irgendeine schreckliche Erscheinung erwartete. Ihre erste Bewegung war, nach einer Glocke zu laufen, die sich auf einem Tisch in ihrer Nähe befand; aber bald bekam ihr Stolz die Oberhand; sie errötete darüber, vor einem ihrer Diener eine Schwäche blicken zu lassen, und kniete bei der Wiege ihres Sohnes nieder. Das Kind schlief immer noch seinen tiefen, ruhigen Schlaf und träumte ohne Zweifel von den Liebkosungen seiner Mutter.

      »O mein Gott«, rief sie abermals, »wie schwer zu tragen kommt mir der Name Mediana vor, nach dem ich so ehrgeizig gestrebt habe! Weil denn doch von dem einen oder dem anderen der beiden Brüder dieses Kind abstammen mußte, um diesen Namen fortzupflanzen. So laß wenigstens, o Gott, deinen Zorn nur mich allein treffen!«

      Ihre Stimme verlor sich nun in ein stummes Gebet; dann ließ sie sich noch einmal mit jener Langsamkeit vernehmen, die von einer träumerischen Zerstreutheit und dem Vergessen der äußeren Gegenstände Zeugnis ablegt, während die Seele sich im Reich der Ahnungen und Erinnerungen verloren hat.

      Die Gräfin hatte sich so in ihre Träumereien vertieft, daß sie ein dumpfes Geräusch außerhalb nicht hörte, das dann und wann die klagenden Töne des Nachtwinds unterbrach, der an den Fensterscheiben rauschte. Dann schien dieses anfänglich gedämpfte Geräusch sich bis auf den Balkon zu erheben; das Fenster wurde heftig aufgerissen, ein Windstoß fuhr durch das Zimmer, machte das Licht der Lampe in einer langen Flamme emporflackern, und in dieser unsicheren Beleuchtung ging ein Mann auf die Gräfin zu, die vor Schreck wie versteinert war. —

      Ehe ich weitergehe, glaube ich hier daran erinnern zu müssen, daß ich nur erzähle und nicht erfinde. Man hat Gott sei Dank solche Entwicklungen wie diese hier ziemlich abgenutzt, so daß ich mir ein Gewissen daraus gemacht hätte, noch einmal öfter einen jener nächtlichen Helden einzuführen, die vorgeben, sich lieber auf einer Strickleiter als auf einer gewöhnlichen Treppe da einzuführen, wo man sie am wenigsten erwartet hat.

      Gewiß, wenn ich diese Erzählung aus dem Mund irgendeines anderen Mannes als dem des Waldläufers, der sie mir geliefert hat, vernommen hätte, so hätte ich ihn im Verdacht gehabt, die Traditionen der Phantasiestücke seiner Jugend mit seinen wirklichen Erinnerungen zu vermischen; aber der brave Kanadier war in der Steppe geboren und hatte nur in ihr gelebt. Er war nur selten Zuschauer und viel öfter Darsteller in jenen Dramen gewesen, die in den Wäldern oder in den Steppen aufgeführt werden und deren Entwicklung schnell ist wie der Pfeil oder der Tomahawk des Indianers oder die auch – wie deutsche Dramen – ganze Tage währen und von denen die Überlebenden allein die Einzelheiten erzählen können. —

      Wenn der Blitz vor den Füßen der Gräfin eingeschlagen hätte, so hätte ihre Betäubung nicht größer sein können als diejenige, die in ihrer Seele auf die erste Bewegung des Schreckens folgte. Als ob ihre Erinnerungen die Kraft eines Zaubers gehabt hätten, ein Gespenst herbeizurufen, so sah sie vor sich Don Antonio de Mediana selbst in aufrechter, drohender Haltung. Beim Anblick eines Mannes, der nächtlich ihren Balkon erstieg, hatte die Gräfin – wie gesagt – einen lebhaften Schrecken empfunden; dann wurde ihr Erstaunen noch lebhafter, als sie mit einem zweiten Blick den Mann dieses sonderbaren Besuchs erkannt hatte; ihre Furcht jedoch verschwand.

      Mit Recht oder Unrecht schreiben die Frauen der Liebe, die sie einflößen, einen außerordentlichen Einfluß zu. Wenn wirklich – nach einer poetischen Darstellung – eine unschuldige Jungfrau einen Löwen zahm machen kann, so sieht eine erfahrene Frau es immer für eine leichte Aufgabe an, den Mann zu besänftigen, der sie geliebt hat.

      Es ist wahr: bei den meisten Männern ist dieser Einfluß ansteckend; aber dieser hier gehörte unglücklicherweise für Dona Luisa zu denen, die auf die Liebe einer Frau, wenn sie nicht mehr von gewissen Verhältnissen getragen wird, nur geringes Gewicht legen. Ich meine, daß Don Antonio de Mediana ausnahmsweise eine solche Gesinnung hatte. Obgleich das bleiche Antlitz Don Antonios zwei entgegengesetzte Gefühle – einen dumpfen Zorn und eine offenbare Verachtung – ausdrückte, so wurde doch die Gräfin nicht dadurch enttäuscht. Sie erblickte in ihm immer noch den Mann, der sie geliebt hatte und noch liebte.

      »Keine Bewegung«, sagte Don Antonio; »kein Laut, um Hilfe zu rufen, wenn Ihr dies Kind liebt!« Er zeigte mit dem Finger auf Fabians Wiege.

      Diese Gebärde trug so sehr den Ausdruck von Macht und Autorität, daß die bestürzte Gräfin mit verstörtem Blick und vorgebeugtem Körper stumm und unbeweglich blieb und zitternd ihren sonderbaren Besuch betrachtete. Sie hatte begriffen, daß die Vergangenheit in den Augen dieses Mannes nichts mehr war. Dona Luisa fühlte, daß sie selbst verloren, aber auch, daß ihr Kind in Gefahr sei. Sie rief also all ihre mütterliche Zärtlichkeit, die Energie ihres Willens und ihres Stolzes zu Hilfe, um dem Finger zu folgen, der auf die Wiege ihres Sohnes zeigte, als ob das Leben dieses Kindes nicht hundertmal kostbarer gewesen wäre als ihr eigenes.

      Gewiß bedurfte es einer unerhörten, mutvollen Anstrengung, um so weit zu kommen; denn das Gesicht Don Antonios hatte plötzlich den Ausdruck gewechselt. Seine Lippen, die ein nervöses Zucken, das sein Wille nicht zu unterdrücken vermochte, in ein krampfhaftes Zittern versetzte, ließen zuweilen seine fest zusammengebissenen Zähne bloß; seine funkelnden, auf die Gräfin gehefteten Augen ließen einen tödlichen Schauer über ihre Glieder laufen. Sie hatte klar darin gelesen, daß sie kein Mitleid, keine Schonung zu erwarten hätte. Dennoch schüttelte sie endlich ihren Schrecken von sich ab und rief wieder mit fester Stimme: »Wer seid Ihr, der Ihr heimlich hier hereinkommt wie ein Dieb in der Nacht? Soll ein Sohn so in die Wohnung seiner Väter zurückkehren? Ist Don Antonio de Mediana nichts weiter als ein Verbrecher, der das Licht scheut?«

      »Geduld!« antwortete Don Antonio spöttisch. »Die Zeit wird kommen – und sie ist nicht fern —, wo ich in dieses Schloß einziehen werde, wie es sich geziemt: am hellen Tag, durch die geöffneten Gitter, mitten unter dem Zuruf, mit dem meine Rückkehr gefeiert werden wird. Aber heute abend paßt es für meine Pläne, nur – wir Ihr sagtet – ein Dieb in der Nacht zu sein.«

      »Was wollt Ihr denn?« rief die Gräfin ängstlich.

      »Wie? Begreift Ihr denn nicht«, erwiderte Don Antonio mit derselben Ruhe, die trotz des Zuckens seiner Muskeln von einem schrecklichen Entschluß zeugte, »daß ich herkomme, um mich zum Grafen von Mediana zu machen?«

      Hiermit gewann die Frage in den Augen der Gräfin plötzlich eine schreckliche Bedeutung. Hier war von keinem betrogenen Liebhaber mehr die Rede, den sie beschwichtigen mußte, wie sie es einen Augenblick geglaubt hatte – sie mußte ihren Sohn retten!

      24. Die Weissagung

      Bei diesen Worten, die die Gräfin über die Absichten Don Antonios nicht mehr zweifeln ließen, war ihre erste Bewegung, sich auf die Wiege ihres Sohnes zu stürzen, um mit ihrem Leib einen Wall für ihn zu bilden. Aber Don Antonio kam ihr zuvor, nahm seine Stellung zwischen ihr und der Wiege und richtete einen kalten und teilnahmslosen Blick auf sie, den er seit dem Anfang dieser Zusammenkunft angenommen hatte. Sein Gemüt mußte tief erbittert, sein Herz sehr abgestumpft sein, daß sein entsetzlicher Entschluß der Gräfin gegenüber nicht wankend wurde. Ihre Nasenflügel hatten sich erweitert, der Busen wogte, ihre langen Haarflechten hingen auf die Schultern herab; die Angst malte sich in ihren Zügen, und sie richtete ihre Augen bald mit bittendem, bald mit erschrecktem Ausdruck auf ihn; sie war bezaubernd in der ganzen wilden Schönheit, die ihr stolzes Antlitz versprach, während die mütterliche Sorge ihren Blicken einen unsagbaren Zauber verlieh. »Gnade für ihn!« sagte sie endlich, als sie wieder Worte fand. »Ihr könnt mich töten; aber er, er, was hat er Euch getan, Don Antonio?«

      »Was er mir getan hat?« erwiderte Don Antonio. »Ist er es nicht, der jetzt Graf von Mediana ist? Ist er nicht der gesetzliche Besitzer eines Titels und eines Vermögens, die ich nach dem Eid, den sein Vater unserer sterbenden Mutter geschworen hatte, erhalten sollte? Ist er nicht der Sohn derjenigen, die mir versprochen hatte, nur mich zu lieben, und die doch nicht eher Ruhe gehabt hat, als bis sie, mit Verletzung ihrer Eidschwüre, durch ihre verführerische Schönheit es so weit gebracht hat, daß auch mein Bruder seinen Eid brach?«

      Die Gräfin verbarg ihr Gesicht in


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