Die Sklavenkarawane. Karl May
und quer über das Land geschafft, um oberhalb Faschodahs wieder eingeladen und vor Chartum verkauft zu werden. Da hat mancher seinen letzten Seufzer ausgehaucht; mancher hat hier den Todesschrei in die finstere Nacht hinausschallen lassen. Und das nennst du eine Gegend, welche man mit dem Schoße des Propheten vergleichen kann? Ist es möglich, eine größere Lüge auszusprechen?«
Der Schech blickte finster vor sich nieder. Er fühlte sich geschlagen und durfte es doch nicht eingestehen. Darum antwortete er nach einigen Augenblicken:
»An die Ghasuah dachte ich nicht, Effendi. Ich dachte nur an dich und daran, daß du hier sicher bist. Du befindest dich in unserm Schutze, und ich möchte den sehen, welcher es wagen wollte, ein Haar auf deinem Haupte zu krümmen!«
»Ereifere dich nicht! Ich sehe klar und weiß genau, was ich zu denken habe. Sprich nicht von Schutz! Ich habe euch gemietet, damit ihr meine Sachen auf euern Kamelen nach Faschodah bringen möchtet; auf euern Schutz aber habe ich nicht gerechnet. Ihr selbst bedürft vielleicht des Schutzes mehr als ich.«
»Wir?«
»Ja. Hast du vielleicht die Schillukneger gezählt, welche die Leute deines Stammes hier raubten und als Sklaven nach Dar Fur brachten? Besteht etwa nicht deshalb ein unersättlicher Haß, ja eine Blutrache zwischen euch und ihnen? Befinden wir uns jetzt nicht auf dem Gebiete der Schilluk, welche, wenn sie euch sähen, sofort über euch herfallen würden? Warum habt ihr den Karawanenweg verlassen und mich durch einsame Gegenden gebracht? Um den Weg abzukürzen, wie du vorhin sagtest? Nein, sondern um nicht auf die Schilluk zu treffen. Vielleicht gibt es auch noch einen andern Grund.«
»Welchen?« fragte der Schech, der sich durchschaut sah, ziemlich kleinlaut.
»Den, mich hier umzubringen.«
»Allah, Wallah, Tallah! Welche Gedanken werden in deiner Seele laut!«
»Du selbst bist schuld daran. Denke an die Karawane, welche uns folgt! Es ist vielleicht die Gum, welche mich überfallen soll. Es gelüstet euch nach meiner Habe, welche ihr nicht erhalten könnt, so lange ich lebe. Auf euerm Gebiete könnt ihr mich nicht töten, der Verantwortung wegen, die euch sicherlich nicht erspart bleiben würde. Darum führt ihr mich durch unwegsame Gegenden nach dem einsamen Bir Aslan, wo die That geschehen soll, ohne daß ein Zeuge die Mörder verraten kann. Findet man dann meine Leiche, so geschah der Mord auf dem Gebiete der Schilluk und wird diesen zur Last gelegt. Auf diese Weise habt ihr dann zwei Vorteile zugleich erreicht, nämlich meine Habe und die Rache an den Schilluk.«
Er hatte das in einem so gleichmütigen, ja sogar freundlichen Tone gesagt, als ob es sich um etwas ganz Alltägliches und Angenehmes handle. Seine Worte machten einen ungeheuren Eindruck auf die Araber. Nach ihren Waffen zu greifen wagten sie nicht. Was waren ihre langen Feuersteinflinten gegen seine Waffen! In dieser Beziehung war er, der einzelne, ihnen überlegen. Aber sie mußten doch etwas thun, um sich den Anschein zu geben, als ob sie sich durch seine Anklage ganz unschuldig beleidigt fühlten. Darum hielten sie ihre Kamele an und erklärten, daß sie keinen Schritt weiterreiten, sondern die Lasten abladen und heimkehren würden.
Der Fremde lachte laut auf.
»Das werdet ihr nicht thun,« meinte er. »Wie wollt ihr ohne Wasser zurückkehren? Ihr müßt unbedingt nach dem Brunnen des Löwen. Übrigens habe ich euch mit Absicht nicht vorher bezahlt. Ihr sollt erst in Faschodah euer Geld erhalten, und wenn ihr mich nicht bis dorthin bringt, so bekommt ihr keinen einzigen Piaster. Was meinen Verdacht betrifft, so habe ich denselben ehrlich ausgesprochen, um euch zu beweisen, daß ich euch nicht fürchte. Ich habe es mit weit schlimmeren Gesellen zu thun gehabt, als ihr seid, und es ist euch gar nichts als der kleine Fehler vorzuwerfen, daß ihr mich nicht kennt. Ist meine Vermutung falsch, so bitte ich euch um Verzeihung. Aus Erkenntlichkeit werde ich in Faschodah ein Rind schlachten lassen und es unter euch allein verteilen. Und zu der Bezahlung, welche wir für eure Dienste festgesetzt haben, werde ich ein Bakschisch fügen, welches ihr zum Schmucke eurer Frauen und Töchter verwenden könnt.«
Das war eine nach hiesigen Verhältnissen sehr gute Aussicht, welche er ihnen eröffnete; aber ihr Groll wurde durch dieselbe keineswegs beseitigt, obgleich sie sich den Anschein gaben, als ob sie sein Versprechen mit ihm versöhnt habe. Sie wußten ja genau, daß er den kommenden Morgen nicht erleben werde. Um ihn sicher zu machen, erklärten sie, ihn weiterbegleiten zu wollen, wenn er seinen Verdacht fallen lasse und sein Versprechen zu halten beabsichtige. Er war damit einverstanden, bewies aber schon im nächsten Augenblicke, daß sein Mißtrauen noch fortbestehe, denn er ritt von jetzt an als letzter in der Reihe, während er sich bisher mit dem Schech stets an der Spitze befunden hatte.
Sie thaten, als ob sie das nicht beachteten, aber einige Zeit, nachdem der Zug sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, that der Schech so, als ob er dem jetzt an seiner Seite reitenden Homr die Gegend erkläre; er deutete mit dem erhobenen Arme bald nach vorn, bald nach rechts oder links, sagte aber dabei in verbissenem Tone:
»Dieser Hund ist weit klüger, als es den Anschein hatte. Er kennt dieses ganze Land, alle Bewohner desselben und auch alle Ereignisse, welche hier geschehen sind.«
»Und hat alles, was wir beabsichtigen, ganz genau erraten,« fügte der andre hinzu. »Möge der Schetan ihn beim Schopfe nehmen!«
»Am liebsten möchte ich das thun!«
»Wer verwehrt es dir?«
»Seine Waffen.«
»Kann nicht einer von uns zurückbleiben und ihm von hinten eine Kugel in das Herz jagen?«
»Versuche es! Das Beste wäre es. Wir brauchten nicht bis früh zu warten und hätten die Beute nicht mit Abu el Mot zu teilen. Seine Leiche ließen wir liegen, ritten nach dem Brunnen, füllten unsere Schläuche und kehrten während der Nacht zurück. Morgen wären wir schon weit von hier, und kein Mensch wüßte, wessen Kugel den Hund getroffen hat.«
»Soll ich ihn erschießen?«
»Ich wollte nicht, daß er von uns getötet werde; nun er uns aber das Gesicht in solcher Weise schamrot gemacht hat, mag er von deiner Kugel sterben.«
»Was erhalte ich dafür?«
»Die goldene Kette an seiner Uhr.«
»Natürlich außer dem Beuteanteil, welcher überhaupt auf mich kommt?«
»Natürlich.«
»So mag es geschehen. Ich drücke das Gewehr so nahe hinter ihm ab, daß ihm die Kugel zur Brust herauskommt.«
Er hielt sein Kamel an und stieg ab; dann schnallte er an dem Sattelgurte herum, als ob derselbe sich gelockert habe. Die andern ritten an ihm vorüber. Der Fremde aber hielt bei ihm an und sagte in freundlich mahnendem Tone:
»Du mußt dir merken, daß man das stets vor dem Aufbruche thut. Durch das Absteigen verminderst du unsre Eile. Folge uns also, wenn du fertig bist, schnell nach. Dein Tüfenk ist fast unter das Kamel geraten; es könnte leicht zerbrochen werden, und ich will es lieber einstweilen an mich nehmen.«
Er langte von seinem hohen Sitze mit dem Metrek herab, steckte denselben unter den Riemen der am Sattelknopfe hängenden Flinte und hob dieselbe zu sich herauf. Dann ritt er lächelnd weiter.
Der Araber machte ein unbeschreiblich enttäuschtes Gesicht. Die Flinte war fort und eine Pistole hatte er nicht. Ein Überfall mit dem Messer vom hohen Kamelsattel aus war aber ganz unmöglich.
»Ob er es ahnt, dieser Sohn und Enkel des Teufels!« knirschte er. »Dieser Versuch ist mißglückt; aber bald wird es Nacht. Dann sieht er es nicht, wenn man auf ihn zielt, und ich kann ihn doch noch erschießen, ehe wir den Brunnen erreichen.«
Er folgte, nachdem er wieder aufgestiegen war, den Vorangerittenen. Als er an dem Fremden vorüberkam, reichte ihm dieser die Flinte mit den Worten zurück:
»Der Feuerstein ist ja zerbrochen und ausgefallen. Du kannst also heute nicht schießen. Morgen aber werde ich dir einen neuen geben. Ich habe welche im Gepäck.«
Es war klar, daß er den Stein heraus geschraubt hatte. Der Schech erkannte nun abermals, daß er durchschaut sei, und brannte nun förmlich darauf, dem Giaur die tödliche Kugel geben zu lassen oder auch selbst zu geben. Dieser aber ritt mit dem gleichmütigsten