Das Schweigen der Prärie. Ole Edward Rölvaag

Das Schweigen der Prärie - Ole Edward Rölvaag


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      Ole Edward Rölvaag

      DAS SCHWEIGEN DER PRÄRIE

      Denen aus meinem Volke

      die bei der großen Landnahme

      dabei gewesen sind — ihnen und

      ihren Geschlechtern widme ich

      diese Aufzeichnungen

O. E. Rölvaag St. Olafs College Northfield, Minn.

      Die Riesen waren auf Erden in

      jenen Zeiten ...; das sind die

      Recken der Ur-Zeit, die hochberühmten.

Genesis 6, Vers 4.

      Der sinkenden Sonne nach

      I

      Endlose Ebene. — Ebene ringsum, Ebene bis zum Horizont. Darüber ein Himmel — sprühend klar, heute und morgen und alle Tage.

      Und Sonne! — Und immer noch mehr Sonne!

      Jeden Morgen ließ sie den Himmel aufflammen; stieg tagsüber in bebendem Gelb empor; verglomm zum Abend in allen Tönen von Rot und Purpur. Fegte mit einem Windhauch die weite Fläche, wellte sie gelb und blau und grün. Auch ein Schwarz jagte bisweilen wie ein wogender Schatten darüber hin — bisweilen.

      Jetzt war es später Nachmittag. Durch das Gras bahnte ein Häuflein Menschen sich seinen Weg. Ihre Fährte nahm sich aus wie der Strudel hinter einem Boot, nur daß sie sich wieder schloß, statt sich zu weiten.

      »Tissch-ah,« sagte das Gras. — »Tissch-ah, tissch-ah!« schrie es und richtete sich sogleich wieder auf, um diesem merkwürdig Harten nachzuschauen, das es so geschwinde zu Boden zwang und sogleich seines Weges weiterzog. —

      Ein breitschultriger, stämmiger Mann schritt an der Spitze des Zugs. Er sah in dem hohen Gras und unter dem grobstrohigen, breitkrempigen Hut kürzer aus, als er eigentlich war. Ein paar Schritt hinter ihm kam ein etwa neunjähriger Bub. Sein helles Haar hob sich scharf von dem nußbraunen Nacken ab; bei dem Mann an der Spitze waren Haar und Nacken von gleichem Braun. Nach dem Aussehen und mehr noch dem Gang war leicht zu erraten, daß hier Vater und Sohn gingen.

      Hinter den beiden stampfte bedächtig ein Gespann Ochsen vor einem Gefährt, das vermutlich einstmals ein Wagen gewesen war, jetzt aber ob mannigfacher und erklecklicher Gebrechen längst zum Gerümpel gehörte, — wo der Mann es denn auch tatsächlich gefunden hatte.

      Über dem Wagengestell bogen sich lange Weidengerten zu Bögen wie im Chor einer Kirche, — sechs waren‘s im ganzen. Darüber lagen, sorgsam am Wagen befestigt, zu unterst zwei handgewebte Decken, die in alten Zeiten den Wänden eines Herrensitzes zur Zierde gereicht hätten; über den Decken wieder lagen zwei Schafpelze mit der Wolle nach innen. — Das Wageninnere war bis an den Planhimmel vollgepackt: eine Auswandererlade stand zu unterst — sie war ungemein groß und beanspruchte das meiste des Raumes; rings um sie und darüber waren Möbel, Werkzeug, Geräte, Kleidung dicht verstaut.

      Rückwärts an dem Wagen war noch ein Gefährt vertäut, unverkennbar selbstgefertigt und höchst eigenartig, jedoch so solide gebaut, daß es schon allein darum einen Platz in einem Museum verdient hätte. War übrigens tatsächlich so etwas wie ein Wagen oder wenigstens als solcher beabsichtigt. Es verfügte über zwei aus Bretterenden zusammengezimmerte Räder und ein Gestell, das bedeutend geräumiger war als das des vorderen Wagens. Auch hier war alles vollgeladen und gehörig festgeseilt. Beide Wagen quietschten und krachten geradezu grausig, so oft sie über einen Grasschopf in eine Bodensenkung kippten oder aus einem Loch heraufrumpelten.

      Ein gut Stück hinterher zockelte eine rotscheckige Kuh; der Zug karrte so gemächlich dahin, daß sie sich ab und zu ein paar Maulvoll Gras abrupfen konnte. Und die hatte sie auch nötig; denn nun war sie schon den ganzen lieben langen Tag schwanzschwingend hinterher getrödelt und hatte abends für die Milch zum Habermus für alle die Menschen da vor ihr aufzukommen.

      Über das Gestell des vorderen Wagens war ein ungehobeltes Brett quer gelegt. Darauf saß rechts eine Frau mit einem Kopftuch; sie lenkte die Ochsen. An ihrem linken Schenkel lehnte der blonde Kopf eines schlummernden Dirnleins; bisweilen strich die Hand der Mutter leise darüber hin, um die Mücken zu verscheuchen, die sich mit dem Abend einstellten. Zur Linken des Kindes wieder saß ein Bub von etwa sieben Jahren— gutgewachsen, sonnengebräunt und mit etwas Leuchtendem im Blick. Er hatte die Hände ums Knie gefaltet und guckte ins Weite.

      Das war der Per Hansen mit den Seinen und aller seiner Habe, auf Wanderung begriffen von Filmore County, Minnesota, nach Dakota Territory; dort wollte er Land nehmen und sich einen Hof erbauen, den man weit und breit rühmen sollte; dort draußen fehlte es, wie er gehört, nicht an Gelegenheit. — Per Hansen schritt voran, um die Richtung festzulegen; Ole, der Bub, ›der Olamann‹ genannt, hielt sich dicht dahinter und ›befuhr die Strecke‹; die Beret, Per Hansens Weib, lenkte die Ochsen und hütete Klein-Annemarie, die im Hausgebrauch das Gössel Junges Gänschen. hieß und gar so putzig war. Hans Christian — stets zum Unterschied von seinem Paten, der auch Hans hieß, der ›Große-Hans‹ genannt — saß neben der Mutter und paßte auf, daß jeder das Seine tat. — Und Buntscheck, die Kuh, folgte den Schweif schwingend und wedelnd dem Trupp immer weiter in die Unendlichkeit hinein.

      »Tissch-ah, tissch-ah!« schrie das Gras. — »Tissch-ah, tissch-ah!«

      II

      Wie jämmerlich und zwergenhaft sich der Trupp ausnahm, als er durch die endlose Einöde am Himmelsrand entlang kroch! Keine Spuren von Weg oder Steg. Und hatte sich das Gras erst wieder aufgerichtet, so vermochte niemand mehr zu sagen, woher das Häuflein Menschen gekommen oder wohin es gegangen war. Der Per Hansen mit Weib und Kindern, mit Wagen und Kuh und allem, was sein war, hätte soeben vom Himmel herabgefallen sein können. Jedenfalls schien er jetzt vorzuhaben, in den Himmel hineinzuwandern; denn der Kurs blieb stets der nämliche: geradeaus auf den westlichen Himmelsrand zu.

      Einsam karrte sich der Zug weiter in die blaugrüne Unendlichkeit hinein, — immer tiefer hinein, und abermals tiefer hinein.

      Und es ging der sinkenden Sonne nach.

      Jetzt waren sie schon über drei Wochen unterwegs. Sie hatten Blue Earth durchfahren, Chain Lakes hinter sich gelassen, waren eines Tages in Jackson am Demoines River eingezogen. Menschenalter schienen seither verstrichen. — Von dort war es weiter gegangen nach Westen, bis nach Worthington; darauf an den Rock River. Und dann hatte der Per Hansen westlich vom Rock River plötzlich die Spur verloren. War auch später nicht wieder auf sie gestoßen.

      Und wußte jetzt nicht, wo er sich eigentlich befand. Aber er hatte es gewissermaßen im Gefühl, daß Split Rock Creek Creek = Bach. hier so irgendwo herum lag, in der Westsonne. Und kam er überhaupt einmal an den, dann war er auch der Mann, sich weiter zurechtzufinden! — War nur so merkwürdig, daß er nicht schon längst beim Split Rock Creek war? Hätte eigentlich schon seit etwa drei Tagen dort sein müssen. Und immer noch nicht die leiseste Andeutung!

      Die Wagen knirschten und krachten. Per Hansens Augen suchten und suchten; das bärtige Antlitz wandte sich von Südwest nach Nordost und wieder nach Südwest. Zwischendurch suchte er die Ebene ab von sich bis zum Himmelsrand. Dann wieder schnupperte er, etwa wie ein Tier, das Witterung sucht. Unablässig guckte er auf die alte Silberuhr in seiner Linken, ließ den Blick spähend über den halben Horizont gleiten.

      Die Uhr ging jetzt schon auf sechs; seit drei Uhr heute nachmittag war er des Kurses wieder sicher gewesen; denn da hatte er mit Hilfe von Uhr und Sonne Peilung genommen. — Ja, hier hieß es, unbekümmert die Zeit ausnutzen.

      So wanderten sie schweigend vorwärts. —

      Endlich sagte er zu dem Buben hinter ihm, ohne aber seinen Schritt zu mäßigen:

      »Treib du jetzt eine Weile die Ochsen an, du Ola; und schwätz dabei ein wenig mit der Mutter, daß ihr die Zeit nicht so lang wird. — Und halt derweile Ausguck, so gut du kannst.«

      »Ich bin aber noch gar nicht müd!« zauderte der Bub.

      »Geh du nur! Ich spür‘s doch auch; wollen uns bald ein Mus kochen. Mußt aber


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