Die große Gauklerin. Brachvogel Carry
zahlreichen Liebschaften, aber noch zu keiner Braut gebracht. Die Freunde, die's gut mit ihm meinten, wie z. B. der junge Fürst Gaulo, sahen wohl mit Verwunderung, wie täppisch er war, und redeten ihm zu, seine Absichten doch mit etwas mehr Raffinement zu verbrämen. Ettore aber, der auch eigensinnig war wie ein Kind, lachte sie aus und hielt ihnen seine Lieblingsredensart entgegen, die er immer anwendete, gleichviel ob sie paßte oder nicht: »L'italia farà da sè.«
Mit seiner Naivität und seinem Egoismus spürte er jetzt, daß Elisabeth in ihm nicht nur den schönen Mann sah oder den gierigen Freier sehen würde, sondern noch etwas anderes, das er zwar nicht verstand, das ihm aber ihr gegenüber eine starke Ueberlegenheit lieh. Nicht bewußt, rein instinktiv fühlte er, daß dies Mädchen mit dem gütigen, verklärten Gesicht sich von seinem Egoismus würde ausbeuten und beherrschen lassen, daß sie bereit war, ihn und das, was sie in ihm sah, zu lieben, zu verwöhnen und anzubeten. Weil er wie ein Kind sich über Nichtigkeiten erzürnen oder freuen konnte, hatte er jetzt, da Miß Mauds Absage doch noch immer in ihm fortklang, ein Bedürfnis sich anzuschmiegen, sich verhätscheln zu lassen und von einer Frau, von einer wirklichen Frau, nicht von einem kleinen, liederlichen Mädel, zu hören, daß er ihr Schatz, ihr alles auf der Welt sei … Damals, auf dem Lido hatte er Elisabeth, wie sie verträumt übers Meer hinblickte, sofort als Phantastin erkannt, und wenn er selber auch keine Spur von Phantasie besaß, sondern immerfort mit beiden Füßen auf der Erde stand, so wußte er doch, was Phantasie wert sein kann, hauptsächlich für einen Realisten, der sich die Einbildungskraft eines Andern zunutze macht. Weil sie so anders war als die tückische Miß Maud, von der er damals gekommen war, hatte diese Deutsche sein Empfinden gerührt, hatte ihn immer mehr in ihren Bannkreis gezogen, daß er jetzt entschlossen war, sie zu heiraten, selbst wenn sie viel, viel weniger besaß als die Amerikanerin. Wenn sie auch nur eine halbe Million Mitgift bekam, wollte er schon zufrieden sein, obgleich sie, wenn sie im Freundeskreis auf dem Lido oder im Klub saßen, allesamt schworen, daß man unter 60 000 Lire Rente nichts anfangen könne …
Seine Spazierfahrt war heute völlig zwecklos. Er beobachtete die fremden Gondeln nur mit abwesenden Blicken, sah kaum die bewundernden Gesichter, die sich ihm zuwandten. Er streichelte wieder, als wär's eine Mädchenwange, seine dunkelrote Rose und war vergnügt, daß er die Begegnung heute morgen so fein abgepaßt hatte. Ja wirklich, er würde dies Mädchen heiraten! Sie gefiel ihm, sie würde eine liebe, gute Frau sein und ihn von dem Leben des Scheins erlösen, dessen er müde war oder wenigstens seit einigen Tagen müde zu sein glaubte. Das Leben der Priuli war ja nur eine Fassade, die mit ihrem Glanz über Aermlichkeit und Verfall wegtäuschen mußte. So prächtig sich die Räume der Galerie im Palast präsentierten, so heruntergekommen sahen die Wohnzimmer aus, und der elegante Diener war nur für die Besuchsstunden gemietet. Den Haushalt besorgte eine alte, schmutzige Magd, die seit vielen Jahren bei den Priuli diente und sich nicht mehr wunderte, wenn so und so oft die ganze Hauptmahlzeit aus einer Schüssel Polenta oder Tomaten bestand. Die verwitwete Gräfin und ihre Tochter Eleonore saßen unfrisiert, in schmutzige Schlafröcke gehüllt in Zimmern, deren Oede noch trostloser wirkte, weil zerfetzte Seidengardinen, kostbare, aber zerfressene und zerschlissene Möbel, alte Bilder in zerstoßenen Rahmen von früherer Pracht und Größe sprachen. Saßen da und führten ein Dasein, das ein wenig gespenstisch und ein wenig marionettenhaft anmutete: die alte Gräfin betete stundenlang und legte stundenlang Patiencen, die junge rekelte sich in einem Lehnstuhl, studierte in der Zeitung die Lotterienummern, las einen Schmöker und dachte an einen Mann. Wenn sie miteinander schwatzten, so war es immer dasselbe Thema, immer eine reiche Heirat Eleonorens, für die noch gar keine Aussicht vorhanden war, oder die reiche Heirat Ettores, deren Aussichten immer wieder scheiterten. Dann klagte die alte Gräfin mit jammernder Stimme, daß ihre Kinder so wenig Glück hätten, und die schöne Eleonore lachte und tröstete die Mutter und war überzeugt, daß das Glück schon noch kommen würde. Einmal im Tag bewegte sich dann dies gespenstische Marionettenleben nach außen, das war um die Stunde, wenn die alte Gräfin in die Kirche ging und Ettore die Schwester mitnahm zur Spazierfahrt auf den Canal Grande. Er tat es sonst stets, nur heute hatte er's vergessen, vielleicht auch vergessen wollen. Da kämmten die Frauen ihre wirren Haare zu schönen Scheiteln, Zöpfen und Gewinden, die alte Gräfin legte ein schwarzes Seidenkleid an, die junge die einzige modische Toilette, die sie jeweils besaß, nebst einem mächtigen Blumenhut, und wer die beiden so in der Kirche oder in der Gondel sah, wußte, daß er zwei vornehme Damen vor sich hatte. War dann die Kirche oder die Gondelfahrt zu Ende, so änderte sich das Bild abermals, und Mutter und Tochter verpuppten sich, kaum daß sie in den Palast zurückgekehrt waren, alsbald wieder in ihre Schlafröcke, ihre Patiencekarten, ihren Schmöker, ihren Jammer und ihre Zuversicht. Ettore, der Sohn, führte derweilen die Existenz seiner Standesgenossen. Er war den ganzen Tag über sorgfältig gekleidet, lief seinem Vergnügen nach und überließ die Sorge für den nächsten Tag dem lieben Gott. Er liebte seine Mutter und seine Schwester, wie die Italiener ihre Mütter und Schwestern immer lieben, und darum bestimmte er in all seinen Zukunftsträumen stets eine ansehnliche Summe für sie beide, damit die mamma stets all ihre Rechnungen bezahlen und Eleonore endlich den Mann bekommen könnte, an den sie dachte, wenngleich sie ihn bisher noch nicht erblickt hatte.
Während die Gondel langsam auf dem Kanal dahinglitt, dachte sich Ettore ein wenig sein künftiges Dasein aus. Er träumte gar nicht von besonderen Ausschweifungen oder Extravaganzen, sondern nur von einem unendlichen süßen Genuß, in dem man weder von Gläubigern gestört wurde noch Carlo Priuli um ein Darlehen angehen mußte. Die Hand dieser blonden, gütigen Deutschen würde ihm alles geben, was er vom Leben begehrte, und je mehr er an sie dachte, um so lieber wurde ihm ihr stiller Reiz, gerade weil so vieles an ihr seinem eigenen Wesen fremd und unverständlich blieb.
Die Hauptsache war nun freilich, sie endlich kennen zu lernen. Das war offenbar schwerer, als es den Anschein hatte, denn Ettore erwog diesen und jenen Plan, der zu einer Anknüpfung dienen sollte, verwarf sie aber alle als töricht oder gar zu plump. Hätte sich's um eine Amerikanerin gehandelt, so wäre er ganz einfach mit dem Portier des Hotels in Verbindung getreten, aber sein Instinkt sagte ihm, daß er hier vorsichtiger sein müßte, daß dies Mädchen und seine Rasse subtilere Begriffe von Liebe und Ehe hat als die Völker des Südens oder des andern Erdteils. Da fiel ihm ein, daß in etwa acht Tagen auf dem Canal Grande ein großer Blumenkorso geplant war, und er beschloß, diese festliche Veranstaltung auszunützen, um sich den Schöttlings zu nähern. Freilich waren acht Tage eine lange Zeit, und die Schöttlings konnten inzwischen abgereist sein, aber Ettore fühlte sich schon so sicher, daß er solche Abreise gar nicht mehr ernsthaft in den Kreis seiner Betrachtungen zog, sondern sich auf Elisabeths Verliebtheit und ihre Frauenlist verließ. Die Kleine war gewiß schon vergafft in ihn, und wenn er es klug anstellte, da und dort nochmals wie von ungefähr ihren Weg kreuzte, würde sie gewiß den Vater drängen, immer noch ein paar Tage zuzugeben, bis sie vor dem Blumenkorso standen, den sie als eifrige Italienreisende doch sicher nicht versäumen wollten. Als Ettore in seinen Gedanken so weit gekommen war, fuhr die Gondel wieder sacht am Palazzo Priuli vor, und er sprang vergnügt die breite Marmortreppe hinan, um der mamma und Eleonore von seinen heiteren Zukunftsplänen zu sprechen! –
Am Tag des Blumenkorsos bot der Canal Grande ein prächtiges Bild. Von den Fenstern aller Paläste hingen purpurfarbene oder golddurchwirkte Prunktücher hernieder, zwischen den Schiffspilonen spannten sich grüne oder bunte Girlanden, und von den Knäufen wehten farbige Wimpel in eine helle, von sommerlicher Lust durchleuchtete Luft hinein. Zahllose Gondeln tummelten sich auf der sanftbewegten Welle, und ihr düsteres Schwarz verschwand beinahe unter der weißen, rosigen, violetten, blauen, zitronenfarbenen und scharlachenen Blumenpracht, mit der man sie verschüttet hatte. Was Venedig an Schönheit, Adel und Reichtum besaß, kam in der Blumenbarke einhergefahren, gerudert von Gondolieri in prächtigen, hellen Gewändern mit Blumensträußen auf den breitrandigen Hüten und im Schärpengurt. Da sah man weltberühmte Schönheiten, vor deren Zauber selbst Kaiser die Stirne neigten, Spitzen, Ohrgehänge, Ringe und Hutagraffen, die den Brautschatz einer Königstochter beschämt hätten, und neben ihnen jüngere Reize, jüngeren Reichtum, denen aber noch das verbriefte Recht der allgemeinen Anerkennung fehlte, und die doch danach drängten, morgen das zu sein, was die Erbgesessenen heute schon waren. Ueber allen aber, gleichviel zu welcher Zeit und zu welcher Kaste sie gehörten, lag eine jauchzende Fröhlichkeit, die kindliche Freude des Südländers am Dasein, an der Stunde, überall sah man dunkle Augen, die entzückt leuchteten,