Die große Gauklerin. Brachvogel Carry

Die große Gauklerin - Brachvogel Carry


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eine Garbe voll köstlichen Duftes in eine andere Gondel hineinschleuderten, um von dort die holde Gegengabe zu empfangen. Mit all seinen geschmückten Palästen und Gondeln, seinen schönen, heiteren Menschen sah der Canal Grande aus, als wäre aus dem Schutt und der Nüchternheit der Gegenwart Venedig für ein paar Stunden zu seiner alten Pracht erwacht und feiere in der Sonne eines Frühsommertags ein Fest der Renaissance. Schöttlings, die ihre Abreise von Tag zu Tag verschoben, hatten zuerst gemeint, daß sie den Blumenkorso von einem Hotelfenster aus ansehen wollten. Der Direktor des Hotels hatte ihnen aber zugeredet, doch lieber eine Gondel zu mieten, damit sie den ganzen Kanal überblicken konnten, und so fuhren sie jetzt in einer etwas banal und dürftig mit Mimosen geputzten Gondel daher, sahen auch, sie fühlten es wohl, mit ihren blonden Gesichtern und ihrer diskreten Eleganz, die jede kecke Farbe oder Nüance verschmähte, fremd und ernsthaft aus in dem dunkeläugigen, bunten und jauchzenden Getriebe um sie her. Sie hatten aber kaum Muße, über sich oder den Eindruck, den sie hervorbrachten, nachzudenken, denn immerfort gab es, bald auf dieser, bald auf jener Seite, irgend etwas zu sehen, was ihre Aufmerksamkeit fesselte und entzückte; außerdem schaute sich Elisabeth die Augen fast blind, ob sie nicht die eine Gondel sähe, um derentwillen sie eigentlich gekommen waren, die Gondel der Priuli. Vorläufig war sie aber noch nirgends zu erblicken, und Elisabeth mußte sich damit begnügen, die Insassen der andern Gondeln zu mustern.

      Unter all diesen Gondeln fiel ihr eine besonders auf, weniger weil sie so verschwenderisch mit weißen Rosen verbrämt war, daß sie einem schwimmenden Rosenbeet glich, als wegen der Dame, die in den schwarzen Kissen saß. Es war eine schlanke Frau mit rötlichen, krausen Haaren, den hellen Augen und dem langen, etwas vorgeschobenen Kinn der Engländerin. Sie trug ein silberfarbenes Seidenkleid und einen breitrandigen Hut mit fünf oder sechs langen, weißen Straußenfedern. Um ihren Hals hingen bis über den Gürtel herab sieben, acht Perlenschnüre von einer Größe und einer Schönheit der Perlen, wie man sie sonst nur in den Schatzkammern von Fürstenschlössern sieht. Das Gesicht wirkte auf den ersten Blick frisch und jugendlich, sah man aber näher hin, so merkte man, daß es wie zersägt war von tausend kleinen, feinen Linien des Lebens und wie versteint in hochmütig getragenem Leid. Hochmütig war auch das Lächeln um die herabgezogenen Mundwinkel, hochmütig die Geste, mit der sie nachlässig ein Blumengeschoß versandte oder empfing. Es war auch, als ob die laute Lust der andern vor dieser weißen Rosengondel stiller würde, als ob diese Frau mit dem rötlichen Haar und dem versteinten Gesicht ihnen allen fremd geblieben sei, wenngleich sie seit Jahrzehnten mit ihr lebten und verkehrten. Elisabeth fragte den Gondoliere, wer die Dame sei.

      »La Principessa Tassini!« Erläuternd machte er Elisabeth auf die Perlenschnüre der Fürstin aufmerksam, die so schön seien, daß nur die Königin-Mutter Margherita schönere besäße. Man sah ihm an, daß er gern noch mehr von diesen Perlen und der Fürstin gesprochen hätte, aber er mußte auf seine Gondel aufpassen, scheute sich wohl auch hier zu berichten, was ganz Venedig wußte und flüsterte. Jedenfalls aber merkte Elisabeth, daß es mit dieser Frau und ihrem Schmuck ein besonderes Bewenden haben müsse, und sie nahm sich vor, den Hoteldirektor bei der Rückkehr danach zu fragen.

      Da kam dann auch endlich die Gondel, nach der sie so lange und sehnsüchtig ausgeschaut hatte, und über der sie jetzt alles andere vergaß. Ettore und Eleonore Priuli saßen in einem Gefährt, das über und über mit Büscheln aus fleischfarbenen Rhododendren geschmückt war, und inmitten dieser üppigen Blüten des Orients wirkte ihre dunkle, junge Schönheit so sieghaft, daß, wo sie vorbeikamen, die Menschen erstaunt und bewundernd blickten. Vielleicht war Eleonore für deutschen Geschmack etwas zu auffallend mit ihrem gigantischen Hut und einem hellroten Musselinkleid, vielleicht auch zu stark geschnürt und zu weiß gepudert, aber Elisabeth meinte doch, kaum je ein schöneres Mädchen gesehen zu haben, suchte und fand entzückt in Eleonorens Gesicht die Züge Ettores wieder. Eleonore sah die Deutsche mit großen Augen an und lächelte ihr zu. Der Bruder hatte ihr ja schon ausdrücklich gesagt, was er von diesem Blumenkorso hoffte, und Eleonore war entschlossen, die Initiative zu ergreifen. Sie beugte sich jetzt ein wenig zur Seite, griff ein paar Hände von den fleischfarbenen Blüten und schleuderte sie geschickt in Elisabeths Schoß. Die wollte eben ein wenig linkisch mit Mimosen erwidern, da kam ein ganzer Regen von Rhododendren auf sie nieder, von Ettores Hand geschleudert, der aufgestanden war und sich jetzt mit flammenden Blicken vor der Gondel des deutschen Paares verneigte. Sie dankten dem Gruß, Elisabeth befangen, der Oberst entzückt von dieser leichten Art sich zu geben und eine Huldigung zu erweisen. Dann waren die beiden Gondeln aneinander vorübergeglitten, und es dauerte geraume Zeit, ehe sie sich im Gewirr der andern wiederfanden. Aber sie fanden sich wieder, und jedesmal grüßten sich Blumen, Blicke, Lachen und Lächeln.

      Nach einiger Zeit lichtete sich das übergroße Gedränge. Elisabeth, die sich außer für die Priuli jetzt nur noch ein wenig für die Fürstin Tassini interessierte, hätte gerne noch einmal das schwimmende, weiße Rosenbeet gesehen, aber die Fürstin war nur ein einziges Mal auf- und abgefahren und dann in ihren Palast zurückgekehrt. Auch die Priuli hatten eigentlich schon genug von der Blumenschlacht und wollten nur den Augenblick abwarten, wo die Schöttlings zu ihrem Hotel fuhren. Sie hielten sich dicht hinter ihnen, und als die Gondel vor dem Hotel anlegte und ein alter Bettler sie mit dem Enterhaken herangezogen hatte, sprang Ettore behend aus der seinen und schüttete, noch ehe Elisabeth den Fuß auf die erste Stufe gesetzt hatte, den Rest seiner Rhododendren, die er eigens zu diesem Zweck aufgespart hatte, vor ihr auf die Stufen hin, daß sie wie über einen Blütenteppich schritt. Am nächsten Tag speiste das Geschwisterpaar auf der großen Terrasse des Hotel Bauer-Grünwald an einem Tisch, den Ettore schon morgens hatte belegen lassen, und der dicht neben dem der Schöttlings stand. Im Verlauf des Dejeuners ließ Eleonore ganz zufällig und geschickt nach der Schöttlingschen Seite hin ein Armband fallen, das der Oberst dienstbeflissen aufhob und mit etlichen verbindlich geradebrechten Worten zurückgab. So war unschwer die von den jungen Leuten ersehnte Gelegenheit zur Anknüpfung gefunden, und kaum vierzehn Tage später verkündete Ettore auf dem Lido seinen erstaunten Freunden, daß er sich nun wirklich mit Fräulein von Schöttling verlobt habe.

      5

      Nun kamen für Elisabeth Tage so voll Glück, daß sie beinahe schwer daran trug und vor der Buße bangte, die sie dem Schicksal dafür späterhin zahlen mußte. Wie bei anderen das Unglück, so kam bei ihr das Glück Schlag auf Schlag. Zuerst der Reichtum, dann die Italienfahrt und als deren Krönung nun die Vermählung mit einem Mann, den sie wie in einem Märchen sich zu eigen gemacht hatte, kaum daß er sie erblickt hatte. Wie jedes verliebte Mädchen hätte natürlich auch sie mit dem Geliebten freudig ein bescheidenes Los geteilt, wäre mit ihm, wenn es die Notwendigkeit erfordert hätte, in ein kleines Nest gegangen oder von einer Provinzgarnison zur anderen, aber dies eben erschien ihr so wunderbar, daß der Mann ihres Herzens sie auch noch einem Geschlecht, einem Hause zuführte, das ihre Einbildungskraft lebhaft beschäftigte, und daß sie nun zeitlebens in der Stadt wohnen sollte, in der ihr jeder Tag wie ein Feiertag erschien. Wie sie als Braut zum erstenmal mit ihrem Vater am Palazzo Priuli vorfuhr, war sie blaß und ernst, und als Ettore sie zärtlich über die Marmorstufen durch die dunkle Erzpforte geleitete, überlief sie ein kleiner Schauer, den sie selbst nicht begriff, und über den Ettore lachen mußte.

      »Sie friert, die arme, kleine Deutsche. Sie friert schon jetzt, im Sommer, weil keine Zentralheizung da ist und kein Kachelofen.«

      Elisabeth lächelte einen Augenblick, wurde aber gleich wieder ernst.

      »Nein, das ist es gewiß nicht! Aber ich bin doch heute zum erstenmal in Deinem Hause, denn früher war ich doch nur in Deiner Galerie. Und siehst Du, in solch einem Palast steckt so viel Altes, Ueberkommenes, Bindendes, – ein großer Name legt auch große Verpflichtungen auf, und ich frage mich, ob ich sie alle erfüllen kann.«

      Ettore, der sich niemals mit solchen Ideen trug und in seinem ganzen Leben noch nicht über die Beziehungen zwischen seinem Namen und seiner Lebensaufgabe nachgedacht hatte, war zuerst ein wenig verblüfft, küßte dann aber Elisabeths Hand und meinte heiter:

      »O, la carina, was sie für Gedanken im Kopf hat! Das mußt Du Dir abgewöhnen, Schatz, oder vielmehr, ich werde Dir's abgewöhnen. Eine schöne, junge Frau muß immer lachen und fröhlich sein und soll keine Dinge denken, bei denen sie zwei Falten auf der Stirne ziehen muß, wie Du jetzt!«

      Elisabeth


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