Die große Gauklerin. Brachvogel Carry
Landeplatz zu den Bagni fuhr und natürlich den Anschluß der Vaporetti bildete. Er war ganz froh darüber, denn es eilte ihm gar nicht so sehr, die Freunde zu treffen, und obendrein bereitete es ihm die Freude des müßigen Bummlers, die dem Dampfer entsteigenden Menschen zu mustern. Es waren ihrer nicht gar zu viele, denn die Reisesaison hatte eben erst begonnen, und interessante Typen fehlten fast gänzlich. Es war ein ziemlich untergeordnetes, italienisches Kleinbürgertum, das herausdrängte, stark vermischt mit Deutschen von ähnlicher Qualität, die schon durch ihre seltsame, weder der Witterung noch dem Stimmungsreiz Venedigs angepaßte Kleidung ihre Nationalität verrieten. Ettore sah dieselben Gestalten, die jahraus, jahrein seine Vaterstadt in immer größeren Scharen überschwemmten: die Männer in Loden, die Frauen in abgetragenen Blusen, alle oder fast alle hingerissen, verzaubert von dieser Stadt, deren Name ihnen seit ihren Kindertagen wie ein Märchen ins Ohr geklungen hatte, daß sie gar nicht merkten, wie sie durch ihre vernachlässigten Erscheinungen, durch ihr lautes Wesen stets aufs neue den Spott und den Aerger der an allen Aeußerlichkeiten hängenden, eleganten Romanen hervorriefen. Einige Engländer stiegen aus, tadellos gekleidet, mit unbeweglichen Mienen, eine französische Kokotte, geschminkt und parfümiert, kam mit ihrem Begleiter angetrippelt, und man sah ihr an, daß sie von all der Herrlichkeit Venedigs nicht das geringste verstand und für den Boulevard des Italiens willig die Lagunenstadt hergegeben hätte.
Ettore wollte eben feststellen, daß die Musterung dieses Dampferpöbels sehr unergiebig gewesen sei, als ihm ein Paar auffiel, das fast als letztes den Dampfer verließ. Es war ein älterer Herr und eine junge Dame, die er sofort, noch ehe er sie sprechen hörte, als Deutsche erkannte, obgleich sie beide durch ihre Erscheinungen und ihren Anzug sehr vorteilhaft von ihren Landsleuten abstachen. Dem Herrn merkte man an seiner Haltung und an kleinen Einzelheiten seiner Toilette den Militär in Zivil an, die junge, schlanke Dame, die ein ganz einfaches, aber tadelloses blaues Tailor made mit einer weißen Spitzenbluse trug, konnte vielleicht seine Frau, wahrscheinlicher aber seine Tochter sein; Ettore war sich im Augenblick darüber nicht klar. Die beiden waren ihm zuerst durch ihre großen, schlanken Gestalten aufgefallen und dann durch einen Ausdruck von Glück, von Verklärtheit, der über ihren Gesichtern lag, sie von innen heraus beleuchtete, daß man gar nicht wußte, ob diese Menschen schön oder häßlich waren, sondern nur, daß ihnen etwas zuteil geworden, was sie nicht zu hoffen gewagt, daß sie dahingingen, eingesponnen und verloren in einen seligen Traum. Ettore erinnerte sich, daß er diesen entrückten Ausdruck wohl schon da und dort auf den Gesichtern von Deutschen gesehen hatte, die zum erstenmal nach Italien kamen, eine Sehnsucht zu stillen, die ihrer Rasse im Blute liegt; sie hatte ihm auch immer gefallen, ihn mitunter ein wenig gerührt, aber nie war ihm so warm ums Herz geworden, wie eben jetzt, da er diese beiden betrachtete. Das Mädchen war sicherlich nicht besonders hübsch, wohl auch schon über die allererste Jugend hinaus; ihr Gesicht war schon ein wenig gezeichnet, vom Leben, von kleinen, verschwiegenen Entsagungen und wortlosen Bitternissen, zugleich aber war es so erfüllt von Güte und vom Glück dieser Tage, daß Ettore sie bewegt ansah. Er dachte an Miß Maud, die sicher alle möglichen Eigenschaften besaß, nur keine Güte und vermutlich auch keine Glücksfähigkeit, und diese blonde, verklärte Deutsche erschien ihm mit eins schön und begehrenswert. Der ältere Herr bemerkte ihn, sah ihn eine Sekunde lang, sichtlich betroffen von Priulis Schönheit, an und machte dann zu der jungen Dame leise eine Bemerkung. Sie hatte bis jetzt auf die Lagune zurückgeblickt, wandte aber nun den Kopf nach der Richtung, wo Ettore stand. Er merkte, daß sie, genau wie ihr Begleiter, betroffen war von der Vollendung seiner Fechtergestalt und seinem kühnen, braunen Gesicht, das alle Feinheiten der alten Rasse wies. Weil er's merkte, sah er sie mit seinen dunklen Augen so schwärmerisch und lockend an, wie er alle Frauen anzublicken pflegte, und wartete gespannt den Effekt ab. Das Mädchen wandte langsam, ohne Bewegung oder Verwirrung zu verraten, den Kopf wieder weg, aber Priuli merkte, daß ihr helles Gesicht sich mit einer leisen Röte bedeckt hatte. Sie wechselte wieder ein paar Worte mit ihrem Begleiter, sah, während die Menge zur Trambahn drängte, immer wieder auf die Lagune und die ferne Stadt zurück. Priuli, der sich selbst nicht recht begriff, stand immer noch wie vorhin und dachte, wie töricht und süß es doch sei, daß ein Mensch sich glückselig fühle, bloß weil er in Venedig und weil die Lagune so blau ist …
Er hoffte, während der kurzen Fahrt des Trambähnchens irgendeinen Anknüpfungspunkt mit dem deutschen Paar zu finden, sah sich aber peinlich enttäuscht. Die beiden, die wahrscheinlich genug hatten vom Reisepöbel, stiegen nicht ein, sondern schickten sich an, die Bagni zu Fuß zu erreichen. Ettore warf noch einen seiner lockenden Blicke auf die blonde Dame zurück, aber sie sah ihn nicht oder wollte ihn nicht sehen, hing sich an den Arm ihres Begleiters, und weil der Wagen sich nun in Bewegung setzte, waren sie bald dem Gesichtskreis Ettores entschwunden.
2
Die Freunde Priulis, der junge Fürst Gaulo, die zwei Grafen Fabbriani und der Graf Spatò, erwarteten ihn mit mehr Geduld und besserer Laune, als er sich dachte. Sie saßen an einem runden Tisch auf der Kurhausterrasse, sogen an den Strohhalmen ihrer Graniti, sahen hinunter aufs Meer, wo einzelne, aber nicht allzu viele badeten, und sprachen in den Pausen, welche die Musikkapelle ließ, über allerlei Gesellschaftsklatsch und – neuigkeiten und über ihr Lieblingsthema, – das Heiratsproblem. Priuli hätte sich ihretwegen gar nicht auf eine Ausrede oder irgendeine Gefühlskomödie zu besinnen brauchen, denn sie waren von seinem Mißerfolg bei der Amerikanerin schon überzeugt, als seine Hoffnungen noch mit geblähten Segeln dahinfuhren. Gaulo sagte:
»Es dauert zu lange! Wenn eine Sache nicht in den ersten acht Tagen glückt, wird sie überhaupt nichts mehr! Sie nimmt Priuli nicht, verlaßt Euch darauf!«
Die andern nickten. Der jüngere Fabbriani, blond und häßlich, wie die blonden Italiener fast immer sind, sagte nachdenklich: »Es ist komisch! Priuli sieht doch so famos aus, daß man meint, er brauchte nur die Hand auszustrecken, um alle Weiber in der Tasche zu haben …«
»In der Tasche schon, aber nicht in der Kirche!« meinte Spatò, der sich gern als Experte in Heiratsangelegenheiten aufspielte. Auch ihm sah man die alte, vornehme Rasse an, aber mehr an Dekadenzmalen denn an Vorzügen. Er war engbrüstig, hatte einen auffallend langen, schmalen Schädel und lebte seit Jahren mit einer Tänzerin, von der er nicht mehr loskam. Jeder wußte, daß er nur den Tod eines reichen Großonkels, der mit Enterbung drohte, abwartete, um seine Geliebte zu heiraten.
Die andern lachten. Es war eine kleine Schwäche Spatòs, stets so zu tun, als ob er seine Tänzerin jeden Augenblick verabschieden könnte und wollte und ernstlich daran dächte, eine vorteilhafte Standespartie zu machen. Er tat nicht nur vor den Leuten so, er redete es sich auch selbst ein, und darum wußte niemand in Venedig, ausgenommen vielleicht der junge Fürst Gaulo, so genau Bescheid um alle Partien, die in Frage kamen, wie Spatò. Massimo Fabbriani tat ihm jetzt den Gefallen, auf sein Spiel einzugehen, und fragte, was man denn tun müsse, um einen Goldfisch zu angeln. Spatò wiegte leise den Kopf, schien ein wenig nachzudenken und sagte dann fast dasselbe, was Priuli vorhin erwogen hatte.
»In Venedig ist es schwer, verdammt schwer; die Konkurrenz des Auslandes ist so groß! Unsere Namen klingen da draußen zu wenig, und unsere Paläste, nun ja, wenn man einen am Canal Grande hat, mag's noch gehen (der Palazzo Spatò, dicht bei den Palazzi Mocenigo gelegen, war einer der stolzesten des Canal Grande und berühmt wegen seiner prächtigen Renaissancefassade); aber der arme Priuli hat darin Pech. In der Calle, wo er steht, sieht ihn kein Mensch!«
»Aber der Palazzo Priuli ist entzückend!« meinte Cesare Fabbriani, der ein wenig mit Kunstinteressen kokettierte. »Für seine Spitzbogen geb' ich den Loredan und den Cornèr und noch einen dazu!«
»Ja, mein Lieber, wenn Du glaubst, daß die Mädchen wegen des Spitzbogenstils heiraten!« beharrte Spatò. »Wenn man ihnen imponieren will, muß man am Canal Grande wohnen, wo alle Parvenüs täglich vorbeifahren, und wo die Aussicht lockt, daß der Name, den sie erheiraten, von jedem Gondoliere und Fremdenführer genannt wird! Aber in einer Calle –«
Massimo Fabbriani gab Spatò recht. Er war mit seiner blonden Häßlichkeit immer etwas neidisch auf Priuli, und es freute ihn, wenn man die Chancen des schönen Ettore gering einschätzte. Darum sagte er jetzt, nur um den Widerspruch der andern zu hören:
»Freilich hat Priuli etwas, was mehr wert ist als irgendein Palast. Er hat seine Gemäldegalerie mit der ›Dogaressa‹!«