Die große Gauklerin. Brachvogel Carry
darstellte, war jedem Venezianer so teuer, daß er nur mit Ehrfurcht davon sprach. Cesare Fabbriani meinte gedankenvoll:
»Ja, die ›Dogaressa‹ …! Was wären die Priuli, wenn sie das Bild nicht hätten! Es ist übrigens das einzige Wertvolle in der ganzen Sammlung. Der Rest ist nur Kitsch!«
Gaulo lachte.
»O, wenn die Priulis das Bild verkaufen könnten, das gäbe einen schönen Haufen Geld, was meint Ihr?«
Sie fingen an Summen zu nennen, Millionenziffern, die alle gleich möglich oder unmöglich sein konnten, weil der Wert des Bildes nicht abzuschätzen war. Schließlich meinte Cesare Fabbriani, der anfing sich zu langweilen:
»Wozu machen wir uns eigentlich die Köpfe mit all den Zahlen warm? Bei uns kann es doch keiner kaufen, und nach auswärts darf es ja nicht gehen!«
Sie nickten. Nun, da sie, scheinbar im Scherz und doch mit einem deutlichen Unterton von Ernst und Gier, das Bild abgeschätzt hatten, war ihr Interesse an ihm erschöpft, zudem sie jetzt Ettore auf ihren Tisch zukommen sahen. Er ging langsam, den Hut aus der Stirn geschoben, den Kopf ein wenig zurückgelegt, das Stöckchen schwingend, ganz und gar der scharmante, schöne Priuli, als den ihn Venedig kannte. Er setzte sich zu ihnen, tauschte mit ihnen die üblichen Redensarten über das Wetter von heute, gestern und morgen, bestellte sich eine Eislimonade, zündete eine Zigarette an und schien nichts zu empfinden als das Behagen des Lebens und die Helle dieses Tages. Gaulo fragte ihn neckend:
»Was macht Amerika?«
»Vederemo!«
»Ist die Geschichte noch nicht bald spruchreif!«
Der häßliche, blonde Fabbriani sah Ettore lauernd an. Ettore verstand, was der Blick sagen wollte, und entgegnete gelassen:
»Eine Verlobung ist kein Kinderspiel! So etwas muß man sich genau überlegen. Ich muß mir's nämlich genau überlegen!«
Er staunte selbst, daß er so unbefangen flunkern und die andern verblüffen konnte. Denn verblüfft waren sie ein paar Sekunden lang, wenn schon sie sich bei ruhiger Ueberlegung sagen mußten, daß die sogenannte Ueberlegung wohl mehr auf seiten Miß Mauds als auf der Priulis war. Sie neckten ihn noch, fragten ihn, was es denn angesichts von so viel Dollars noch zu überlegen gäbe, worauf er zuerst allerlei allgemeine Redensarten machte, um plötzlich ernst und ein wenig geheimnisvoll zu behaupten:
»Ich werd' Euch später sagen, warum mir heute Bedenken gekommen sind!«
Die andern lachten oder lächelten, und der blonde Fabbriani freute sich innerlich über die Niederlage, die er aus den umschreibenden Worten deutlich merkte; Priuli selbst aber hatte, er wußte nicht wieso, mit einemmal das Gefühl, als ob seine Worte nicht mehr bloß Ausrede und Erfindung seien, als ob sie vielmehr in irgendeinem Grunde wurzelten, so daß er selbst beinahe zu glauben begann, irgendeine schwerwiegende Ursache hätte seine Verlobung mit Miß Maud verzögert.
Nun waren sie wieder auf dem alten Lieblingsthema, der reichen Heirat, und sie erörterten abermals tiefsinnig, wie schwer es für sie sei, eine zu schließen.
Gaulo sagte:
»Es ist eigentlich ein Unsinn, immer hinter diesen Ausländerinnen herzujagen. Man sollte sich mehr an die Töchter des Landes halten!«
Spatò meinte:
»Freilich! Nur haben leider die Väter des Landes sehr wenig Geld!«
Ja, darin hatte er wohl recht, das gaben alle zu. Das war ja eben der Jammer, daß man auf die Ausländerinnen angewiesen war, mit denen man sich in der Ehe dann schlecht verstand und schlecht vertrug. Die Fabbrianis zwar, deren Familie sich ein paarmal mit dem österreichischen Hochadel verschwägert hatte, meinten, daß die Oesterreicherinnen, natürlich die Oesterreicherinnen aus den italienischen Sprachgebieten, angenehme Gattinnen abgäben, die sich leicht und gut in die Besonderheiten Italiens und der vornehmen italienischen Ehe einlebten. Sie stießen aber auf den vereinten Widerstand der andern drei, die nichts von Oesterreich wissen wollten. Oesterreich war für sie trotz des Dreibundes der Bedränger Italiens, mit dem man wohl über kurz oder lang aneinandergeraten würde, und wenn diese jungen Leute sich auch nicht im geringsten um Politik kümmerten, so war ihnen doch die Abneigung gegen Oesterreich in Fleisch und Blut übergegangen.
Die Fabbrianis gaben schließlich klein bei.
»Also schön, keine Oesterreicherinnen! Aber wen dann? Mit den Amerikanerinnen ist das doch so eine Sache –«
Der Blonde schielte zu Ettore hinüber, der unbefangen und aufmerksam Rauchkringel in die Luft blies, als hätte er nie von einer Amerikanerin einen Korb erhalten.
»Und die Engländerinnen –«
Gaulo nahm heftig für die Engländerinnen Partei. Er war, wie die meisten Italiener, ein großer Anglomane, weil er, wiederum wie die meisten seiner Landsleute, verwandte Seiten mit den Engländern besaß. Ihre Geldgier, ihre Rücksichtslosigkeit, ihre Kunst sich durchzusetzen und zu behaupten, imponierten ihm mächtig, und die ungeheuren Reichtümer, die sie ansammelten, natürlich noch mehr. Er sagte:
»Ich hoffe zuversichtlich, einmal eine Engländerin zu heiraten. Von allen Frauen, die ich kennen gelernt habe, gefallen sie mir in jeder Hinsicht weitaus am besten!«
Spatò lächelte ironisch.
»Ich weiß nicht, aber wenn ich Tassini ansehe … Ich sag' Euch, die Ehe Tassinis hat mich ein für allemal von dem Gedanken abgebracht, eine Engländerin zu freien!«
Sie zuckten die Achseln, gingen nicht weiter auf Spatòs Worte ein. Mein Gott, wer sprach denn noch von der Ehe der Tassinis?! Die Tassinis waren ja doch schon über zwanzig Jahre verheiratet, und die Ausschweifungen des Fürsten wie die Absonderlichkeit der Fürstin waren so oft besprochen und kritisiert worden, daß es langweilig gewesen wäre, jetzt abermals darauf zurückzukommen. Gaulo sagte also nur:
»Ich bitte Dich, hör' auf mit den Tassinis! Das ist ja schon beinahe biblische Geschichte.«
Spatò aber, der gerne widersprach oder zum Widerspruch reizte, versetzte:
»Biblische Geschichte? Schön! Dann will ich Euch etwas ganz Neues sagen. Merkt auf! Man sollte weder Oesterreicherinnen noch Amerikanerinnen, noch Engländerinnen heiraten, sondern deutsche Mädchen!«
Nun erhob sich ein Sturm der Abwehr. Wie konnte Spatò nur so etwas behaupten oder gar im Ernst meinen! Die Deutschen waren garstig, plump, unelegant, – wie sollte man solch ein Mädchen in die Pracht venezianischer Paläste, in die Kreise venezianischer Gesellschaft bringen, in der es so schöne Frauen, so glänzendes Auftreten und so scharfe Lästerzungen gab?! Man wäre lächerlich vom ersten Tag der Ehe an, und über Lächerlichkeit könnte auch alles Geld nicht weghelfen.
»Zudem haben die Deutschen auch gar nicht so viel Geld!« meinte der ältere Fabbriani, und die andern gaben ihm recht.
Spatò ließ ihren erregten, von Gesten reichlich unterstützten Widerspruch verklingen, wiegte bedächtig den Kopf:
»Ja, ja, Kinder, Ihr redet geradeso wie Eure Väter geredet haben, weil Ihr Euch um das, was in der Welt vorgeht, nicht kümmert! Ihr meint immerfort, die Deutschen seien noch die Kleinkrämer, auf die wir mit Verachtung herabblicken können. Ich sag' Euch aber, daß dies alles anders geworden ist, ganz anders! Sie sind in Deutschland reich geworden, schwer reich, ekelhaft reich, und darum ist's ein Unsinn, daß wir immer noch wie hypnotisiert auf die Misses von Amerika und England starren! Es gibt heute in Deutschland eine Unzahl von reichen Mädchen, die obendrein auch noch gut aussehen und sich zu kleiden wissen, jawohl, Gaulo, wenn Du auch noch so sehr grinst und meinst, Du seist in Heiratsgeschichten unfehlbar! Frage einmal beim Portier von Bauer-Grünwald nach, wer jahraus, jahrein in den seidentapezierten Salons bei ihm wohnt, da wirst Du Namen hören, hinter denen Millionen und immer wieder Millionen stehen, und Frauen, die sich überall sehen lassen können …«
Gaulo sagte trocken:
»Danke, ich bleibe lieber beim ›Danieli‹ und ›Beaurivage‹!«
Die andern lachten, denn sie wußten ja, daß von dort aus Gaulo durch einen Vertrauensmann die Ankunft der reichen Angelsächsinnen erfuhr, Ettore aber, der bis