Die Majoratsherren. Ludwig Achim von Arnim

Die Majoratsherren - Ludwig Achim von  Arnim


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Geschwister werden ins Wasser geworfen.“ – „Sie waren einmal schon recht nahe, das Majorat zu erhalten?“ sagte die Hofdame. – „Freilich,“ antwortete er, „ich war dreißig Jahre alt, mein Oheim sechzig und hatte in erster Ehe keine Kinder bekommen. Da fällt es ihm ein, noch einmal ein junges Fräulein zu heiraten. Umso besser, dachte ich, die Junge ist des Alten Tod. Aber umso schlechter gings; sie brachte ihm kurz vor seinem Tode einen jungen Sohn, diesen Majoratsherrn, – und ich hatte nichts!“ – „Wenn der junge Mann stürbe, würden Sie Majoratsherr,“ sagte ruhig die Hofdame; „junge Leute können sterben, alte Leute müssen sterben.“ – „Leider!“ antwortete der Leutnant; „der Prediger sprach heute auch davon auf der Kanzel.“ – „Was wurde denn gesungen?“ fragte die Hofdame; „ich wollte es zu meiner Hausandacht wissen.“ – Der Leutnant schlug die Lieder auf; sie sang leise, und er kämmte den Pudel nach Gewohnheit, indem er ihr mit Bewunderung zuhörte. – Als er sich empfahl, trug ihm die Hofdame auf, den jungen Vetter doch gleich, wenn er angekommen, bei ihr einzuführen.

      Als der Leutnant zu Hause kam, trat ihm ein großer, bleicher, junger Mann entgegen, in einer Kleidung, wie er sie noch nicht gesehen: seine Haare waren phantastisch ohne strenge Ordnung emporfrisiert, und Figaroslocken in leichten, dünnen Röhren umliefen wie ein Halbkreis die Ohren. Hinten vereinigte ein dicker Katillon die Haare, welche in einer Locke hinübergekämmt waren. Ein streifiger Rock mit prächtigen Stahlknöpfen und große silberne Schuhschnallen verrieten ihm den Reichtum des Majoratsherrn. Auch dieser hatte aus den Briefen an die Mutter gleich den Vetter erraten und berichtete ihm, daß er Tag und Nacht mit Kurierpferden gereist sei und ihm nicht genug sein Wohlgefallen über das Haus ausdrücken könne, das ganz nach seinem Geschmack sei, nur müsse er ihm erlauben, daß er neben dem für ihn bereiteten großen Zimmer auch ein kleines nehme, das nach der engen Gasse hinaussehe; denn da er nie oder selten ausgehe, so liebe er vor allem diese Beweglichkeit der engen Straßen. – Der Vetter bewilligte ihm gern das schlechte Zimmer an der Judengasse und wollte gleich Anstalt machen, die trüben, von der Sonne verbrannten Fenster durch andere mit großen Scheiben zu ersetzen. —

      „Mein lieber Herr Vetter!“ rief der Majoratsherr, „diese trüben Scheiben sind meine Wonne; denn sehen Sie, durch diese eine helle Stelle seh ich einem Mädchen ins Zimmer, das mich in jeder Miene und Bewegung an meine Mutter erinnert, ohne daß sie mich bemerken kann.“ – „Ei, das gesteh ich,“ sagte der Vetter und setzte sich in die Schultern und fing an gegen das Fenster zu streichen, mit seinem Liebestritt, daß er in Eil eine Prise nahm, nieste und kaltblütig sagte: „Die da ist ein Schickselchen.“ – „Mein Schicksal?“ fragte der Majoratsherr bestürzt. „Wie Sie es nennen wollen,“ fuhr der Vetter fort, „ein Schicksalchen also, ein Judenmädchen; sie heißt Esther, hat unten in der Gasse ihren Laden, eine gebildete Jüdin, hat sonst mit ihrem Vater, der ein großer Roßtäuscher war, alle Städte besucht, alle vornehme Herren bei sich gesehen, spricht alle Sprachen; das war eine Pracht, wenn sie hier ankam, und die Stiefmutter Vasthi mit den jüngern Kindern ging ihnen in Schmutz entgegen. Es konnte niemand was dagegen sagen; die Ursach, warum? Weil sie mit ihrem Wesen dem Vater gute Käufer anlockte. Aber zuletzt hatte der Vater großes Unglück durch einen Handelsgenossen, der ihm mit dem Vermögen durchging. Da gings ihm knapp; das konnt er nicht vertragen und starb. Dieser Tochter erster Ehe, der Esther, hinterließ er ein kleines Kapital, damit sie von der Stiefmutter nicht zu Tode gequält würde; aber das läßt sich die alte Vasthi doch nicht nehmen.“ – „Das ist ja entsetzlich!“ sagte der Majoratsherr, „zwei Leute, die sich hassen, die sich totärgern, in einem Hause! Ich habe die alte Vasthi auch schon am Fenster gesehen: ein schrecklich Gesicht!“ – „Sie wohnen wohl in einem Hause,“ antwortete der Vetter, „aber jede hat ihren besonderen Laden und Wohnung.“ – „Ich will ihr bald etwas zu verdienen geben,“ sagte der Majoratsherr. „Es scheinen hier viele Juden zu wohnen.“ „Nichts als Juden,“ rief der Vetter, „das ist die Judengasse, da sind sie zusammengedrängt wie die Ameisen; das ist ein ewig Schachern und Zanken und Zeremonienmachen, und immer haben sie so viel Plackerei mit ihrem bißchen Essen; bald ist es ihnen verboten, bald ist es ihnen befohlen, bald sollen sie kein Feuer anmachen; kurz der Teufel ist bei ihnen immer los.“ – „Nein, lieber Vetter, Sie irren sich darin,“ sagte der Majoratsherr und drückte ihm die Hände. „Wenn Sie gesehen hätten, was ich in Paris bei meiner Kranken sah, Sie könnten den Teufel nicht für den Vater des Glaubens ansehen; nein, ich versichere es Ihnen, er ist der Feind allen Glaubens! Aller Glaube, der geglaubt wird, kommt von Gott und ist wahr, und ich schwöre Ihnen, selbst die heidnischen Götter, die wir jetzt nur als eine lächerliche Verzierung ansehen, leben noch jetzt, haben freilich nicht mehr ihre alte Macht, aber sie wirken doch immer etwas mehr als gewöhnliche Menschen, und ich möchte von keinem schlecht sprechen. Ich habe sie alle mit meinem zweiten Augenpaar gesehen, sogar gesprochen.“ – „Ei der Tausend, da erstaune ich,“ rief der Vetter, „das könnte uns erstaunliches Gewicht bei Hofe geben, wenn wir sie den hohen Herrschaften zeigen könnten.“ – „So geht das nicht, lieber Vetter,“ antwortete jener ernst, „der Mensch, der sie sieht, muß noch mehr darauf vorbereitet sein durch jahrelanges Nachdenken, als jene Geister, die ihm erscheinen sollen; sonst entsetzen sich beide voreinander, und der sterbliche Teil erträgt es nicht. Aber wer auch bis zu der innern Welt vorgedrungen, – wenn auch noch scheinbar lebend wie ich – ist dennoch abgestorben bei ihrem Bestreben, ihrer Tätigkeit. Das wußte meine Mutter von mir und war darum so unruhig auf ihrem Totenbette, was aus mir werden sollte. Sie hatte bis dahin alle Geschäfte mit großer Einsicht und Ordnung betrieben, während ich mich den Studien und der Beschauung hingab. Ich habe meine Zeit mit großer Anstrengung genutzt, ich habe gerungen wie keiner, ich habe erreicht, was wenigen zuteil geworden. Aber verloren war ich, erdrückt, bis zum Wahnsinn zerstreut von den Geschäften, die nach dem Tode der Mutter auf mich eindrangen, ich wollte mich bezwingen, das Höhere dem Niedern zu opfern; die Qual brachte mich um meine Gesundheit. Eine Kranke, deren Blick weit reicht, sagte mir zu, daß ich hier Ruhe finden würde bei Ihnen, Vetter; Sie hätten ein seltenes Geschick für das praktische Leben, mein Vermögen würde sich unter Ihrer Spekulation verdreifachen. O Vetter! nehmen Sie mir die Last des Geldes und der Güter ab, genießen Sie des Reichtums, ich brauche wenig, und auch auf den Fall, daß ich den Luftgeist der Erde wieder binden könnte, daß Kinder mein Haus füllten, soll Ihnen die Hälfte meiner Einnahmen für die Besorgung des Ganzen bleiben.“ – Bei diesem Vortrage flossen zwei edle Tränen aus den Augen des Majoratsherrn, während die großen Augen des Vetters mit heraufgezogenen Augenbrauen ihn verwunderlich von der Seite anstierten, ohne dem köstlichen Vortrage Glauben beimessen zu können. Dann fuhr der Majoratsherr, um das Gespräch zu ändern, fort: „Als ich mit schwellendem Gefühl, was mir in der Stadt bevorstehe, in welcher der Kreis meines Lebens angefangen, die große Straße herabfuhr, da begegneten mir ausgemergelte Leute, die sich kaum zu den Kaffeehäusern hinbewegen konnten, denn sie wurden fast gewaltsam an den Röcken von unglücklichen Seelen zurückgezogen, die wegen ungeendigter Prozesse nicht zur Ruhe kommen konnten und jammervolle Vorstellungen ihnen nachtrugen. Auch meinen Vater sah ich dabei wegen des einen Konkursprozesses, dessen Ende wohl keiner erleben wird. Schaffen Sie Ruhe seiner Seele, lieber Vetter, ich bin zu schwach.“ – „Wahrhaftig,“ rief der Vetter, „zu dem Tore gehen Sonntags die Räte, Schreiber und Kalkulatoren des großen Gerichts gewöhnlich mit ihren Frauen und Kindern zum Kaffeegarten hinaus.“ – „Der Postillon meinte auch, das wären Kinder, die sich ihnen an die Röcke gehangen“, fuhr der Majoratsherr fort, „aber solche jammervolle Gesichter haben Kinder nicht, das sind die Plagegeister, die sie wegen ihrer Nachlässigkeit umgeben. Lieber Vetter! befriedigen Sie meines Vaters, Ihres Oheims, arme Seele.“ – Der Vetter sah sich ängstlich in dem trüben Zimmer um, ihm war es zumute, als ob die Geister, wie der Schnupfen, in der Luft lägen. „Alles, alles will ich tun, was sie wünschen, bester Vetter“, rief er dann, „ich bin nicht glücklich, wenn ich nicht so etwas zu betreiben habe. Prozesse sind mir lieber als Liebeshistorien, und Ihre Angelegenheiten sollen bald in eine Ordnung kommen wie meine Wappensammlung.“

      Bei diesen Worten führte er ihn in ein Vorderzimmer und hoffte, den Majoratsherrn durch den Anblick seiner zierlichen, gebohnten Schiebkasten, in welchen die Wappen, zum Teil mit Zinnober abgedrückt, die Namen in Frakturschrift beigefügt, glänzten, zu zerstreuen und zu befriedigen. Der Majoratsherr schien auch hierin, wie in allen Kenntnissen wohlbewandert; der Vetter mußte seine Bemerkungen achten. Als er aber den Schrank


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