Setma, das türkische Mädchen. Christian Barth
arth
Setma, das türkische Mädchen / Eine Erzählung für Christenkinder
Liebe Kinder!
Ich soll euch wieder etwas erzählen, haben einige Leute gesagt, und zwar haben sie gesagt, ich soll auch einmal eine Geschichte von einem Mädchen erzählen, nicht immer nur von Knaben. Nun weiß ich eine schöne Geschichte, und die auch wahr ist, aber von einem türkischen Mädchen. In den letzten Jahren habt ihr wohl immer viel von den Türken gehört, was das für wilde grausame Leute sind; aber vor diesem Mädchen dürft ihr euch deßwegen nicht fürchten, die ist gar sanft und gutmüthig, und hat viel mehr Angst vor den Christen ausgestanden, als ihr je vor den Türken. Ich denke also, ich will euch diese Geschichte erzählen, und wenn sie euch nicht gefallen sollte, so ist mir’s leid, und ich will’s ein ander Mal besser machen, wenn ich noch lebe. Manches von euch liest wohl heuer zum letzten Mal ein Weihnachtbüchlein, und ist über’s Jahr nicht mehr da. Was meinet ihr, liebe Kinder! wie viele von denen, die den „armen Heinrich“ vor drei Jahren gelesen haben, seitdem in die andere Welt hinübergegangen sind? Wenn ich’s wüßte, wollte ich es euch sagen, und ihr würdet erstaunen. Wie bald kann’s auch uns treffen! Bedenket dieß!
Nun so lebet denn wohl, ihr Lebenden! und sterbet wohl, ihr Sterbenden! Es kommt ein Tag, da wir uns wiedersehen.
Erstes Kapitel
Setma und Guly in Belgrad
Wo die Save in die Donau fließt, an der Grenze des türkischen Reiches gegen Oestreich, liegt die große Handelsstadt und Festung Belgrad, sonst auch Griechisch-Weißenburg genannt. Sie hat 30,000 Einwohner, und hundert türkische Moscheen oder Bethäuser stehen innerhalb ihrer Mauern. Die Einwohner sind größtentheils Servier, doch wohnen auch viele Türken darin, da die Stadt unter türkischer Botmäßigkeit steht, obgleich sie schon mehrere Mal von den Christen erobert worden ist. In dieser Stadt wurde im Jahr Christi 1671 das Mädchen geboren, dessen Geschichte euch in diesem Büchlein erzählt werden soll. Sie erhielt den Namen Setma. Fast hätt’ ich gesagt: bei der Taufe; und doch wurde sie nicht getauft: denn ihre Eltern bekannten sich zur muhamedanischen Religion. Ihr Vater war ein türkischer Kaufmann, Namens Osman, der ein beträchtliches Vermögen besaß, und sein Geschäft mit Schiffen auf der Donau trieb. Er hatte das Amt eines Baschi oder türkischen Ober-Commissärs, und stand überdieß noch deßwegen in großem Ansehen, weil er ein Hadschi war, d. h. weil er eine Wallfahrt nach Jerusalem und nach Mekka, dem Geburtsort Muhameds, gemacht hatte. Er wurde daher gewöhnlich Hadsch’-Osman genannt.
Nun soll euch Setma selber weiter erzählen:
In stiller Zurückgezogenheit bin ich aufgewachsen, und nicht viel unter die Leute gekommen: denn mein Vater war ein sehr ernsthafter und strenger Mann, und meine Mutter starb, da ich kaum drei Jahre alt war. Ich wurde hierauf der Aufsicht einer verständigen Sklavin übergeben, welche schon bei Jahren war und unsere Haushaltung besorgte. Im Lesen und Schreiben wurde ich nicht unterrichtet; das Einzige, was man mich lehrte, waren einige Gebete und Sprüche, wie sie bei den Muhamedanern gebräuchlich sind. Doch lernte ich auch einige weibliche Arbeiten. Mein Vater hatte einen deutschen Sklaven aus Böhmen; von dem lernte ich zum Zeitvertreib etwas deutsch. Ach wer hätte es damals glauben sollen, daß ich das einst so gut würde brauchen können! Aber die Wege Gottes mit Seinen Menschenkindern sind wunderbar, und oft bereitet Er sie lange vorher auf etwas vor, das sie später erfahren sollen. Ehe der Weber sein Gewebe anfängt, sind schon die rothen und blauen Fäden zugerüstet, welche hineingewoben werden sollen; aber Niemand als er allein weiß zuvor, wo sie hineinkommen, und was für ein Bild daraus werden wird.
Ich hatte eine Gespielin von meinem Alter, Namens Guly, welche täglich zu mir kam, und mit welcher ich nach und nach zur innigsten Freundschaft verbunden wurde. Wir unterhielten uns, wenn wir zusammenkamen, mit Kinderspielen: denn von Gott und göttlichen Dingen wußten wir nichts zu reden, weil wir zu wenig davon verstanden. O wie glücklich sind doch Christenkinder, die von Kindheit auf mit dem Heiland und mit so vielen schönen Geschichten, welche in der Bibel stehen, bekannt gemacht werden! Die können ihre Zeit viel besser zubringen. Wenn sie es nur auch immer thäten! Wie froh wären wir gewesen, wenn wir die schönen Erzählungen von Joseph, Mose, Samuel, David, Jesus selbst und den Aposteln gewußt hätten, und hätten sie einander erzählen können! Da hätte uns die Zeit nie lang werden können. Das Liebste war uns, wenn der Vater, der oft in Geschäften verreisen mußte, nicht zu Hause war, und die Aufseherin Zeit hatte, sich mit uns abzugeben und uns allerlei Geschichten, Mährchen und Fabeln zu erzählen. Das war freilich nichts Christliches; aber doch war zuweilen etwas Gutes und Lehrreiches darunter. Ich erinnere mich noch einer Fabel, die sie uns oft erzählen mußte, weil wir immer große Freude daran hatten. Es war
„Vor vielen, vielen Jahren lebte eine Haselmaus mit sehr weichen Füßchen und hellen Aeuglein in einer kleinen Höhle nahe an dem Fuß eines Felsens. Die kleinen Kinder, welche von einigen benachbarten Hütten herbeikamen, um auf einem Moosplatz unter diesem Felsen zu spielen, konnten die Höhle nicht sehen, weil ein Zweig von Epheu darüber hergewachsen war; und da der Epheu das ganze Jahr grün blieb, so gewährte er der Haselmaus ein beständiges Obdach. Nicht weit von der Höhle der Haselmaus, in einem sumpfigen Platz unter dem Felsen lebte eine Familie von Fröschen, welche sich in den dunkeln Stunden der Nacht durch ihr Gequake der Nachbarschaft kund gaben, so daß Jeder, der vorbeigieng, sie leicht ausfindig machen konnte, wenn er sich die Mühe nehmen wollte. Nun geschah es in einer hellen Mondnacht, daß eine Anzahl roher Knaben, welche vom Felde in ihre Hütten zurückgiengen, zufällig das Quaken dieser Frösche hörte, worauf sie dem Schalle nachgiengen bis zu ihrem Aufenthaltsort, und anfiengen, sie mit Steinen zu werfen. Dadurch wurden die kleinen Thiere bewogen, sich zu flüchten, so gut sie konnten, und einer von ihnen nahm seine Zuflucht zu der Wohnung der Haselmaus, wo er sich hinter die grüne Thüre von Epheu setzte, und um Erlaubniß bat, unter diesem Obdach zu bleiben, bis die Gefahr vorüber wäre. Die Haselmaus, als sie von den Umständen unterrichtet war, hieß den Frosch sehr freundlich willkommen, und sagte zu ihm, obgleich ihre Höhle sehr klein sei, so stehe ihm doch die Hälfte derselben zu Dienst. Der Frosch war sehr dankbar für dieses gütige Anerbieten, schob sich in die Höhle hinein, kauerte sich auf eine Seite so eng zusammen, als er konnte, und wartete ganz ruhig, bis der Lärm der Knaben aufhören würde. Es wurde sonst kein Laut in den Wäldern gehört, als das Zirpen einiger Grillen, die sich in der Nähe aufhielten, und das Plätschern einer kühlen Quelle, welche über den Felsen herabrann.
Als seine Furcht nachgelassen hatte, fieng der Frosch an, nach seiner Gewohnheit sich zu blähen und aufzublasen, und ließ seiner üblen Laune freien Lauf. „In der That, Nachbarin Haselmaus“ – sagte er – „du hast da eine sehr bequeme Wohnung, ob sie gleich für unser zwei kaum geräumig genug ist, und dennoch könnte ich sehr froh sein, den Rest meines Lebens hier zuzubringen.“
„Ja“ – erwiederte die Haselmaus – „die Wohnung ist allerdings sehr bequem, und ist schon lange ein Eigenthum unserer Familie.“
„Wirklich“ – fuhr der Frosch fort – „ich wünschte nur, daß sie ein bischen größer wäre: denn ich fürchte, du wirst schon finden, daß du in deinem Winkel kaum Platz genug hast.“ – Damit fieng er an, seine faltige Haut so aufzublasen, daß die kleine Haselmaus ganz an die Wand gedrückt wurde, und da sie merkte, daß es vergeblich sein würde, sich mit einem so gehässigen Thiere in einen Streit einzulassen, flüchtete sie sich aus der Höhle, lief einen großen Theil der Nacht hindurch, und kam vor der Morgendämmerung wohlbehalten am andern Ende des Waldes bei einer bequemen Wohnung an, welche ihrem Bruder gehörte. Unterdessen blieb der Frosch in der Höhle, und da er in einem Winkel derselben einen Vorrath von Lebensmitteln fand, welche die Haselmaus für den Winter aufgespeichert hatte, ließ er sich diese Leckerbissen so gut schmecken, bis er so breit und dick wurde, daß er nicht mehr durch die Oeffnung der Höhle hindurch konnte. Nach und nach verschlossen Erdstückchen und Steinchen, die vom Felsen herabfielen, den Eingang vollends, und da das Wasser, welches über die Felsen rieselte, eine versteinernde Eigenschaft hatte, so wurde der Frosch in seiner Höhle eingeschlossen, wie in einem Grab, und ohne Luft schöpfen zu können, mußte er darin bleiben bis vor ungefähr dreißig Jahren. Da wurde von einigen Steinbrechern der Fels, der aus Kalkstein bestand, gebrochen; sein Grab ward geöffnet; er athmete noch ein paar Mal, und starb.“
Damals verstand ich den Sinn dieser Fabel nicht, und ergötzte mich