Geld und Erfahrung. Max Eyth
Geld und Erfahrung
Einleitung
Geld und Erfahrung! Man kennt das Geschichtchen von den beiden Männern, die zusammen ein Geschäft begründeten. Der eine brachte das nötige Geld dazu mit, der andere die Erfahrung. Als aber ein paar Jahre ins Land gegangen waren und die beiden sich wieder trennten, da hatten sie die Rollen getauscht: der das Geld mitgebracht hatte, der hatte jetzt die Erfahrung; aber der andere hatte das Geld.
Das Geschichtchen ist eines von denen, die ewig neu bleiben und die sich in der Welt immer wieder abspielen. Umsonst ist der Tod, und Erfahrung gewinnt man nicht, ohne Lehrgeld dafür zu zahlen. Es hilft nichts, daß man darüber klagt und jammert. Man wird am besten damit fertig, wenn man gute Miene zum bösen Spiel macht und sich mit fröhlichem Humor in sein Schicksal findet. Das haben wenige so gut verstanden wie Max Eyth. Sein ganzes Jünglings- und Mannesalter ist ein einziges Sammeln von Erfahrungen gewesen, und er hat sie alle redlich bezahlen müssen. Aber statt sich darüber zu grämen, hat er aus all seinen Erlebnissen lustige und unterhaltsame Geschichten gemacht, von denen dieses Buch eine treffliche Probe gibt.
Es gibt Schriftsteller, die sich ihre Bücher zusammenfabeln, weil sie uns recht absonderliche Dinge erzählen wollen, ohne Rücksicht darauf, ob sie wahr sind oder nicht. Und es gibt andere, die sich ihre Bücher zusammenträumen, während sie irgendwo in der schlichten Alltäglichkeit sitzen und sich heimlich hinaussehnen in Abenteuer, in fremde Länder und zu fremden Menschen. Max Eyth hat nicht gefabelt und nicht geträumt: er hat erlebt. Und das, was er erlebt hat, hat er mit klarem Auge und fröhlichem Wesen beobachtet und dann niedergeschrieben, andern zur Belehrung und zur Freude.
Max Eyth ist im Jahr 1836 im Pfarrhaus des Städtchens Kirchheim unter Teck geboren worden. Die Kunst, mit der Feder umzugehen, war ihm von seinen Eltern überkommen, die sich beide dichterisch betätigten. Daneben hatte er schon in seinen Kinderjahren besonderes Interesse an praktischen Dingen, an Maschinen. Und so entschied er sich dafür, das Stuttgarter Polytechnikum zu besuchen, um Maschinenbauer zu werden. Das war damals, wo die Maschinen erst ganz allmählich anfingen, die Bedeutung zu gewinnen, die sie jetzt in der Welt haben, noch ein kühnes Unterfangen. Aber Max Eyth hat Zeit seines Lebens frischen Wagemut besessen und darauf vertraut, daß dem Kühnen das Glück lächelt und der Erfolg hold ist. Mit diesem Wagemut begann er sein Studium: mit diesem Wagemut beschloß er, als es glücklich beendet war, ins Ausland zu ziehen und sich draußen den Wind um die Nase wehen zu lassen.
Der Anfang war nicht vielversprechend. Er zog rheinabwärts und klopfte in all den großen Fabriken an, die sich links und rechts des schönen Stroms aufgetan hatten. Aber auf seine Frage nach einer Anstellung fand er von Mainz bis Antwerpen nur ein Achselzucken. Und es beweist seine Energie, daß er nicht reumütig umkehrte, sondern über See nach England ging, um dort sein Heil zu versuchen. Auch hier wiederholte sich zunächst, was er auf seiner Rheinfahrt erlebt hatte: Monat für Monat wurde er abgewiesen, wo er anklopfte. Endlich aber kam der Tag, an dem sein Ausharren belohnt wurde: sein guter Stern führte ihn mit John Fowler zusammen, einem der größten englischen Maschinenfabrikanten, der hauptsächlich Dampfpflüge baute.
Fowler berief Eyth in seine Fabrik. Ein Schraubstock, an dem er arbeiten sollte, und dreißig Schilling Wochenlohn: viel war es nicht, was dem jungen Ingenieur geboten wurde. Aber er griff rasch entschlossen zu und hatte es nicht zu bereuen. Bald fand er an den Dampfpflügen Gefallen und Fowler an ihm. Auf der Londoner Weltausstellung hatte er schon als Vertreter der Firma die dort arbeitenden Dampfpflüge zu leiten. Da er sich dabei ausgezeichnet bewährte, entsandte man ihn im Anschluß daran nach Ägypten. Halim Pascha, der Oheim des damaligen Vizekönigs des Pyramidenlandes, einer der größten Grundbesitzer in der ungeheuren Nilebene, wollte seine Güter besser ausnützen, als dies bei der bis dahin üblichen, altväterlichen Weise des Ackerbaues möglich war. Er bestellte bei Fowler ein paar Dampfpflüge und Eyth wurde ausersehen, sie ins Nildelta zu bringen, dort aufzustellen und aus der eingeborenen Bevölkerung die nötige Bedienungsmannschaft heranzubilden.
Es war keine Kleinigkeit, die hier gestellte Aufgabe in einem halb zivilisierten Lande zu lösen. Aber Eyth fand sich in die fremdländischen Verhältnisse so glücklich hinein und stand so wacker seinen Mann, daß Halim Pascha ihm den Antrag machte, als Oberingenieur ganz in seine Dienste zu treten. Eyth ging darauf ein und blieb vier Jahre in Ägypten.
Dann trat er wieder in die Dienste der Fowlerschen Fabrik, aber nicht, um in England hinter Zeichentisch und Schraubstock zu sitzen, sondern um das in Ägypten begonnene Wanderleben weiter fortzusetzen. Zunächst sandte man ihn in die Vereinigten Staaten von Nordamerika, um hier den Dampfpflug einzuführen. Es war bald nach der Beendigung des Sezessionskrieges und der Niederwerfung der Südstaaten, als er den Boden der Neuen Welt betrat. Wie es ihm dort erging, das hat er in »Geld und Erfahrung« ebenso anschaulich wie humorvoll geschildert. Der Kontrast zwischen Nord- und Südstaatlern, das übertriebene Selbstgefühl des Nordamerikaners, sein Drang, Geld zu »machen« um jeden Preis, kurz, das ganze, seltsam zusammengesetzte Wesen tritt uns in der Geschichte lebenswahr entgegen. Und Eyth verhehlt dabei nicht, wie er, der so stolz war, in Ägypten sich durchgesetzt zu haben, dieser amerikanischen Art zunächst ziemlich hilflos gegenübersteht, wie er erst allmählich sie begreift und festen Boden unter die Füße bekommt. Schließlich gelang es ihm auch hier, seinem Auftrag gerecht zu werden. Aber schon harrten seiner neue Aufgaben in der alten Welt. In Deutschland, Österreich, Belgien hatte er zunächst tätig zu sein. Dann ging er mit seinen Pflügen ins Innere des heiligen Rußland, das er verließ, um Fowlers Maschinen in Rumänien einzubürgern. Von Rumänien zog er nach Italien, und weiter übers Mittelmeer in die heißen Gefilde Algiers. Dann beorderte man ihn in die Türkei, die er nur verließ, um nach Westindien zu fahren. Als seine Aufgabe da erfüllt war, schickte Fowler ihn nach Peru und von dort wieder nordwärts nach Kalifornien. Wahrlich, ein buntes, wechselvolles Wanderleben. Und er lebte es nicht in gemütlichem Behagen als Vergnügungsreisender: wohin er ging, folgte ihm als treue Reisegefährtin die Arbeit.
Aber nach zwanzig Jahren solcher Tätigkeit war seine Wanderlust befriedigt. Er gab seine Stellung bei Fowler auf und kehrte nach Deutschland zurück. Freilich war er nicht der Mann dazu, sich hier ruhig auf die Bärenhaut zu legen: Erstens gründete er die große Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft, deren Leitung ihm bis 1896 oblag. Und dann ging er jetzt daran, was er erlebt und erfahren hatte, schriftstellerisch festzuhalten und andern mitzuteilen. Damit beschäftigte er sich, bis ihn am 25. August 1906 der Tod abberief.
Eyths Erzählungen dürfen also nicht als freie Erfindungen angesehen werden. Er hat in ihnen nur Bruchstücke seines eigenen, abwechslungsreichen Lebens aufgefangen und dargestellt. Er hat sich aber nicht damit begnügt, die Wirklichkeit so peinlich treu wiederzugeben, wie etwa ein Photograph es tun würde, sondern er hat jedes Stück in einheitlichen Fluß gebracht und geschickt abgerundet, wie ein Maler die darzustellende Landschaft abrundet. Und er hat seine Erlebnisse nicht rein sachlich, trocken und nüchtern heruntererzählt, sondern er hat die Erzählung mit seinem köstlichen, herzerquickenden Humor gewürzt. Er sieht all die kleinen Schwächen und Absonderlichkeiten der Menschen, mit denen er zu tun hat. Aber sie machen ihn nicht zum Griesgram und nicht zum bissigen Spötter. Er freut sich an ihnen und möchte die Menschen gar nicht ohne sie sehen. Er lacht über sie ein gesundes, herzhaftes Lachen und weiß uns dies Lachen durch seine Darstellung mitzuteilen. Seine Bücher sind voll gesunder Lebenskraft und Lebensfreude. Das macht sie dem Leser lieb und wert, und das ist der Grund, daß sie eine so große Verbreitung gefunden haben.
Hamburg.
1. Im Süden
»Passen Sie auf, Mister Eyth, wenn ich Ihnen die Geschichte noch nicht erzählt haben sollte: Vor drei Jahren begegnete mir im Broadway in New York ein junger Engländer, frisch und grün, wie sie die Alte Welt manchmal noch liefert. Er hatte schon drei Wochen in der Metropole der Neuen verbummelt und darüber nachgedacht, wie er es angreifen könne, sein Glück zu machen, und hatte sogar mich darüber befragt, obgleich ich damals so wenig wie jetzt danach aussah, als ob ich das Problem gelöst hätte. Ein Bürschchen aus guter Familie, dem seine Mama tausend Pfund in die Tasche gesteckt hatte, um ihm den Anfang zu erleichtern. Er strahlte vor Vergnügen, als ich ihn zum zweitenmal sah. Er hatte einen entfernten Vetter gefunden, der Amerika seit fünfundzwanzig Jahren kannte und schon ein halber Yankee geworden sein mußte, scharf und hell wie ein Eingeborener.