Kunst und Künstler Almanach 1909. Various
Kunst und Künstler Almanach 1909
VORWORT
Wo Künstler über Kunst sprechen, da wird der Laie fast stets ruhige Objektivität und Vollständigkeit vermissen; ja, er wird oft noch verwirrter werden durch die leidenschaftlichen Einseitigkeiten der Produzierenden als er es schon war. Dennoch wird er nach einiger Zeit merken, dass ihn die einseitigen Ideen der Künstler mehr gefördert haben, als es sachliche Auseinandersetzungen eines Schriftstellers hätten tun können. Denn die Urteile der Künstler sind Willensäusserungen und es wohnt ihnen als solchen fortreissende Kraft inne. Es ist durchaus richtig, was Gottfried Keller einmal schrieb: „Die Literaten sind wohl nützlich für das Logische und Chronologische, das Graphische und Biographische, für das Einfügen des Festgesetzten; vor dem Gegenwärtigen, sofern es als neu oder überraschend erscheint, stehen sie in der Regel unproduktiv und ratlos, und die ersten Stichworte müssen immer von Künstlerkreisen ausgehen und sind daher meist parteiisch, welche Parteilichkeit von den Literaten, nachdem die erste Kopflosigkeit überwunden, weiter ausgesponnen wird, bis der Gegenstand der Vergangenheit angehört und einer verständigen Registrierung fähig geworden ist.“
Von solchen Gedanken geleitet, hat sich der Verlag entschlossen, einige der markantesten Aeusserungen von Künstlern über Kunst oder über andere Künstler, die im Laufe von sechs Jahren in der Kunstzeitschrift „Kunst und Künstler“ veröffentlicht worden sind, gesondert in diesem Almanach abzudrucken. Der Verlag glaubt, dass es den Lesern willkommen sein muss, die in verschiedenen Jahrgängen verstreuten Aeusserungen einmal zu bequemem Genuss und Vergleich beisammen zu haben. Es soll nichts Vollständiges gegeben werden, es wird in keinem Punkte eine systematische Uebersicht über das Wollen und Vollbringen der modernen Kunst dargeboten; was der Leser hier findet, gleicht vielmehr einem merkwürdigen Feuerwerk von Geistesblitzen, vom Zufall oft entzündet und gleich dann wieder erloschen. Aber man wird finden, dass die Strahlen leidenschaftlichen Erkenntnisdranges, die von diesen Künstlerworten ausgehen, sehr oft mit ihrem jähen Glanz in neue Welten hineinleuchten und den Geist so zu jener Selbstthätigkeit zwingen, die dem denkfrohen Menschen höchster Genuss ist. Wenn diese Proben daneben Diesen oder Jenen begierig machen sollten, die Zeitschrift kennen zu lernen, aus der sie stammen, so wird diese Nebenwirkung sehr willkommen sein. Das ist selbstloser gemeint als es klingt. Denn die Zeitschrift, die denselben Titel trägt wie dieser Almanach, folgt im grossen derselben Tendenz, wie dieses kleine Buch; auch sie will Freude an der Kunst und Liebe zu den Künstlern erwecken und immer dem Grundsatz folgen, dem dieser Almanach seine Existenz verdankt: die Künstler über sich und ihre Arbeitsleidenschaften zum Sprechen zu bewegen und so zu erreichen, dass sich die Ideen der Kunst an sich selbst immer von neuem entzünden, dass die „Stichworte“ immer rechtzeitig gegeben werden, worauf die andern Akteure der fortschreitenden Kultur nur warten, um in Tätigkeit zu treten.
ERINNERUNG AN WILHELM LEIBL
VON
HERMANN SCHLITTGEN
Im Sommer 1892 musste ich nach Aibling, um Moorbäder zu nehmen. Aibling war sonst ein langweiliges Nest; aber bei den Künstlern hatte es einen guten Ruf: Leibl wohnte dort, seit vielen Jahren. Ich war von jeher ein grosser Verehrer von Leibls Kunst gewesen; als junger Mensch nach München gekommen, gehörte ich zu einem kleinen Kreise, dem schon damals (es war im Jahre 1880) Leibl ein ganz Grosser war. Auch mein späterer langjähriger Aufenthalt in Paris, wo ich die moderne Kunst an der Quelle studieren konnte, that dieser Liebe keinen Eintrag; im Gegenteil: als ein „rocher de bronce“ stand Leibl gross und einzig in meiner Münchner Erinnerung.
Doch wusste ich von seinem Misstrauen gegen Kollegen; man hatte ja so viel über seine Menschenscheu erzählt. Deshalb kam mir auch gar nicht die Idee, dass ich ihn vielleicht kennen lernen würde.
Den Abend nach meiner Ankunft in Aibling promenierte ich auf dem Markt und freute mich über das originelle alte Rathaus mit dem gemütlichen hohen Dachstuhl; da kommt Sperl aus einer Seitengasse auf mich zugeschossen, Sperl, der einzige langjährige Freund und Kamerad Leibls. „Kommen Sie doch mit auf den Keller, Leibl ist auch da und wird sich sehr freuen!“ Das erlaubte ich mir stark zu bezweifeln, aber Sperl wurde dringend, stellte mir mit Sicherheit in Aussicht, dass ich nicht schlecht behandelt werden würde und so ging ich mit.
Die Bekannten Leibls waren schon versammelt, Aiblinger Honoratioren und Bürger, unter andern ein kunstsinniger Herr Justizrat und Baron, der später über Leibl einen ausgezeichneten kleinen Nekrolog im Aiblinger Tageblatt veröffentlicht hat, und der Kreistierarzt, dessen Freundschaft mit Leibl ihm ein seltenes Glück gebracht hat: er und seine ganze Familie wurden von Leibl in vielen kleinen Werken gezeichnet und gemalt; die Kinder in allen Lebensaltern, in Oel, in Kreide, in Bleistift, mit der Feder. Leibl, der auf der Jagd gewesen, kam erst spät auf den Keller. Er war in oberbayrischer Gebirgstracht, die ihm vorzüglich stand. Freundlich, wie einen alten Bekannten, begrüsste er mich. Wir kamen schnell in ein Gespräch; gurgelnd und schwer in reinstem kölner Dialekt floss seine Rede. Ich habe das nie begriffen: seit seiner Jugend war er von Köln weggekommen, hatte fast ausschliesslich mit oberbayrischen Kleinstädtern und Bauern verkehrt und nicht ein Atom von seinem Kölner Platt war verwischt worden.
Bald wurden wir gute Freunde. Wenn wir zu dritt, Leibl, Sperl und ich, bei verschiedenen Schoppen guten Tyrolers allein hinten im Wirtszimmer sassen, vergass ich den Rheumatismus, der mich nach Aibling gebracht hatte. Hoch gingen da die Wogen der Kunstbegeisterung; Leibl taute auf und erzählte von seinen Anfängen, seinen Kämpfen. Sein Auge leuchtete, wenn von den alten Meistern geschwärmt wurde: Holbein, Rembrandt, Hals, Velasquez! – Der Plan einer Reise nach Madrid zu Velasquez wurde erwogen.
Schlecht, elend schlecht erging es den Modernen im allgemeinen und den Münchnern im besonderen.
Ich zeigte Leibl einmal die Lithographie von Daumier: ein Maler sitzt in der Landschaft vor seiner Staffelei, hinter ihm ein zweiter, ein dritter und so fort in endloser Reihe. – Der erste studiert die Natur, der zweite kopiert den ersten, der dritte den zweiten und so weiter.
„Sehen Sie,“ sagte Leibl lachend, „da haben Sie die ganze münchner Kunst.“
Leibl war weniger menschenscheu als kollegenscheu. „Was soll ich mir ihre schlechten Bilder ansehen, ich kann dann acht Tage lang nicht arbeiten.“
Die Fontainebleauer und Courbet waren seine Liebe. Von ihnen sprach er mit der grössten Begeisterung. Mit Courbet war er nach Paris gegangen, Courbet hatte ihn dort in seinen engeren Freundeskreis eingeführt, in revolutionärer Zeit, kurz vor dem Kriege. Im Hinterzimmer eines Cafés hatten sie sich versammelt, in dem leise gesprochen wurde. Von Zeit zu Zeit kam der Wirt herein und legte den Finger auf den Mund, wenn sich draussen etwas Verdächtiges zeigte. Die Napoleonische Polizeiwillkür stand in Blüte.
Mit wem er da zusammen sass, wusste Leibl nicht; er wusste nur das eine: es waren Künstler und Schriftsteller.
Courbet klopfte ihn dabei hier und da freundschaftlichst auf die Schulter: Gut Freund. Das empfahl Leibl bei der Tischgesellschaft. Leibl, der kein Wort französisch verstand, hatte keine Ahnung, wovon die Rede war. Nur in den Gesichtern der Leute las er, dass es etwas Unerlaubtes war, wovon gesprochen wurde.
Courbet besuchte Leibl öfter im Atelier, wo er damals „die Cocotte“ und die „alte Pariserin“ malte. Courbet erkannte ihn an: durch Schulterklopfen und kräftigen Händedruck.
Leibl hatte aus dieser Zeit eine grosse Sympathie für die Franzosen bewahrt; und später waren sie ja die ersten, welche seine Kunst verstanden und anerkannten.
Mit grosser Bitterkeit erzählte Leibl, dass in der ersten Zeit Bilder von ihm teilweise „verbessert“ wurden. Entweder hatte er sie nicht genug ausgeführt, dann wurden einzelne Stellen sauber übermalt, oder sie waren zu leer, dann wurde noch etwas hineingemalt, z. B. auf dem „Jäger“ (der junge Baron Perfall) hinten am Seeufer ein Boot und ein idyllisches Häuschen hinzugefügt.
(Nach Leibls Tode wurde Sperl ein Bild übersendet, er möge urteilen, ob das Bild echt sei. Sperl schrieb: das ganze Bild ist unecht, bis auf einen schmalen Streifen ringsum, welcher vom Rahmen verdeckt war.
Das Bild war ganz übermalt worden!)
Eines Abends erschien an unserm Tisch ein Kunstmaler. Wie gewöhnlich war Leibl sehr zugeknöpft gegen den Gast. Dieser, um sich gut einzuführen, begann: „Herr Professor,