Der Freigeist. Gotthold Ephraim Lessing

Der Freigeist - Gotthold Ephraim Lessing


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      Theophan. Dieses. Sagen Sie mir, ist die Liebe unter der Freundschaft, oder die Freundschaft unter der Liebe begriffen? Notwendig das letztere. Derjenige also, der die Liebe in ihrem allerweitesten Umfange gebietet, gebietet der nicht auch die Freundschaft? Ich sollte es glauben; und es ist so wenig wahr, daß unser Gesetzgeber die Freundschaft seines Gebotes nicht würdig geschätzt habe, daß er vielmehr seine Lehre zu einer Freundschaft gegen die ganze Welt gemacht hat.

      Adrast. Sie bürden ihm Ungereimtheiten auf. Freundschaft gegen die ganze Welt? Was ist das? Mein Freund muß kein Freund der ganzen Welt sein.

      Theophan. Und also ist Ihnen wohl nichts Freundschaft als jene Übereinstimmung der Temperamente, jene angeborne Harmonie der Gemüter, jener heimliche Zug gegeneinander, jene unsichtbare Kette, die zwei einerlei denkende, einerlei wollende Seelen verknüpfet?

      Adrast. Ja, nur dieses ist mir Freundschaft.

      Theophan. Nur dieses? Sie widersprechen sich also selbst.

      Adrast. Oh! daß ihr Leute doch überall Widersprüche findet, außer nur da nicht, wo sie wirklich sind!

      Theophan. Überlegen Sie es. Wenn diese, ohne Zweifel nicht willkürliche, Übereinstimmung der Seelen, diese in uns liegende Harmonie mit einem andern einzelnen Wesen allein die wahre Freundschaft ausmacht: wie können Sie verlangen, daß sie der Gegenstand eines Gesetzes sein soll? Wo sie ist, darf sie nicht geboten werden; und wo sie nicht ist, da wird sie umsonst geboten. Und wie können Sie es unserm Lehrer zur Last legen, daß er die Freundschaft in diesem Verstande übergangen hat? Er hat uns eine edlere Freundschaft befohlen, welche jenes blinden Hanges, den auch die unvernünftigen Tiere nicht missen, entbehren kann: eine Freundschaft, die sich nach erkannten Vollkommenheiten mitteilet; welche sich nicht von der Natur lenken läßt, sondern welche die Natur selbst lenket.

      Adrast. O Geschwätze!

      Theophan. Ich muß Ihnen dieses sagen, Adrast, ob Sie es gleich ebensowohl wissen könnten, als ich; und auch wissen sollten. Was würden Sie selbst von mir denken, wenn ich den Verdacht nicht mit aller Gewalt von mir abzulenken suchte, als mache mich die Religion zu einem Verächter der Freundschaft, die Religion, die Sie nur allzugern aus einem wichtigen Grunde verachten möchten?—Sehen Sie mich nicht so geringschätzig an; wenden Sie sich nicht auf eine so beleidigende Art von mir—

      Adrast (beiseite). Das Pfaffengeschmeiß!—

      Theophan. Ich sehe, Sie gebrauchen Zeit, den ersten Widerwillen zu unterdrücken, den eine widerlegte Lieblingsmeinung natürlicherweise erregt.—Ich will Sie verlassen. Ich erfuhr itzt ohnedem, daß einer von meinen Anverwandten mit der Post angelangt sei. Ich gehe ihm entgegen, und werde die Ehre haben Ihnen denselben vorzustellen.

      Zweiter Auftritt

      Adrast.—Daß ich ihn nimmermehr wiedersehen dürfte! Welcher von euch Schwarzröcken wäre auch kein Heuchler?—Priestern habe ich mein Unglück zu danken. Sie haben mich gedrückt, verfolgt, so nahe sie auch das Blut mit mir verbunden hatte. Hassen will ich dich, Theophan und alle deines Ordens! Muß ich denn auch hier in die Verwandtschaft der Geistlichkeit geraten?—Er, dieser Schleicher, dieser blöde Verleugner seines Verstandes, soll mein Schwager werden?—Und mein Schwager durch Julianen?—Durch Julianen?—Welch grausames Geschick verfolgt mich doch überall! Ein alter Freund meines verstorbenen Vaters trägt mir eine von seinen Töchtern an. Ich eile herbei, und muß zu spät kommen, und muß die, welche auf den ersten Anblick mein ganzes Herz hatte, die, mit der ich allein glücklich leben konnte, schon versprochen finden. Ach Juliane! So warest du mir nicht bestimmt? du, die ich liebe? Und so soll ich mich mit einer Schwester begnügen, die ich nicht liebe?—

      Dritter Auftritt

      Lisidor. Adrast.

      Lisidor. Da haben wir's! Schon wieder allein, Adrast? Sagen Sie mir, müssen die Philosophen so zu Winkel kriechen? Ich wollte doch lieber sonst was sein—Und, wenn ich recht gehört habe, so sprachen Sie ja wohl gar mit sich selber? Nu, nu! es ist schon wahr: ihr Herren Grillenfänger könnt freilich mit niemand Klügerm reden, als mit euch selber. Aber gleichwohl ist unsereiner auch kein Katzenkopf. Ich schwatze eins mit, es mag sein, von was es will.

      Adrast. Verzeihen Sie—

      Lisidor. Je, mit Seinem Verzeihen! Er hat mir ja noch nichts zuwider getan—Ich habe gern, wenn die Leute lustig sind. Und ich will kein ehrlicher Mann sein, wenn ich mir nicht eine rechte Freude darauf eingebildet habe, den Wildfang, wie sie Ihn sonst zu Hause nannten, zu meinem Schwiegersohne zu haben. Freilich ist Er seitdem groß gewachsen; Er ist auf Reisen gewesen; Er hat Land und Leute gesehen. Aber, daß Er so gar sehr verändert würde wiedergekommen sein, das hätte ich mir nicht träumen lassen. Da geht Er nun, und spintisiert von dem, was ist—und was nicht ist,—von dem, was sein könnte, und wenn es sein könnte, warum es wieder nicht sein könnte;—von der Notwendigkeit, der halben und ganzen, der notwendigen Notwendigkeit, und der nicht notwendigen Notwendigkeit;—von den A—A—wie heißen die kleinen Dingerchen, die so in den Sonnenstrahlen herumfliegen? von den A—A—Sage doch, Adrast—

      Adrast. Von den Atomis, wollen Sie sagen.

      Lisidor. Ja, ja, von den Atomis, von den Atomis. So heißen sie, weil man ihrer ein ganz Tausend mit einem Atem hinunterschlucken kann.

      Adrast. Ha! ha! ha!

      Lisidor. Er lacht, Adrast? Ja, mein gutes Bürschchen, du mußt nicht glauben, daß ich von den Sachen ganz und gar nichts verstehe. Ich habe euch, Ihn und den Theophan, ja oft genug darüber zanken hören. Ich behalte mir das Beste. Wenn ihr euch in den Haaren liegt, so fische ich im trüben. Da fällt manche Brocke ab, die keiner von euch brauchen kann, und die ist für mich. Ihr dürft deswegen nicht neidisch auf mich sein; denn ich bereichere mich nicht von einem allein. Das nehme ich von dir, mein lieber Adrast; und das vom Theophan; und aus allen dem mache ich mir hernach ein Ganzes—

      Adrast. Das vortrefflich ungeheuer sein muß.

      Lisidor. Wieso?

      Adrast. Sie verbinden Tag und Nacht, wenn Sie meine mit Theophans

      Gedanken verbinden.

      Lisidor. Je nu! so wird eine angenehme Dämmerung daraus.—Und überhaupt ist es nicht einmal wahr, daß ihr so sehr voneinander unterschieden wäret. Einbildungen! Einbildungen! Wie vielmal habe ich nicht allen beiden zugleich recht gegeben? Ich bin es nur allzuwohl überzeugt, daß alle ehrliche Leute einerlei glauben.

      Adrast. Sollten! sollten! das ist wahr.

      Lisidor. Nun da sehe man! was ist nun das wieder für ein Unterscheid? Glauben, oder glauben sollen: es kömmt auf eines heraus. Wer kann alle Worte so abzirkeln?—Und ich wette was, wenn ihr nur erst werdet Schwäger sein, kein Ei wird dem andern ähnlicher sein können.—

      Adrast. Als ich dem Theophan, und er mir?

      Lisidor. Gewiß. Noch wißt ihr nicht, was das heißt, miteinander verwandt sein. Der Verwandtschaft wegen wird der einen Daumen breit, und der einen Daumen breit nachgeben. Und einen Daumen breit, und wieder einen Daumen breit, das macht zwei Daumen breit; und zwei Daumen breit—ich bin ein Schelm, wenn ihr die auseinander seid.– Nichts aber könnte mich in der Welt wohl so vergnügen, als daß meine Töchter so vortrefflich für euch passen. Die Juliane ist eine geborne Priesterfrau; und Henriette—in ganz Deutschland muß kein Mädchen zu finden sein, das sich für Ihn, Adrast, besser schickte. Hübsch, munter, fix; sie singt, sie tanzt, sie spielt; kurz, sie ist meine leibhafte Tochter. Juliane dargegen ist die liebe, heilige Einfalt.

      Adrast. Juliane? Sagen Sie das nicht. Ihre Vollkommenheiten fallen vielleicht nur weniger in die Augen. Ihre Schönheit blendet nicht; aber sie geht ans Herz. Man läßt sich gern von ihren stillen Reizen fesseln, und man biegt sich mit Bedacht in ihr Joch, das uns andere in einer fröhlichen Unbesonnenheit überwerfen müssen. Sie redet wenig; aber auch ihr geringstes Wort hat Vernunft.

      Lisidor. Und Henriette?

      Adrast. Es ist wahr: Henriette weiß sich frei und witzig auszudrücken. Würde es aber Juliane nicht auch können, wenn sie nur wollte, und wenn sie nicht Wahrheit und Empfindung jenem prahlenden Schimmer vorzöge? Alle Tugenden scheinen sich in ihrer Seele verbunden zu


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