Miss Sara Sampson. Gotthold Ephraim Lessing

Miss Sara Sampson - Gotthold Ephraim Lessing


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      Miss Sara Sampson

Personen:

      Sir William Sampson

      Miß Sara, dessen Tochter

      Mellefont

      Marwood, Mellefonts alte Geliebte

      Arabella, ein junges Kind, der Marwood Tochter

      Waitwell, ein alter Diener des Sampson

      Norton, Bedienter des Mellefont

      Betty, Mädchen der Sara

      Hannah, Mädchen der Marwood

      Der Gastwirt und einige Nebenpersonen

      Erster Aufzug

      Erster Auftritt

      Der Schauplatz ist ein Saal im Gasthofe.

      Sir William Sampson und Waitwell treten in Reisekleidern herein.

      Sir William. Hier meine Tochter? Hier in diesem elenden Wirtshause?

      Waitwell. Ohne Zweifel hat Mellefont mit Fleiß das allerelendeste im ganzen Städtchen zu seinem Aufenthalte gewählt. Böse Leute suchen immer das Dunkle, weil sie böse Leute sind. Aber was hilft es ihnen, wenn sie sich auch vor der ganzen Welt verbergen könnten? Das Gewissen ist doch mehr als eine ganze uns verklagende Welt.—Ach, Sie weinen schon wieder, schon wieder, Sir!—Sir!

      Sir William. Laß mich weinen, alter ehrlicher Diener. Oder verdient sie etwa meine Tränen nicht?

      Waitwell. Ach! sie verdient sie, und wenn es blutige Tränen wären.

      Sir William. Nun so laß mich.

      Waitwell. Das beste, schönste, unschuldigste Kind, das unter der Sonne gelebt hat, das muß so verführt werden! Ach Sarchen! Sarchen! Ich habe dich aufwachsen sehen; hundertmal habe ich dich als ein Kind auf diesen Armen gehabt; auf diesen meinen Armen habe ich dein Lächeln, dein Lallen bewundert. Aus jeder kindischen Miene strahlte die Morgenröte eines Verstandes, einer Leutseligkeit, einer—

      Sir William. O schweig! Zerfleischt nicht das Gegenwärtige mein Herz schon genug? Willst du meine Martern durch die Erinnerung an vergangne Glückseligkeiten noch höllischer machen? Ändre deine Sprache, wenn du mir einen Dienst tun willst. Tadle mich; mache mir aus meiner Zärtlichkeit ein Verbrechen; vergrößre das Vergehen meiner Tochter; erfülle mich, wenn du kannst, mit Abscheu gegen sie; entflamme aufs neue meine Rache gegen ihren verfluchten Verführer; sage, daß Sara nie tugendhaft gewesen, weil sie so leicht aufgehört hat, es zu sein; sage, daß sie mich nie geliebt, weil sie mich heimlich verlassen hat.

      Waitwell. Sagte ich das, so würde ich eine Lüge sagen, eine unverschämte, böse Lüge. Sie könnte mir auf dem Todbette wieder einfallen, und ich alter Bösewicht müßte in Verzweiflung sterben.– Nein, Sarchen hat ihren Vater geliebt, und gewiß! gewiß! sie liebt ihn noch. Wenn Sie nur davon überzeugt sein wollen, Sir, so sehe ich sie heute noch wieder in Ihren Armen.

      Sir William. Ja, Waitwell, nur davon verlange ich überzeugt zu sein. Ich kann sie länger nicht entbehren; sie ist die Stütze meines Alters, und wenn sie nicht den traurigen Rest meines Lebens versüßen hilft, wer soll es denn tun? Wenn sie mich noch liebt, so ist ihr Fehler vergessen. Es war der Fehler eines zärtlichen Mädchens, und ihre Flucht war die Wirkung ihrer Reue. Solche Vergehungen sind besser als erzwungene Tugenden—Doch ich fühle es, Waitwell, ich fühle es; wenn diese Vergehungen auch wahre Verbrechen, wenn es auch vorsätzliche Laster wären: ach! ich würde ihr doch vergeben. Ich würde doch lieber von einer lasterhaften Tochter als von keiner geliebt sein wollen.

      Waitwell. Trocknen Sie Ihre Tränen ab, lieber Sir! Ich höre jemanden kommen. Es wird der Wirt sein, uns zu empfangen.

      Zweiter Auftritt

      Der Wirt. Sir William Sampson. Waitwell.

      Der Wirt. So früh, meine Herren, so früh? Willkommen! willkommen, Waitwell! Ihr seid ohne Zweifel die Nacht gefahren? Ist das der Herr, von dem du gestern mit mir gesprochen hast?

      Waitwell. Ja, er ist es, und ich hoffe, daß du abgeredetermaßen—

      Der Wirt. Gnädiger Herr, ich bin ganz zu Ihren Diensten. Was liegt mir daran, ob ich es weiß oder nicht, was Sie für eine Ursache hierher führt und warum Sie bei mir im Verborgnen sein wollen? Ein Wirt nimmt sein Geld und läßt seine Gäste machen, was ihnen gutdünkt. Waitwell hat mir zwar gesagt, daß Sie den fremden Herrn, der sich seit einigen Wochen mit seinem jungen Weibchen bei mir aufhält, ein wenig beobachten wollen. Aber ich hoffe, daß Sie ihm keinen Verdruß verursachen werden. Sie würden mein Haus in einen übeln Ruf bringen, und gewisse Leute würden sich scheuen, bei mir abzutreten. Unsereiner muß von allen Sorten Menschen leben.—

      Sir William. Besorget nichts; führt mich nur in das Zimmer, das Waitwell für mich bestellt hat. Ich komme aus rechtschaffnen Absichten hierher.

      Der Wirt. Ich mag Ihre Geheimnisse nicht wissen, gnädiger Herr! Die Neugierde ist mein Fehler gar nicht. Ich hätte es, zum Exempel, längst erfahren können, wer der fremde Herr ist, auf den Sie achtgeben wollen; aber ich mag nicht. So viel habe ich wohl herausgebracht, daß er mit dem Frauenzimmer muß durchgegangen sein. Das gute Weibchen, oder was sie ist! sie bleibt den ganzen Tag in ihrer Stube eingeschlossen und weint.

      Sir William. Und weint?

      Der Wirt. Ja, und weint—Aber, gnädiger Herr, warum weinen Sie? Das Frauenzimmer muß Ihnen sehr nahegehen. Sie sind doch wohl nicht—

      Waitwell. Halt ihn nicht länger auf.

      Der Wirt. Kommen Sie. Nur eine Wand wird Sie von dem Frauenzimmer trennen, das Ihnen so nahegeht, und die vielleicht—

      Waitwell. Du willst es also mit aller Gewalt wissen, wer—

      Der Wirt. Nein, Waitwell, ich mag nichts wissen.

      Waitwell. Nun, so mache und bringe uns an den gehörigen Ort, ehe noch das ganze Haus wach wird.

      Der Wirt. Wollen Sie mir also folgen, gnädiger Herr? (Geht ab.)

      Dritter Auftritt

      Der mittlere Vorhang wird aufgezogen. Mellefonts Zimmer.

      Mellefont und hernach sein Bedienter.

      Mellefont (unangekleidet in einem Lehnstuhle). Wieder eine Nacht, die ich auf der Folter nicht grausamer hätte zubringen können!—Norton!– Ich muß nur machen, daß ich Gesichter zu sehen bekomme. Bliebe ich mit meinen Gedanken länger allein: sie möchten mich zu weit führen.– He, Norton! Er schläft noch. Aber bin ich nicht grausam, daß ich den armen Teufel nicht schlafen lasse? Wie glücklich ist er!—Doch ich will nicht, daß ein Mensch um mich glücklich sei.—Norton!

      Norton (kommend). Mein Herr!

      Mellefont. Kleide mich an!—O mache mir keine sauern Gesichter! Wenn ich werde länger schlafen können, so erlaube ich dir, daß du auch länger schlafen darfst. Wenn du von deiner Schuldigkeit nichts wissen willst, so habe wenigstens Mitleiden mit mir.

      Norton. Mitleiden, mein Herr? Mitleiden mit Ihnen? Ich weiß besser, wo das Mitleiden hingehört.

      Mellefont. Und wohin denn?

      Norton. Ach, lassen Sie sich ankleiden, und fragen Sie mich nichts.

      Mellefont. Henker! So sollen auch deine Verweise mit meinem Gewissen aufwachen? Ich verstehe dich; ich weiß es, wer dein Mitleiden erschöpft.—Doch, ich lasse ihr und mir Gerechtigkeit widerfahren. Ganz recht; habe kein Mitleiden mit mir. Verfluche mich in deinem Herzen, aber—verfluche auch dich.

      Norton. Auch mich?

      Mellefont. Ja; weil du einem Elenden dienest, den die Erde nicht tragen sollte, und weil du dich seiner Verbrechen mit teilhaft gemacht hast.

      Norton. Ich mich Ihrer Verbrechen teilhaft gemacht? Durch was?

      Mellefont. Dadurch, daß du dazu geschwiegen.

      Norton. Vortrefflich! In der Hitze Ihrer Leidenschaften würde mir ein Wort den Hals gekostet haben.—Und dazu, als ich Sie kennenlernte, fand ich Sie nicht schon so arg, daß alle Hoffnung zur Beßrung vergebens war? Was für ein Leben habe ich Sie nicht von dem ersten Augenblicke an führen sehen! In der nichtswürdigsten Gesellschaft von Spielern und Landstreichern—ich


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