Das Kind. Adolf von Wilbrandt

Das Kind - Adolf von Wilbrandt


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Weste unwiderstehlich machen, sintemal es ein Ballfest ist. Was würde Gertrud sagen, wenn ihre drei Haus-Adonisse nicht ihre Schuldigkeit thäten, um vollkommen schön zu sein!«

      Wild sah seine Kollegen mit den vortretenden Humoristenaugen an und lächelte einen Augenblick. Sie waren alle drei nicht schön, Lugau, Wild und Schilcher, neben dem kleinen »Nußknacker« Schilcher stand der Doktor breit und mächtig da, aber leider viel zu dick, und der viel kürzere Lugau war fast noch dicker, sodaß ihn die Freunde den »Schneeball« nannten, weil er wie die Blüten des Schneeballs sich so allmählich aufgerundet hatte. Nur Rutenberg war ganz wohlgebaut, stattlich, ein echter nordischer Germane mit regelmäßigen, kräftigen Zügen und strahlend blauen Augen. Doch im Humor, konnte man wohl sagen, waren sie alle gleich, ein stadtbekanntes »vierblättriges Kleeblatt«, das schon lange zusammenhielt; zwei Witwer, zwei Junggesellen, drei von ihnen sehr dem Whist ergeben, das damals – im Herbst 1880 – noch nicht so wie jetzt vom Skat abgelöst worden war. Rutenberg, der vierte, saß lieber daneben als Zuschauer, allein oder mit seiner Gertrud, seiner geliebten »Puppe«. So dachte er auch heute zu thun, während seine Puppe tanzte; darum sagte er, die Hand auf einen Spieltisch legend.

      »Alles ist da, ihr Männer, auch den Geist des Strohmanns hab’ ich eingeladen, denn ohne den Strohmann könnt ihr ja nicht leben. Vergeßt nur nicht das Wiederkommen, und zur rechten Zeit!«

      Wild verneigte sich. »Hast’s schon einmal gesagt, danke ergebenst für die Wiederholung.«

      »Lieber Wild,« bemerkte Rutenberg, »wir haben unvergeßliche Beispiele von vergeßlichen Junggesellen!« – Er wandte sich zu Gertrud: »Nun, Kind? Das Buch! Ich warte auf das Buch!«

      »Heiliger —!« rief das Mädel aus. »Vergessen!«

      Die drei Whistspieler lachten. Wild sah die Tochter und dann den Vater mit seinen glänzenden Augen triumphierend an

      »Es scheint,« sagte er, »die Vergeßlichkeit beschränkt sich nicht auf zu dick gewordene Junggesellen —«

      »Ja, ja!« schmunzelte Schilcher. »So ein siebzehnjähriges Junggesellchen vor dem erstes Ball!«

      Der kleine runde Domänenrat Lugau nahm nun auch das Wort, seine redseligen Arme mitbewegend.

      »So war’s auch damals mit der Grete, meiner kleinen Nichte, – heute abend kommt sie. Gab auch ihren ersten Ball, konnt’ es nicht erwarten! Ganz in Rosa, sah aus wie ein Flamingo stundenlang ging sie in träumerischer Erwartung durch die Zimmer, – so!«

      Er versuchte es nachzumachen, wie das seine Art war, es saß ihm in den Gliedern, er konnte es nicht lassen. Der »Schneeball« bewegte sich träumerisch, schmachtend hin und her, es war aber doch mehr, wie wenn eine Kugel auf zwei Rädchen rollte. »Und dann« fuhr er fort, »dann sah sie wieder in den Spiegel, gradaus, seitwärts, rückwärts, – so!«

      Er machte es wieder nach, wie seine Grete in den Spiegel schaute. Gertrud lachte, zuletzt unbändig, sie lachte sich auf einen Stuhl.

      »Ach«, sagte sie dann, »wie anmutsvoll spielen Sie so ein junges Mädchen! Jeder Jüngling muß sich ja in Sie verlieben, Herr Domänenrat.«

      »Es war so!« rief Lugau eifrig aus. »Auf Ehre!«

      Jetzt lachten alle.

      »Also, das Buch!« sagte Rutenberg. Gertrud schnellte vom Stuhl empor: »Ja, jetzt hol’ ich das Buch!«

      Sie ging wieder am nächsten Büchergestell entlang, mit den Augen suchend; dabei kam ihr aber auch der Traumvers wieder und das süße Träumen im Blick. Indem sie an den bunten Rücken der Bücher mit der streichelnden Hand entlang strich, summte sie gedankenlos vor sich hin, als wäre sie allein: »Und immer ging sie fort, aufs offne Himmelsthor . . .«

      Doktor Wild, der sie auch so gut kannte, – ihr Arzt seit der Kinderzeit – beobachtete sie heimlich, mit Vergnügen; er sah, wie sie träumte. Ihm kam auch schon die Lust, eine seiner üblichen Schnurren und Komödien zu spielen. Nicht zu ihr, sondern zu Rutenberg gewendet, warf er in seiner raschen Weise hin:

      »Ja, aber meine lieben Freunde, was hilft das? Es ist sehr zu fürchten, daß das Zauberfest heute abend etwas angespritzt wird —«

      »Wieso angespritzt?« fragt Lugau.

      »Nu, ich meine, etwas getrübt; etwas ungemütlich. Denn die Depeschen im Abendblatt —«

      Gertrud drehte sich zu ihm herum. »Was für Depeschen?« fragte sie.

      »Ist das Abendblatt schon da?« fragte Schilcher.

      »Allerdings«, sagte Wild und nickte sehr ernsthaft; »Ich hab’s schon durchflogen.« Er zuckte gegen Gertrud die Achseln, mitleidig: »Häßliche Depeschen! Störung des lieben Friedens; oder, um es mit einem kurzen Wort zu sagen: Krieg! – Ja, mein Herz, was hilft’s. Was man schon seit achtundsiebzig fürchtet, ist nun eingetroffen: die grande nation und das ›heilige‹ Rußland haben sich richtig verbündet und was sie von Deutschland verlangen, ist ein bißchen viel!«

      Er wiederholte, da er das Mädchen langsam blaß werden sah: »ist ein bißchen viel!«

      »Was verlangen sie denn?« fragte Gertrud stockend.

      »Die Herausgabe von Luxemburg, Livland, Kurland und auch Jütland —«

      »Im Abendblatt?« stammelte Gertrud.

      Wild zuckte wieder die Achselm »Ja!«

      »Aber – — Aber das ist ja infam!« rief das Mädchen aus.

      »Was wollt’ es nicht!« sagte Wild. »Freundlich ist es jedenfalls nicht.«

      Sie sah den Doktor zaghaft an, nun ganz blaß geworden. »Und das alles können wir Deutschen natürlich nicht herausgeben?«

      »Nein«, fiel er ihr ins Wort, sich scheinbar ereifernd, »nein, das können wir nicht! Luxemburg und Jütland, Livland und Kurland – das können wir nicht! Das ist ganz unmöglich!«

      Gertrud blickte in ihrer Hilflosigkeit umher und sah, daß alle sonderbar heiter waren. »Worüber lächeln Sie?« sagte sie zu Lugau.

      Der Domänenrat rieb seine Hände. »Ueber die Andacht, meine liebe Gertrud, mit der Sie immer wieder auf Doktor Wilds Erfindungen eingehen. Und ein ganz klein bißchen auch über Ihren Lehrmeister in der Geographie!«

      »Ah!« rief das Mädchen, etwas verlegen. »Luxemburg und Jütland – richtig – das gehört uns gar nicht —«

      »Und das andre auch nicht!«

      Mit seinem ernsthaftesten Gesicht bemerkte Wild. »Fräulein Gertrud hatten ohne Zweifel in den Geographiestunden etwas Besseres zu thun . . .«

      »Ich?« fiel sie ihm ins Wort. »Was denken Sie!« – Ihre rosigen Wangen wurden aber doch noch röter, ihr fiel ein, daß es wirklich schon damals anfing, das mit ihrem Arthur. In einer Geographiestunde, das wußte sie, hatte sie sich zuerst so recht an ihn festgedacht . . . »Immer haben der Herr Doktor solche Späße im Kopf!« sagte sie geschwind, um die allgemeine Aufmerksamkeit von sich abzulenken.

      »Was soll so ein alter Doktor sonst thun, meine liebe Gertrud?« erwiderte Wild. »Wenn man nicht gesund genug ist, um so wie früher zu praktizieren, dann verfällt man auf Allotria. Spaß und Ernst – wie’s nun gerade kommt. Wie ein anständiger Mensch für alle Fälle zwei Krawatten im Frack hat – eine schwarze und eine weiße, so hat man auch Spaß und Gruft im Kopf! – — Wünsche also einen ungetrübten Abend, ohne Krieg wegen Jütland, und auf Wiedersehn!«

      Er winkte Lugau, mit ihm zu gehen; in diesem Augenblick trat der alte Brink, der Diener, herein, um in seiner förmlichen Manier und mit seiner gedämpften Stimme zu melden, daß Fräulein Gertrud auf einen Augenblick zum Fräulein in die Küche kommen möchte. Das »Fräulein« war die unverheiratete Schwester Rutenbergs, die seit dem Tode seiner Frau das Haus führte.

      »Ah!« sagte Wild, scheinbar sehr erstaunt. »Auch Fräulein Gertrud hat schon Wirtschaftssorgen!«

      »O ja,« entgegnete das Mädchen heiter, »auch mein Kopf kann schon mit Beidem aufwarten, mit Spaß und mit Ernst! – Auf Wiedersehn beim Whist!« – Damit war sie schon draußen,


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