Der Kaliber. Adolf Müllner

Der Kaliber - Adolf Müllner


Скачать книгу
Hoffnung! Er war tödtlich getroffen, in die Brust. Noch lebte er – in meinen Armen – » »Rette dich – dich Ferdinand« – – O Elend, o Jammer!«

      Er warf sich an meinen Hals, und heiße Thränen entstürzten seinen Augen. Tröstende Worte wären hier nicht am Platze gewesen. Ich richtete ihn sanft von meiner Schulter auf, reichte ihm mein Tuch zum Trocknen seiner benetzten Wangen, und fuhr erst nach einigen Minuten in der schmerzlichen Ausfragung fort.

      »Die Mahnung des Sterbenden an Ihre eigne Rettung war, in diesem Augenblicke, so edelherzig als besonnen; die Flucht des Räubers und Ihr Schuß nach ihm stellten Sie nicht sicher vor einer Kugel aus dem Gebüsch. Sie verließen sogleich den Platz der Gefahr?«

      Er verneinte stumm. Ich glaubte auf Nebendinge ablenken zu müssen, die nicht unmittelbar das Bild des Verscheidenden in ihm auffrischen möchten.

      »Sie sind im Besitz Ihrer Waffe geblieben?«

      Er schien sich zu besinnen, und knöpfte den Ueberrock auf. Er trug unter demselben einen breiten ledernen Gürtel, der mit Terzerolhaltern versehen war. Aber Beide waren leer.

      »Das Gewehr –« sagte er: »ich weiß bei Gott nicht genau –«

      »Es ist nicht wesentlich. Sie ließen es vielleicht zurück in der Bestürzung. Aber – Sie sind doch nicht selbst verwundet?«

      »Nein.«

      »In Ihren Armen verschied der Unglückliche, und die Blutflecke auf Ihrer Brust? –«

      Er starrte darauf nieder. »Mein Blut« – sagte er dumpf und langsam: »meines Vaters Blut! Oh du schauderhafte Farbe!« In der That schien ein fieberischer Schauder über ihn zu kommen bei diesem Anblick, von dem er sich doch nur mit Mühe losreißen konnte.

      »Meine Brust« – fuhr er wehmüthig fort: »hat seine Todeswunde geküßt, wie mein Mund seine erkaltenden Lippen. Ich weiß nicht, wie lang’ es gedauert hat, ehe ich daran dachte, was ich thun sollte. Die Goldbörse, die Brieftasche, die Uhr, nahm ich zu mir. Hier sind sie. Das nächste Criminalamt wollte ich noch vor Nacht erreichen. Doch in dem Dorfe vor dem Walde fiel mir ein, daß ich auch dem Landschöppen anzeigen könnte, was geschehen sei. Ich beschrieb ihm den Weg, den Platz, und erfuhr von ihm Ihren Namen und Wohnort. Er versammelte Bauern, die sich mit Heugabeln bewaffnen mußten, und versicherte mich, daß die Leiche, wenn man sie noch fände, bis auf weiteren Befehl von Ihnen, an Ort und Stelle bewacht werden sollte.«

      Da hatt’ ich denn also auf einmal den erwünschten Fall, welchen die benachbarte Justiz abwarten wollte, ehe sie die Grenztruppen vom Exerciren abmüßigen mochte. Ich befahl, meinen Wagen bereit zu halten, die Gerichtsfolge aufzubieten, die Leute mit Fackeln zu versehen, und die beiden Medizinal-Beamten des Bezirks einzuladen, daß sie mich entweder sofort begleiten, oder mir sobald als möglich nach Waldrainsdorf folgen möchten, um an einem Ermordeten ihr Amt zu verrichten. Mittlerweile wurde die Anzeige des Handlungsdieners Albus gesetzmäßig zu Protokoll genommen. Er wiederholte die Erzählung der Thatsachen mit ziemlicher Fassung doch nicht ohne leise Schmerzens-Ausrufungen, die sich unwillkührlich aus seiner Brust drängten, während seine Worte niedergeschrieben wurden. Er bestimmte alle Umstände, die vor der Mordthat lagen, klar und befriedigend, und nur zu einer genauen Beschreibung der Gestalt und Kleidung des Räubers schien das Gedächtniß ihm den Dienst zu versagen, was er selbst mit den Worten entschuldigte: »Gesehen – gesehen habe ich eigentlich nichts, als den Heinrich; sein Zusammensinken ließ mir keinen Sinn, kein Auge, kein Bewußtseyn mehr, um einen Eindruck von der Gestalt, von den Kleiderfarben des Entfliehenden aufzunehmen. Der entsetzliche Gedanke, daß er tödtlich getroffen seyn könnte, betäubte mich für jede andere Vorstellung.«

      »Vielleicht« – sagte ich: »werden in Ihrer Erinnerung einige Merkmale wieder wach, wenn Sie zurückkommen an Ort und Stelle.«

      »Muß ich das?« fragte er mit dem Ausdruck der Scheu vor neuer Gemüths-Erschütterung.

      »Nothwendig. Ihre Anerkennung des Verwandten darf nicht fehlen.«

      Er machte keine Einwendung dagegen. Seine sichtbare physische Erschöpfung veranlaßte mich, ihm vor unserer Abfahrt eine Erfrischung anzubieten. Er genoß nicht mehr davon, als ein kleines Glas Rheinwein. Im Wagen war er stumm, und schien bisweilen von fieberhaften Frostschauern befallen zu werden. Als wir langsam über die hohe Bogenbrücke des . . . Stromes fuhren, wurde er aufmerksam, sah aus dem Schlage, und sagte mehr für sich als zu mir: »Hier, hier war es.«

      »Sie haben über diese Brücke gehen müssen,« erwiederte ich: »ist Ihnen hier etwas aufgestoßen?«

      Er lehnte sich in den Wagen zurück, drückte das Taschentuch auf die Augen, und antwortete dumpf: »Der Gedanke des Selbstmordes!« – »Ja« – fuhr er fort, indem er von neuem einen scheuen Blick aus dem Wagen warf: »der Anblick dieses schwachen Geländers erinnert mich daran! Der Fackelschein erleuchtet den Abgrund, den ewigen, an welchen die Verzweiflung mich geführt hatte.«

      Das Eingeständniß eines solchen Gedankens fiel mir auf. Dieser Grad von Verzweiflung schien dem Falle nicht angemessen. »War der Unglückliche« – fragte ich: »der erste nahe Blutsverwandte, den Sie verloren?«

      »Aber unter solchen Umständen, mein Herr?« erwiederte er in einem so schmerzvollen Tone, daß mich das Mitgefühl schweigen hieß.

      II

      Die Leiche

      Vor euch, ihr Kraniche dort oben,

      Wenn keine andre Stimme spricht,

      Sei meines Mordes Klag’ erhoben.

Schiller, Kr. d. Ibykus.

      Jenseits der Brücke kam mir ein reitender Bote mit der Nachricht entgegen, daß die Leiche gefunden worden sei. Kein Eindruck auf meinen Begleiter. Ich ließ, ohne in Waldrainsdorf anzuhalten, bis an den Saum des Waldes fahren. Hier stiegen wir aus, und gingen zu Fuß in das Gehölz. Albus folgte tief in den Mantel gehüllt, schweigend, in sich versunken, wie es schien; aber mit festen Schritten, die er beschleunigte, je näher wir den Laternen der Bauern kamen, welche die Leiche bewachten. Die Scheu vor Todten, die Geisterfurcht, hatte sie von derselben beträchtlich entfernt. »Noch nicht,« sagte Albus, als wir bei den Bauern ankamen, und eilte weiter. Ich hatte Mühe mit den Fackelträgern ihm zu folgen. Plötzlich blieb er wie eingewurzelt stehen. Drei Schritte von ihm, dicht neben dem Wege, lag der Entseelte. Albus warf den Mantel zurück; die gefalteten Hände verwendet über dem Kopfe haltend, starrte er einige Sekunden lang auf ihn nieder. »Oh Entsetzen! Entsetzen! Entsetzen!« schrie er markdurchschneidend auf. Dann warf er sich über den Todten und verbarg das Gesicht an seiner blutigen Brust. Seine Stimme, die bis zu einer ungewöhnlichen Stärke sich erhoben hatte, und der Schein der Fackeln, die sich jetzt hier auf Einem Punkte sammelten, hatte die Raben in den Wipfeln der hohen Bäume aus ihrem Schlummer geweckt. Mit Geschrei flogen sie auf. Albus richtete sein Gesicht empor, streckte eine Hand gen Himmel, und rief: »Ha, Kraniche – Kraniche des Ibykus! Verfolgt den Mörder! Krächzet über ihm im Theater – in der Kirche – am Altar!« Er schien in dieser Stellung zur Bildsäule geworden. Der Racheruf hatte so erschütternd auf die Hörer gewirkt, daß Niemand wagte ihn anzureden. Nun aber ballte er die ausgestreckte Hand, legte sie wie ein Verzweifelnder auf seine Stirn, und rief mit dem Tone des gewaltigsten Schmerzes: »Nein, nein, nein! Es ist unmöglich! Mariane – Mariane! Du kannst es nicht tragen – ich kann es nicht tragen! Beide – Beide – verloren!« Die Stimme schwand bei dem letzten Worte, sein Gesicht fiel zurück auf des Bruders Brust, seine Sehnen schienen zu erschlaffen. Ich faßte ihn unter dem Arm, um ihn aufzurichten. Es gelang mit Mühe. Leichenblässe bedeckte seine Wangen. Ein Seufzer, der einem Röcheln glich, entwand sich seiner Brust, und ehe mein Wink an den Nächststehenden befolgt werden konnte, sank er bewußtlos an mir nieder.

      Mit keinem der Mittel versehen, womit man Ohnmächtige zum Bewußtseyn zurückzurufen pflegt, blieb mir nichts übrig, als ihn auf der Tragbahre, die für den Erschlagenen bestimmt war, in meinen Wagen tragen zu lassen. Ich befahl, ihn eilig nach Waldrainsdorf zu fahren, wo inzwischen der Arzt angekommen seyn konnte. Die Tragbahre kam zurück. Nicht starr, aber noch leblos, hatte man ihn in den Wagen gebracht. An eine rechtsförmliche,


Скачать книгу