Adams Söhne. Adolf von Wilbrandt
milde, verklärte Nacht romantisch gestimmt, schwankte edel und ohne Klage dahin, und begann sogar leise zu singen. Nach einer Weile kehrten die Herren, die oben übernachteten, um; Wittekind aber blieb bald wieder steh’n, auf die Schulter seines Berthold gelehnt, und schaute still in das Tal, das so im Halbtag träumte. Seine Verstimmung schwand, er dachte an Mariens Worte von den Mondlichttagen und dem Dämmerungsfrieden; etwas von diesem Frieden kam über ihn. Er sah mit stiller Lust in das edle Angesicht seines teuren Jungen, und drückte ihn stumm an die Brust.
»Geh’n wir hinauf«, sagte er, nachdem sie beide lange geschwiegen hatten. »Du bist ja wohl ganz verzückt … Wer hat dir’s angetan: der Mond, der Tanz, oder der Gesang?«
Berthold lächelte träumerisch, ohne Antwort zu geben.
Sie gingen zur ›Gemse‹ zurück. Die Gäste im Garten waren großenteils verschwunden; Saltner und Waldenburg auch. Von den ›Bauernspielern‹ war nichts mehr zu seh’n.
Der Wirt führte Vater und Sohn zu ihrem Zimmer hinauf; denn sie wünschten nun still mit sich allein zu sein.
»Geh’«, sagte Wittekind, »ich komme dir nach. Wir haben noch viel zu reden und zu fragen! Ich versprach aber dem andern, dem Waldenburg, eine Weile mit ihm zu plaudern. Morgen reist er ab. Wenn ich von ihm zurückkomme, sind wir ganz für uns, Vater und Sohn!«
Berthold nickte zärtlich; die Augen fielen ihm aber zu, mit einem schlaftrunkenen Lächeln riss er sie wieder auf.
Wittekind ließ ihn allein, in ihrem mondhellen Zimmer, und ging über den Vorplatz bis zu Waldenburgs Tür. Als er sich näherte, hörte er leises, danach lautes Sprechen; die laute war Kathis Stimme, sie klang wie abweisend, oder gar wie empört.
»Ich muss hinunter!« sagte sie zuletzt; »gute Nacht!«—
Von innen öffnete sich die Tür, Kathi trat hastig heraus; ohne Perücke und Bart, sonst noch im Kostüm. Sie erschrak einen Augenblick, als sie so unerwartet Wittekinds Gestalt vor sich stehen sah; rief dann auch ihm »Gute Nacht« zu, und sprang die Treppe hinab.
Waldenburg stand mitten im Zimmer, dem Mädchen nachblickend. Da er Wittekind eintreten sah, richtete er seine etwas zusammengesunkene Gestalt sofort majestätisch auf, zu ihrer ganzen Länge, und fasste sich in olympischer Heiterkeit.
»Die Kleine ist sehr brav«, sagte er mit einem ruhigen, kalten Lächeln, das etwas Satanisches hatte. »Setz’ dich, nimm eine Zigarre und rauch’!«
Wittekind schwieg. Er glaubte zu erraten, weshalb Waldenburg sich in der ›Gemse‹ einquartiert hatte. Durch das kleine Zimmer ging er bis ans offene Fenster, das zu einem Kalkofen jenseits der Straße hinübersah, und horchte auf einen Jodler, den heimwandernde Bursche in die stille Nacht hinaufschickten.
»Dein Junge gefällt mir sehr«, fing Waldenburg wieder an. »Nimm doch eine Zigarre … Er gehört zu einer besonderen Gattung; nichts von der landläufigen Prosa, nichts von Trivialität. Sein Gesicht hat etwas Rafaelisches … Hoffentlich ist er nicht bloß Engel, auch ein wenig Teufel!«
»Hoffentlich wird er ein ganzer Kerl«, erwiderte Wittekind; »das meintest du ja wohl. Wo hast du denn deinen Jungen? Der muss nun ja schon vierundzwanzig alt sein. Wie viele Jahre hab’ ich nichts von dem gehört!«
Waldenburg warf sich auf einen Stuhl neben seinem Bett. Er sah seine spitzen Fingernägel an und sagte gedehnt:
»Von dem wirst du wohl auch nicht viel mehr hören, denk’ ich.«
»Wieso? Ist er – —«
»Tot? Nein, das ist er nicht. Aber fort ist er. Fort aus meinem Leben. Von der Tafel gewischt. Kurz, du kennst die Geschichte vom ›verlorenen Sohn‹; das ist unsre Geschichte – und der wunde Punkt in meinem Leben!«
Er nahm ein gefülltes Glas, von dem roten Tiroler, den Kathi vorhin gebracht hatte, und stürzte es hinunter.
»Vom ›verlorenen Sohn‹?« fragte Wittekind bestürzt.
»Du hörst. So ist es!« —
Waldenburg schenkte ein, in ein zweites Glas, und schob es dem andern hin.
»Da; trink’ wenigstens eins, wenn du nicht rauchen willst. Er ist sauer, aber echt! – Mein Sohn Eugen – um also von ihm zu reden – ist ein schmucker Mensch; er hat allerlei gute Gaben – nur nicht das goldene Band, das sie zusammenhält. Vielleicht war ich auch im Anfang nicht der richtige Lehrmeister: du weißt, ich hab’ lächerlich früh geheiratet; es kam mir so über den Hals … Kurz, er hat mein Talent, das Leben zu genießen, geerbt, aber leider nicht auch meinen Verstand. Ich liebe die Himbeeren sehr; aber die Würmer, die sich darin niederlassen, liebe ich nicht und schaffe sie beiseite. Mein Sohn gab nicht genug auf die Würmer in den Himbeeren Acht; – das ist seine Geschichte. Er wurde unreputierlich; ich musste mich seiner schämen, statt auf ihn stolz zu sein, wie ich mir’s gehofft hatte. Da schrieb ich ihm endlich: du hast genug auf meinen Namen gesündigt, sündige fortan lieber auf einen andern Namen; störe meine Kreise nicht mehr, geh’, wohin du willst!«
Waldenburg stand auf, und bewegte sich mit seinen langsamen Schritten durch das Zimmer hin. Im Geh’n, die Hände auf dem Rücken, sprach er weiter; »Eugen nahm es wörtlich. Er legte meinen Namen ab, wie ich hörte, und ging nach Amerika. Na, er wird wiederkommen, dachte ich, und wir werden dann auch die zweite Hälfte der Geschichte vom ›verlorenen Sohn‹ spielen; – aber er kam nicht wieder. Er ist mir verschollen. Lebt er noch? Ich weiß es nicht. Lassen wir dieses Thema; es greift mich an; – ich hab’ einmal viele ehrgeizige Hoffnungen auf diesen Jungen gesetzt. … Ich hatte viel Glück im Leben. Das schlug mir fehl. Was ist da zu machen? So gut, wie ich weiß: seine Mutter ist tot, so denk’ ich und sag’ ich mir: auch ihr Sohn ist tot…«
Er kam an den Tisch zurück und schenkte sich wieder ein.
»Lassen wir’s! Man lebt nur einmal; also weiterleben!«—
Er sah in das Glas, setzte es an und trank.
Wittekind zögerte eine Weile; endlich sagte er bedächtig:
»Freilich, wenn du zu seinem Namen einfach ein schwarzes Kreuz machst —«
Waldenburg unterbrach ihn:
»Du meinst, ich wünsche ihn tot? O nein, so steht’s nicht. Wenn er wiederkäme, in leidlicher Verfassung. – — Er ist ja doch mein Fleisch und Blut. Ich habe ein Vaterherz. Aber er kommt ja nicht wieder. Du kennst ihn nicht; der Junge ist stolz! Seit ich ihn verleugnet habe, verleugnet er mich!«
»Hm!« murmelte Wittekind. »Das gefällt mir an ihm.«
»Danke dir ergebenst! Du nimmst wohl gar Partei für den Sohn gegen den Vater … Aber lassen wir’s. Sprechen wir nun endlich von dir. Ich bekenne dir, ich hatte dich ganz aus dem Gesicht verloren; der Teufel soll mich holen, wenn ich weiß, was du geworden bist.«
»Geworden?« entgegnete Wittekind, der noch immer am Fensterbrett lehnte. »Ich wollte nie ›etwas werden‹; nur womöglich etwas sein.«—
Waldenburg wandte den Kopf und sah ihn durch die halbgeschlossenen Augen ironisch bewundernd an. —
»Ich meine, etwas Nützliches«, sprach Wittekind weiter; »nicht ganz überflüssig. So ein Stück vom Ganzen. – Worüber lächelst du?«
»Nur so für mich. – Und was bist du denn?«
»Bauer«, erwiderte Wittekind ruhig. »Ich hab’ mein Gut, am Wasser, nicht weit von der See; es ist gut im Stand, es ernährt mich, trotz der schlechten Zeiten für die Landwirtschaft. Ich baue auch für die Rübenzuckerfabrik, die wir uns angelegt haben; die ganze Wirtschaft gewinnt dabei. Unter unsern Landwirten gelte ich für einen weisen Mann, weil ich etwas mehr gelernt habe als sie, mich mit dem Weltverkehr beschäftige, und sie durch Vorträge, durch Flugschriften zu allerlei Nützlichem angefeuert habe, von dem sie nun Segen spüren. Sie wollen mich auch zum Abgeordneten für den Reichstag machen; kommt es einmal dazu, dann wär’ es freilich aus mit dem schönen Landfrieden, mit der Seelenruhe, meinen Büchern, meiner Musik. Aber was man für den allgemeinen Nutzen tun kann, nun, das muss man tun. … Worüber lächelst du wieder?«
Waldenburg warf seine halbverrauchte