Adams Söhne. Adolf von Wilbrandt

Adams Söhne - Adolf von Wilbrandt


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»bis ich die landesüblichen Ritterdienste geleistet habe!«—

      Er hielt der Dame in dem blauen Schleier die Hand hin; leicht darauf gestützt sprang diese auf die Erde. Der Lange ging dann um den Wagen herum, nicht mühsam oder ältlich, aber mit einem sonderbaren Schein von Unsicherheit, wie wenn seine hohen Beine doch etwas zu schwach wären, um den breit entwickelten Oberkörper zu tragen. Ehe er an dem andern Wagenschlag angekommen war, hatte die Dame mit der schmachtenden Stimme sich erhoben und mit Hilfe des andern Herrn, nicht ohne einen leidenden Seufzer, den ›Landauer‹ verlassen.

      »Komme ich zu spät?« sagte Waldenburg. »Nun, so sei mir gegrüßt, Karl Wittekind, edler Freund!« —

      Mit der vornehmen Grazie eines Prinzen hielt er ihm die Hand hin, bewillkommnete ihn aber zugleich durch ein vertrauliches, behaglich schmunzelndes Lächeln.

      »Meine Damen, ich stelle Ihnen hier einen Mustermenschen vor«, setzte er dann hinzu; »Herrn Wittekind, den Mann, wie er sein soll. In diesem verkommenen Zeitalter noch ein echter Idealist!«

      Wittekind machte eine zuckende Bewegung; er wollte auf diese sonderbare Anpreisung, die ein kalter Spott zu begleiten schien, eben etwas erwidern, als ein unerwarteter Anblick ihn abzog. Die Dame mit der merkwürdigen Stimme war Waldenburg um den Wagen gefolgt und warf eben, gleich der andern, ihren Schleier zurück. Sie enthüllte ein Gesicht, das vielleicht weniger schön, als auffallend und bedeutend war; von herrlichem blondem Haar umrahmt, großgeformt, aber überraschend bleich und so mager, dass die großen dunkelblauen Augen übergroß und fast beängstigend wirkten. Daher erschien sie wohl auch älter, als sie war; denn die hohe Gestalt, durch ein anschmiegendes hellgraues Sommerkleid und einen Ledergürtel in all ihrer Schlankheit gezeichnet, machte einen durchaus mädchenhaften Eindruck. Ihr Blick schien aber ebenso unmittelbar zu berühren, zu treffen, wie der Waldenburgs; nur dass dieser klug und kalt, der der jungen Dame warm und zurückhaltend traurig war. Fast auf den ersten Blick dachte Wittekind: ›So jung die ist, hat sie viel gelitten!‹

      Er betrachtete sie so aufmerksam, dass Waldenburg zu lächeln anfing. Dieser nahm wieder das Wort:

      »Ich habe meinen alten Freund wohl zu grob angepriesen; das macht die unverhoffte Freude, und die Erinnerung an die alten Zeiten! Wir haben uns oft gesehen, aber zuerst auf dem Schulweg, und auf dem Schulhof in den Zwischenstunden; da haben wir Griechen und Trojaner gespielt und ritterlich gekämpft.«—

      ›Ja, ich hab’ ihn durchgeprügelt‹, dachte Wittekind.

      Waldenburg unterbrach sich selbst:

      »Bei alledem vergesse ich, meinen Kommilitonen auch mit den Herrschaften bekannt zu machen! – Meine werten Freunde, Baron und Baronin Tilburg; mit mir aus Wien gekommen, und für die nächsten vier Wochen noch mit mir verheiratet Frau. Marie von Tarnow (er deutete mit einer anmutigen Kopfbewegung auf die Blasse), unsre Amerikanerin, die wir der neuen Welt wieder abgerungen haben; sie bleibt nun hoffentlich in der immer noch interessanten Ruine, unserm alten Europa!«

      »Der weibliche Leibarzt meiner Frau«, sagte Baron Tilburg lächelnd, und schlug mit dem abgezogenen Handschuh der rechten in die linke Hand.

      »Warum sehen Sie mich so verwundert an?« fragte die junge ›Amerikanerin‹, da Wittekind sie mit neuem Erstaunen und Interesse betrachtete. »Glauben Sie nicht an den Leibarzt?«

      ›Ja, die Stimme ist ein schöner Alt!‹ dachte Wittekind.

      »Verzeihen Sie«, sagte er dann laut, nicht ganz unbefangen: »ich hatte mir einen weiblichen Arzt nicht so – so weiblich gedacht. Mehr – wie soll ich sagen – robust, mit männlichem Stehkragen; Übergang zum Mann. Und da sah ich nun – Sie —.«

      ›Alle Wetter‹, dachte Waldenburg, ›wie der Herr sie anstarrt!‹

      Die junge Dame erwiderte schlicht:

      »Ich hab’ in Amerika etwas Medizin studiert, weil mein Vater Arzt war; es lag mir so nah. Und meinen Vater machte es so glücklich«, setzte sie zu den andern gewandt hinzu. »Übrigens brauchte man mich der neuen Welt nicht wieder abzuringen; ich kam nach Deutschland zurück, weil ich da geboren bin und dahin gehöre!«

      »Ja«, sagte Frau von Tilburg, deren Klagestimme diesmal etwas herzhafter einsetzte, »meine liebe Marie hat uns nie verleugnet, ihr Herz ist deutsch geblieben – deutsch avant tout

      Die Blasse errötete flüchtig, wohl wegen dieser französischen Bekräftigung.

      »Ich hab’ sie immer gehasst«, sagte sie, »diese braven Landsleute, die da drüben auf einmal Eingeborne wurden und über Deutschland mit den Achseln zuckten. Sollen wir nicht auf unser Vaterland stolz sein, wohin wir auch kommen? Und ihm Ehre machen – wie Sie, Herr Geheimrat (sie wandte sich zu Waldenburg) der Sie aus Deutschland nach Österreich hinübergezogen sind, und dem Kaiser dort gewiss mit aller Hingebung dienen, aber Ihre Heimat nie verleugnen werden —«

      Sie brach plötzlich ab, und auf eine Weise, die den voll Anteil beobachtenden Wittekind aufs Äußerste überraschte. Saltner trat in diesem Augenblick wieder aus der Wirtshaustür, der Alte, mit der Kathi. Frau von Tarnow warf einen verlorenen Blick zu ihm hin; auf einmal fuhr sie zusammen. Ihre Blässe ward geisterhaft. Sie hatte ihr Taschentuch in die Hände genommen und im Reden zusammengedreht; jetzt fiel es auf die Erde. Eh’ aber noch einer der Herren hinzutreten konnte, um es aufzuheben, bückte sie sich rasch, als wünschte sie ihr verändertes Gesicht zu verbergen, und hob es selber auf; blieb dann noch eine Weile gebückt, und schien ein wenig hin und her zu schwanken. Wittekind sah das alles. Nach einer Weile hatte sie sich, wie es schien, gefasst, und ging mit einer raschen Bewegung auf den Alten zu.

      »Grüß’ Sie Gott!« sagte sie und streckte ihm die Hand hin. Zugleich beugte sie sich aber vor, und Wittekind glaubte zu hören, dass sie ihm etwas zuflüsterte, während die beiden Köpfe sich beinahe berührten.

      Saltner machte ein betroffenes Gesicht, und mit einem verwirrten, rollenden Blick überflog er die Gesellschaft. Er fasste sich indessen geschwind, drückte die Hand der jungen Dame mit einem höflichen Lächeln und lüftete seinen Hut.

      Es stieg ihm aber nachträglich eine Röte in die bronzenen Wangen, als schämte der Alte sich, eine Komödie zu spielen.

      So erschien es wenigstens Wittekind. Frau von Tarnow trat dann langsam zurück, hielt aber die Augen noch auf Saltner geheftet.

      Plötzlich wandte sie sich, wieder wie nach einem raschen Entschluss, und stellte ›Herrn von Saltner, einen alten Freund‹ der Gesellschaft vor. Der ›Alte vom Berge‹, der Waldmensch, verneigte sich mit einer vornehmen Würde und Anmut, die von diesem Riesen in der Lodenjoppe offenbar niemand erwartet hatte. Er trat dann auf den Baron und die Baronin zu und begann in leichtem Ton – nur dass die Stimme ein wenig zitterte oder schwankte – über Wetter und Reisen zu sprechen. Die Baronin hörte andächtig zu, stieß einmal einen sanften Reise-Seufzer aus, und betrachtete diesen ›Urmenschen‹ mit einem gewissen bangen Respekt, der Wittekind ergötzte. Bald ward es ihr aber lästig, aus ihrer zierlichen Untermittelgröße zu einem solchen Turm hinaufzusehen, der noch den langen Waldenburg überragte. Sie fühlte auf einmal, dass sie nach ›dieser endlosen Fahrt‹ völlig steif geworden sei und sich bewegen müsse; nahm Frau von Tarnows Arm, hängte sich hinein und ging mit einem etwas schleppendem, schmachtenden Gang die Dorfgasse hinunter. Saltner sah ihr und der Amerikanerin nach. Er stand still, seine Augen starrten regungslos, es schien ihm ein schmerzliches Zucken über die Wangen zu gehen.

      ›Was ist zwischen ihm und dieser blassen Frau?‹ dachte Wittekind. ›Was für ein Geheimnis haben sie miteinander?‹ Er sah gleichfalls den Damen nach. Der Baron Tilburg hatte sich ihnen angeschlossen; Waldenburg folgte, blieb dann aber stehen, als fiele ihm etwas Besseres ein, und zog eine Zigarre hervor, die er mit seiner etwas feierlichen Grazie in Brand setzte. Wittekind, von einem unklaren Gefühl gezogen, trat zu dem ›Jugendfreund‹.

      »Ist diese junge Dame leidend?« fragte er. »Sie hat ja fast kein Blut im Gesicht.«

      »Die Amerikanerin?« fragte Waldenburg zurück und blies einige zarte, blaue Ringe in die Luft. »Lieber Freund, ich wollte, ich wüsste, was ihr fehlt; – um sie zu heilen«, setzte er mit einem leichtfertigen Lächeln hinzu.

      »Ich


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