Adams Söhne. Adolf von Wilbrandt

Adams Söhne - Adolf von Wilbrandt


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wirklich lebendig? Solche Leute, meint’ ich, hätt’ es nur im Mittelalter gegeben. Herr, Sie sind also wirklich so einer? So ein Pelikan, der sein Blut für die andern hingibt —«—

      »Nein, der tut’s nur für sein eigenes Fleisch und Blut. Das ist nichts Besondres.«

      »Sie tun’s für die andern, für die, welche vor der Tür stehen. Darum auch dies Gesicht!«

      »Was denn für ein Gesicht? – Was hab’ ich denn getan? Ich kann ja noch nichts. Ich erwerb’ ja noch nichts; bin ein Student, im ersten Semester, also ein halber Mensch. Während Sie – — Sie sind doch wohl auch noch jung; aber Sie leben gewiss nicht mehr aus des Vaters Tasche. Sie bringen sich selber fort. O lassen Sie mich erst auch so einer werden: dann – dann —«

      Er sprach nicht zu Ende, weil auf einmal die innere Bewegung sich nicht mehr unterdrücken ließ und durch die Glieder ihren Ausweg suchte. Er hob die Arme, bewegte sie in der Luft – mit einer gewissen ungeschickten Anmut – und dehnte, tief atmend, die Brust. Seine Augen leuchteten, nach oben gerichtet. Der junge ›Plebejer‹ konnte nicht umhin, diesen schönen Schwärmer mit einer Art von Andacht anzustarren. Es rührte sich dabei auch ein Missgefühl, das ihm etwas in die Brust schnitt; er spürte es, ohne zu fragen, was es von ihm wolle.

      »Nu, Sie wissen ja, ein Schelm tut mehr, als er kann!« sagte er nach einer Weile, fast brummig. »Wer für andere hungern kann, der kann wohl eines Tages noch mehr. Davon reden wir noch, wenn es Ihnen recht ist … Nun sollten Sie aber doch von meinem Käse essen; denn gefastet, mein’ ich, haben Sie nun genug!«

      »Apage Satanas!« erwiderte der Jüngling lächelnd, mit einer abwehrenden Bewegung der Hand. – »Verzeihen Sie!« setzte er dann etwas verlegen hinzu.

      »So viel Lateinisch versteh’ ich noch«, sagte der andre, der dies ›Verzeihen Sie‹ wohl begriffen hatte. »Ich bin auch eine gute Strecke weit durch die Schulen gelaufen; wenn ich auch als ein armer Hund im Handwerk stecken geblieben bin: Mechaniker, Kunstschlosser. Afinger ist mein Name Rudolf Afinger.«

      »Berthold Wittekind«, erwiderte der Student mit einer Art von Verneigung.

      »Nicht von Adel?« fragte der andre verwundert.

      »Nein.«

      »Ich dachte: wegen der Nase – und der feinen Hände … Also von meinem Käse wollen Sie nichts essen?«

      »Nein, nein, nein; reden Sie mir nicht mehr zu. Eh’ ich meinen Vater nicht gesehen habe, will ich nichts mehr essen. Ich war etwas hungerschwach, das ist wieder vorbei. Es tut mir gut – inwendig, mein’ ich – noch etwas zu fasten. Und mein Körper ist stark, dauerhaft; viel zäher, als man ihm ansieht. Kommen Sie, wenn es Ihnen recht ist; geh’n wir wieder weiter.«

      »Also Sie haben Lust, noch eine Weile in meiner Gesellschaft zu bleiben?« fragte der Kunstschlosser, wieder mit seinem irreführenden ›grimmigen‹ Gesicht.

      »Ja, ich habe Lust. Kommen Sie Herr Rudolf Afinger!«

      »Ich bin so frei, Herr Berthold Wittekind!«

      Ein etwas spöttisch klingendes Lachen folgte diesen Worten. Afinger stieß den Rest von seinem Brot und Käse mit der Hand ins Gras – schon wieder mehr Aristokrat, als zu ihm gehörte – und stand langsam, sich reckend auf.

      Der junge Wittekind war schon auf den Beinen. Die beiden Gestalten standen sich nun aufrecht gegenüber: die schlanke, feingebaute neben der untersetzten, kraftdurchwachsenen.

      »Wo wollen Sie denn Ihren Vater seh’n?« fragte Afinger.

      »In Grödig, an der neuen Bahn, denk’ ich ihn zu finden.«

      »Da geh’n Sie also durch Anif; und bis Anif haben wir denselben Weg: von da will ich auf der Bahn nach Salzburg zurück. Denn in Salzburg wohn’ ich jetzt. Als Mechaniker – und Weltverbesserer. … Denn ich bin auch so einer wie Sie: ich will die Welt auch nicht so lassen, wie sie ist; will sie anders machen. Aber auf meine Art; nicht so sanft wie Sie!«

      »Was verstehen Sie unter Ihrer Art?« fragte Berthold arglos.

      Der Mechaniker sah ihn, während sie schon ausschritten, von der Seite an; offenbar mit sich uneinig, wieviel er diesem jungen ›Idealisten‹ im ersten Anlauf davon verraten solle. Nach einem leisen Summen antwortete er:

      »Na, es ist ja gewiss eine schöne Sache, wenn dieser und jener aus reiner Menschenliebe – so, wie Sie – für die Elenden, die Unterdrückten, die Sklaven etwas opfern will; ich bin gar nicht verknöchert, Herr, ich weiß das zu schätzen. Aber so ein paar Tropfen höhlen nicht den Stein! Sie können sich als Pelikan ganz zu Tode bluten, die Welt bleibt doch so schofel, wie sie ist. Die, welche etwas haben, wollen’s auch behalten; so freiwillig wie Sie geben sie’s nicht her. Darum muss man nachhelfen! Und dann muss man eine solche Ordnung machen, dass dieses Unkraut von Blutsaugern, Prassern und Selbstvergötterern nicht wieder nachwachsen kann!«

      »Wie meinen Sie das?« fragte Berthold.

      Der andre antwortete nicht; er zog nur die Achseln.

      »Nun, wie war Ihnen gestern und heute beim Fasten?« fragte er dann zurück.

      »Wie mir war?« – Berthold lächelte: »Gut war mir nicht. So krampfig. So hohl. … Und so wenig Leben im Kopf; bis die Phantasien kamen, die nicht enden wollten. Phantasien vom Essen und vom Trinken, mein’ ich.«

      »Grausame Phantasien! Und beneideten Sie nicht all die andern, die was essen konnten?«

      »Wie sollt’ ich sie denn beneiden? Ich tat’s ja, damit andre essen konnten. Wenn ich unterwegs ein paar alte Leute, die nach Armut aussahen, oder ein zerlumptes Kind sah, die führt’ ich zum nächsten Wirtshaus, ließ ihnen zu essen geben, und sah ihnen zu. Es tat mir weh und wohl. Wunderbar tat’s wohl; eben weil’s auch wehtat. Es gab mir so eine sichere Kraft, fröhlich auszuhalten!«

      »Aber kam Ihnen nicht die Wut auf die andern, die es nicht so machen, die sich übersatt fressen und uns hungern lassen?«

      »Wut? – Ich dachte mehr: wenn ihr wüsstet, wie so ein Opfer wohltut, ihr ließet euer Schlemmen sein und tätet mir’s nach!«

      »Können Sie denn nicht hassen, Herr?« fragte Afinger etwas ungeduldig, den Stock heftiger aufstoßend.

      »O ja; ein edler Hass ist auch eine gute Sache. Aber der Hass kann doch nur vernichten; und nur die Liebe kann aufbauen.«

      Afinger lachte kurz auf.

      »Meinen Sie? Kann die Liebe das? – Herr Wittekind, Sie sind sehr jung. Nehmen Sie’s nicht übel. Da will ich Ihnen doch gleich zeigen, wie diese schofle Welt beschaffen ist, und was darin zu tun ist! – Seh’n Sie nur einmal auf; Sie haben noch gar nicht bemerkt, wo wir sind, Sie in Ihren idealen Gedanken. Das ist der Park von Anif; und das ist das Schloss. Da wohnt auch so einer von den großen Herrn, denen unser Schweiß Milch und Honig ist, die sich’s wohl sein lassen!«

      Sie waren einen Fußweg gegangen, der durch das gepflegte Baum- und Wiesenland in den eigentlichen Schlossgarten von Anif geführt hatte. In einem kleinen See, den herrliche alte Bäume umstanden, lag das Schloss wie eine alte Burg, vom regungslosen Wasser umflossen, durch eine Brücke mit dem Land verbunden, und spiegelte seinen Turm, seine Zinnen, die das Sonnenlicht übergoldete, in der verklärenden Flut. Berthold blieb betroffen stehen, mit einem Ausruf der Bewunderung.

      »Wie schön das ist!« sagte er in jugendlicher Freude.

      »Ja, ja!« murmelte Afinger. »So sagt ihr immer, ihr geschulten Herren und gebildeten Damen: wie schön das ist! – Wer hat’s denn so schön gemacht? Die ›Stiefkinder der Natur‹ – so nennt man sie ja – die ihr Dasein verwünschen. Tausend leiden für einen! Millionen für Tausend! Die Tausend aber sagen dann: die Welt ist schön, und der Mensch ist groß! – Da seh’n Sie zum Beispiel diese Buche an; die Blutbuche hier mein’ ich. Wie groß, und wie schön gewölbt! Was? Und so ‘ne richtige Blutbuche, über und über blutrot. Nun treten Sie aber gefälligst zwischen den hängenden Ästen durch, stellen Sie sich an den Stamm, wie ich. So. Was seh’n Sie nun? Seh’n Sie ein rotes Blatt? All die Blätter da, rund um Sie her und über Ihnen – zu denen die Sonne nicht durchkommt;


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