Justizmord . Artur Landsberger

Justizmord  - Artur Landsberger


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Hotelrechnung hatte er jedenfalls noch nicht bezahlt.«

      »Zahlt man bei Ihnen die Rechnung bei der Ankunft?« fragte Dubois und fuhr, an den Amerikaner gewandt, fort: »Sind Sie über die finanzielle Lage Marots orientiert?«

      Harvey zögerte – offensichtlich mit Rücksicht auf Dorothée. – Und als Dubois seine Frage wiederholte, sagte er:

      »Ist es notwendig, daß Frau Marot diesem Verhör beiwohnt?« Und da Dorothée darauf bestand, zu bleiben, so fuhr er fort: »Marots pekuniäre Lage war verzweifelt.«

      »Nein!« rief Dorothée entsetzt.

      »Leider ist es so«, erklärte Harvey.

      »Warum hat er mir das verheimlicht?«

      »Weil er Sie geliebt hat und wußte, daß Sie ohne Luxus nicht leben können.«

      Dorothée war fassungslos. Sie wies auf den kleinen Tisch in der Nähe der Tür und sagte:

      »Gestern noch, bevor wir aus Marseille abfuhren, hat er mir diesen kostbaren Smaragd geschenkt. – Wie konnten Sie das dulden, Mister Harvey, wenn Sie wußten, daß er ihn nicht bezahlen kann?«

      »Ich hatte nicht das Recht, Ihnen die Freude zu verderben.«

      »Wo, sagten Sie, liegt der Smaragd?« fragte Frau Turel, die inzwischen an den Tisch herangetreten war. »Hier liegt nicht ein Stück.«

      Dorothée eilte auf den Tisch zu, vergaß für einen Augenblick, daß Andrée ermordet in der Nische lag, und rief entsetzt:

      »Meine Perlen! meine Ringe! alles ist weg!«

      Dubois befahl den Beamten, die Flurtür zu schließen. Als das geschehen war, erklärte Harvey:

      »Vor einer knappen Stunde, als der Kellner die Whiskygläser holte, lag der Schmuck noch da. Ich weiß es genau. Denn ich wunderte mich, wie achtlos Frau Marot die kostbaren Steine herumliegen ließ.«

      »Wenn man ohne Zofe reist«, entschuldigte sich Dorothée.

      »War außer dem Kellner noch jemand im Zimmer?«

      »Der Hausdiener, um meinen versehentlich hier untergestellten Koffer zu mir hinaufzubringen.«

      »Mein Personal stiehlt nicht!« beteuerte der Direktor.

      »Wer war sonst noch im Zimmer?«

      »Niemand!« rief der Direktor. »Ich kann es beschwören. Denn ich war der Erste im Zimmer. Von meinen Gästen hat niemand die Schwelle übertreten. Sie sind sämtlich an der Tür stehen geblieben.«

      Dubois wandte sich wieder an Dorothée:

      »Hatten Sie sonst noch Wertgegenstände, die Sie vermissen?«

      Dorothée dachte an die hohe Versicherung – und es lag ihr schon auf der Zunge »ja« zu sagen. Aber in Gedanken an den toten Andrée bezwang sie sich und sagte:

      »Es war alles«, fügte aber, als wollte sie sich damit doch eine letzte Chance sichern, hinzu: »was ich mitgenommen hatte.«

      »Und Ihr Gatte?« fragte Dubois.

      »Mein Mann trug eine goldene Uhr und eine Perlennadel.«

      »Besaß er keine Brieftasche?«

      »Eine schwarze Saffiantasche, in der er sein Geld bewahrte.«

      »Wohin pflegte er die des Abends zu legen?«

      »Auf den Nachttisch.«

      »Hier liegt nichts«, erklärte Frau Turel, die in der Koje stand.

      »Demnach muß es sich also um einen Raubmord handeln«, entschied Dubois und befahl den beiden Beamten, die Taschen des Hausdieners und des Kellners zu untersuchen.

      Bei dem Hausdiener fand man außer ein paar Kasinoships, über die er sehr erstaunt tat, nichts. Aus den Taschen des Kellners aber zog man die Perlkette, das Ohrgehänge und die Ringe.

      »Schuft!« rief der Direktor. »Das kostet mich meine Stellung.«

      Dubois war dicht an den Kellner herangetreten und fragte ihn:

      »Was haben Sie dazu zu sagen?«

      Der Kellner, an allen Gliedern zitternd, erwiderte:

      »Ich . . . gebe . . . den . . . Diebstahl. . . zu.«

      »Und den Mord?«

      »Nein! nein! damit habe ich nichts zu tun.«

      »Wann haben Sie den Schmuck denn gestohlen?«

      »Als ich die Whiskygläser aus dem Zimmer holte.«

      »Das haben Sie sich nach den Worten des Mister Harvey zurecht gelegt.«

      »Bei Gott, es ist so!«

      »Lassen Sie Gott aus dem Spiel! Wo haben Sie die Uhr und die Brieftasche gelassen?«

      »Ich habe weder die Uhr noch die Brieftasche.«

      »Aber Sie haben sie liegen sehen?«

      »Nein!«

      »Sagen Sie doch die Wahrheit!«

      »Ich sage die Wahrheit.«

      »Sie haben die Gläser herausgeräumt und, als Sie hinausgingen, den Schmuck gesehen?«

      »Ja, – das ist wahr.«

      »Sie haben den Schmuck aber nicht angerührt?«

      Der Kellner stutzte.

      »Stimmt's?« fragte Dubois.

      »Ich . . . . ich . . . .«, stieß der Kellner zögernd hervor.

      »Sie haben sich mit Recht gesagt, wo soviel Menschen im Zimmer sind, besteht die Gefahr, daß man Sie dabei ertappt.«

      »Ich habe überhaupt nichts gedacht in dem Augenblick.«

      »Ihre Vernunft hat Ihnen diese natürliche Überlegung ohne viel Nachdenken eingegeben. Sie sagten sich, wo so kostbarer Schmuck offen herumliegt, wird noch mehr zu holen sein. Sie haben den Schmuck also liegen lassen und abgewartet, bis die Herrschaften eingeschlafen waren. Dann sind Sie durch das Fenster eingestiegen – bewaffnet natürlich – denn so ein nächtlicher Besuch ist ja mit Gefahr verbunden – Sie haben den Schmuck an sich gebracht – das hat Geräusch verursacht – Herr Marot ist erwacht – Sie scheinen ein vorzüglicher Schütze zu sein – Sie haben ihn mitten ins Herz getroffen – haben schnell die Sachen vom Nachttisch genommen und sind damit davongelaufen. – Die Sache ist ja so einfach, nicht wahr? – Die Verlockung war zu groß, das wird man Ihnen bei der Strafzumessung zugute halten – auch Ihr freimütiges Geständnis wird die Richter milde stimmen – obschon ein Leugnen in einem so klaren Falle zwecklos wäre und Ihre Lage nur verschlechtern würde.«

      Der Kellner hatte vor Staunen zunächst kein Wort herausgebracht. Er hatte anfangs mehrmals den Kopf geschüttelt, dann leidenschaftlich durch Gesten widersprochen – schließlich aber hatte er die Geduld verloren. Er war immer dichter an Dubois herangetreten, den er jetzt beinahe berührte, und schrie ihm unbeherrscht ins Gesicht:

      »Nein! nein! Herr Kommissar! Den Diebstahl gebe ich zu. Aber den Mord lasse ich mir nicht aufschwatzen! – Ich habe das Office von dem Augenblick an, wo ich die Gläser hinausgetragen habe, nicht mehr verlassen.«

      »Beweisen Sie das!« »Das kann ich nicht.« »Aha!«

      »Da ich allein war.«

      Frau Turel nahm sich des Kellners an und fragte:

      »Ist während der halben Stunde denn niemand von Ihren Kollegen im Office gewesen oder vorbeigegangen, der Sie gesehen hat?«

      »Ich glaube nicht.«

      »Eins der Mädchen vielleicht?«

      »Ich habe keins gesehen.«

      »Sehr merkwürdig,« meinte Dubois und Frau Turel fragte weiter:

      »Aber Gäste werden doch um diese Zeit nach Haus gekommen sein?«

      »Eine ganze Menge – aber wer schaut denn von denen ins Office? – Und dann: ein Frack sieht aus wie der andere


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