Lache Bajazzo. Artur Landsberger

Lache Bajazzo - Artur Landsberger


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Außer Brand und mir noch ein paar andere Direktoren – und wem Doktor Holten es etwa sonst noch gegeben oder gelesen hat.«

      »Keinem einzigen,« sagte Carl, »außer natürlich meiner Frau.«

      Carl erschrak; zum ersten Male in Agnes’ Gegenwart sprach er von ihr. Und auch die anderen empfanden es peinlich.

      »Weshalb nicht mir?« fragte Agnes erregt.

      »Du sollst es haben,« beschwichtigte sie Carl.

      »Nein, ich will, daß du es mir auch liest, so gut wie ihr.«

      »Mit Freuden, Agnes!«

      »Wann?«

      »Wenn ich wiederkomme.«

      »Nein! Ich will, daß du es gleich tust.«

      »Du weißt doch, daß ich morgen reise«

      »Dann bleibst du noch, auf einen Tag kommt es doch nicht an.«

      »Das sagst du schon seit acht Tagen.«

      »Du hättest mir ja nicht zu folgen brauchen, da ich keinen Grund hatte als den, dich hier zu haben. Jetzt aber habe ich einen Grund. Und darum darfst du nicht reisen, versprich mir das!«

      »Agnes, das geht nicht!«

      »Du willst mir das Stück also nicht lesen?«

      »Gewiß will ich. Wenn du mich gestern darum gebeten hättest, so . . .«

      »Gestern wußte ich noch nichts von einem Stück.«

      »Ich habe dir davon erzählt.«

      »Aber nicht, daß andere es kennen. Also, Carli —« sie änderte den Ton ihrer Stimme, wurde weich, fuhr ihm mit beiden Händen durchs Haar, brachte ihr Gesicht nahe an seins und sagte: »Du bleibst?«

      Carl überlegte.

      »Du hast das Stück doch hier?« fragte sie.

      »Nein!« sagte er beinahe froh, denn er hatte gar nicht daran gedacht, daß er das Manuskript nicht bei sich hatte.

      Agnes schien verstimmt. Aber nur einen Augenblick lang, dann wandte sie sich zu dem alten Brand und sagte:

      »Onkel Brand, Sie müssen es ja haben – und Sie auch, Direktor!«

      Beide schüttelten den Kopf.

      »Ihr lügt!« rief sie wütend. »Ich lasse mich nicht dumm machen! Also einer von beiden gibt’s auf einen Tag heraus. Wir fahren ja bei Ihnen vorbei, Direktor, oder haben Sie’s im Theater?«

      »Wie kann ich das bei der Menge von Manuskripten wissen!« sagte der Direktor.

      »Wieder gelogen!« rief Agnes. »Gut, suchen wir’s erst bei Ihnen. Ist’s da nicht, so liegt’s im Theater. Wann sind Sie da morgen früh?«

      Der Direktor lächelte über Agnes’ Beharrlichkeit.

      »Ich seh schon,« sagte er, »mir bleibt nichts übrig als die Waffen zu strecken.«

      »Also?« fragte Agnes und ließ kein Auge von ihm.

      »Wenn Sie bei mir vorüberfahren, schick’ ich’s Ihnen an den Wagen – vorausgesetzt, daß Doktor Holten . . . .«

      Agnes wandte sich an Carl:

      »Sag’ ja!«

      Und jeder fühlte, daß er nicht nein sagen konnte.

      Holten nickte denn auch mit dem Kopfe, worauf ihm Agnes um den Hals fiel, einen Kuß auf den Mund drückte und »Danke« sagte.

      Nur der alte Brand wagte einen Einwurf und sagte:

      »Fänden Sie es in Carls Interesse nicht richtiger, Agnes, wenn er nun endlich wieder an die Arbeit ginge?«

      »Ich bitt’ Sie, ob das neue Werk in zwei Jahren oder in zwei Jahren und einem Tage fertig ist, das ist doch wahrhaftig gleichgültig.«

      »Es ist nicht der Tag, es ist das System,« sagte Brand, schon mehr vor sich hin.

      Unter System verstand Agnes vielleicht fälschlich in erster Linie Carls Frau, die ja vermutlich auch in irgendeiner Form in das System, von dem Brand sprach, mit hineinspielte.

      Sie kämpfte schwer und wohl zum ersten Male, um eine Antwort, die sich aus dem Blute ihr aufdrängte, zu unterdrücken. Sie biß die Lippen zusammen, krampfte die Hände und würgte die Antwort herunter. Aber in ihrem Gesicht stand das Wort: Kampf.

      Und Brand las es und erriet, wem es galt. Er suchte ihren Blick und sah sie an. Sie erschrak und fühlte, daß sie in ihm einen Gegner hatte.

      Estella, die sich immer wieder von ihrem Ziele abgedrängt sah, brachte das Gespräch zum dritten Male, was nun schon nicht mehr unabsichtlich schien, auf Carls Drama.

      »Das nächste Stück hat ja wohl eine weibliche Rolle, die der Helenas entspricht,« fragte sie.

      »Das möchte ich nicht sagen!« erwiderte Carl, und entwickelte in ein paar Zügen den Charakter der weiblichen Hauptrolle.

      »Das ist mir ja wie auf den Leib geschrieben!« rief Estella, »nein, wie ich mich darauf freue, das zu spielen.«

      Der Direktor verzog den Mund und machte ein dummes Gesicht. Carl sah sie an und sagte:

      »Nun, wir wollten, offen gesagt, die Wedelly von der Burg für die Rolle gewinnen.«

      Estella zwang sich zum Lachen.

      »Nicht nett von Ihnen, Herr Doktor, mich zu frotzeln; auch als Scherz kränkt’s mich. – Sehen Sie,« und sie wies auf ihre Finger, die nervös zitterten, »das ist unser Künstlerblut.«

      »Das tut mir aber leid,« sagte Carl teilnahmsvoll und wandte sich an Brand und den Direktor. »Vielleicht, daß wir’s noch ändern.«

      »Wie?« rief Estella grell und ließ geschickt Messer und Gabel fallen, so daß zwei Teller laut in Scherben sprangen – »Nein! das ist ja nicht möglich! Das kann nur ein Scherz oder ein Bluff sein! Das hieße ja, mich der Lächerlichkeit preisgeben! Das wäre ja eine Provokation! eine bewußte Erniedrigung! ein wohlbedachtes mich Totmachen! Wo jeder weiß, daß ich da bin, daß ich die Helena spiele, und wie spiele —« und sie zitierte aus dem Gedächtnis Wort für Wort ein halbes Dutzend von Kritiken, in denen man ihre Leistung maßlos lobte.

      »Wie können Sie nur so reden,« sagte der Direktor, »wo Sie genau wissen, wie ich Sie schätze.«

      »Das seh ich!« sagte Estella.

      »Ich versteh janich, wie man sich um das bißchen Theater so aufregen kann,« sagte Peter. »Sei doch froh, wenn du nicht soviel zu lernen brauchst.«

      »Das verstehst du nicht!« rief Estella.

      »Das geb ich zu,« sagte Peter.

      »Aber Sie wissen es,« wandte sie sich an den Direktor, »daß da meine künstlerische Ehre engagiert ist.«

      »So hören Sie mich doch nur einmal ruhig an, ich will es Ihnen ja erklären.«

      »Da gibt es keine Erklärung!« rief Estella.

      »Also zunächst mal: niemand will Sie kränken. Wir alle schätzen Sie als weitaus bestes Mitglied des ganzen Ensembles. Aber Sie wissen, ich habe außer dem Neuen Theater noch das Stadttheater gepachtet.«

      »Muten Sie mir etwa zu, da aufzutreten?« fragte Estella verächtlich – »in dem Arme-Leute-Viertel?«

      »Uns, und ich hoffe auch Ihnen, liegt daran, daß die Werke Holtens, über deren Bedeutung wir uns ja alle klar sind, ins Volk, in die Massen dringen.«

      »Und ausgerechnet ich soll das vermitteln; soll vor einem Publikum spielen, das eine Tingeltangeleuse nicht von einer Heroine unterscheiden kann?«

      »Also während man das neue Drama Holtens im Neuen Theater spielt, wollen wir – und zwar in der gleichen Besetzung – die Helena im Stadttheater spielen.«

      »So! – Und wenn es Ihnen eines Tages einfällt, Herrn Holten noch tiefer in die Massen dringen zu lassen, dann muß ich womöglich drei Wochen lang auf einem Budenrummel


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