Lache Bajazzo. Artur Landsberger

Lache Bajazzo - Artur Landsberger


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sein Bein, zitterte, spreizte die Hand und sagte langsam und bestimmt: »Abwechselnd sie und ich. Sag, daß du es willst!«

      Carl sann noch einen Augenblick nach; dann sagte er:

      »Ja! ich will’s!«

      »Danke!« rief Agnes wie erlöst und sank auf ihren Stuhl zurück.

      Der alte Brand klopfte nervös mit den Fingern auf den Tisch und brummte vor sich hin:

      »Schmachvoll ist das!«

      »Nehmen Sie’s bitte nicht übel,« sagte Estella und stand auf, »aber ich fühle mich nicht wohl. Baron Peter ist so freundlich, an meiner Stelle – also bitte, bleiben Sie! Ich hoffe, daß ich in einer halben Stunde wieder . . .« und sie wankte am Arme des Geheimrats aus dem Zimmer.

      Als sie draußen war, sagte der Direktor:

      »Ich glaube, wir gehen.«

      »I wat!« widersprach Peter. »Das kenn’ ich – das geht vorüber. Es wird noch sehr jemütlich heute abend; passen Sie auf! Nur diese verfluchte Fachsimpelei muß aufhören.

      Also wollen wir uns versprechen: kein Wort vom Theater mehr.«

      Sie versprachen’s sich und blieben. Nur der alte Brand ging. Als sie im Salon saßen, erzählte Peter von afrikanischen Jagden, der Geheimrat brachte Börsenwitze, Carl sprach von der Mystik des Gebirgslebens, der Direktor klatschte aus Künstlerehen, Werner entwickelte neue Ideen vom ewigen Frieden und Agnes schoß den Vogel ab, indem sie mit feiner Witterung für das, was dem einzelnen das Gepräge gab, Typen aus der Berliner Gesellschaft kopierte.

      Schließlich war es Agnes, die mehr aus Neugier hinausging und nach Estella sah.

      Estella saß vor ihrem Toilettenspiegel und puderte sich.

      »Du! liebste Agnes?« rief sie freudig, als wenn nichts vorgefallen wäre.

      Agnes stutzte erst, dann fand sie das gar nicht so dumm und sagte:

      »Na also! denn komm, wir amüsieren uns himmlisch bei dir!«

      Estella nahm Agnes unter den Arm und ging mit ihr nach vorn. Peter stand auf, und die beiden Frauen setzten sich auf das Sofa; Estella legte ihren Arm um Agnes’ Taille, und der Geheimrat erzählte seinen Witz zu Ende.

      »Nu haben wir aber genug davon,« sagte Agnes.

      Der Direktor setzte sich an den Flügel und spielte Rienzi.

      »Walzer!« rief Agnes, sprang auf und zog Carl, der seit seiner Hochzeit nicht mehr getanzt hatte, in den Saal.

      Peter nahm den Teppich auf. Werner reichte Estella den Arm, der Geheimrat setzte sich neben den Flügel, beugte sich nach vorn und beobachtete Agnes.

      Als sie sich lange nach Mitternacht verabschiedeten, küßten sie der Reihe nach Estella die Hand und dankten ihr für den genußreichen Abend.

      »Und für die Krebse!« ergänzte Agnes.

      Estella lächelte, hatte für jeden ein freundliches Wort, küßte Agnes auf die Stirn und beteuerte mehrmals, daß sie es sei, die zu danken habe.

      Dann ging sie zu Bett. Die Zofe löschte das Licht und ging den Korridor entlang in ihr Zimmer. Estella zog sich die seidene Decke bis an den Hals hinauf, streckte sich, holte tief Atem und sagte:

      »Bagage!«

      Danach fühlte sie sich leichter. Aber sie wälzte sich noch lange umher, ehe sie Schlaf fand. —

      Carl war nie glücklicher als nach diesem Abend. —

      Als der Geheimrat gegen ein Uhr nach Hause kam, drehte sich seine Gattin auf die andere Seite und fragte:

      »Nu, Leo, wie war’s?«

      Das gerötete Gesicht des Geheimrats strahlte:

      »Das war einer der anregendsten Abende in den letzten Jahren.«

      Die Tat bewies es.

      Sechstes Kapitel

      Cläre Holten an den alten Brand.

Mein lieber Freund!

      – schrieb Cläre Holten an den alten Brand – Sie haben recht mit allem, was Sie schreiben, und ich würde handeln, wie Sie es von mir erwarten, wenn ich ein Mann wäre. Ich kenne die Pflichten, die ich gegen Carl, als Menschen und Dichter habe, und bringe auch die Kraft auf, meine Gefühle als Weib, das ich trotz meinen vierzig Jahren doch nun mal bin, auszuschalten und alles vernunftmäßig zu behandeln. Aber was nutzt es, wenn ich es tue? Jeden Einwand, den ich mache, jedes Bedenken, das ich äußere, wird er ja doch in erster Linie als den natürlichen Versuch des Weibes deuten, das den Mann entgleiten sieht. Alles wird er unter diesem Gesichtswinkel betrachten, von dem aus jedes meiner Argumente seine Beweiskraft verliert.

      Ich glaube mit Ihnen, daß er sich noch immer in aufsteigender Linie bewegt und daß erst die nächsten Jahre seine Höhe bringen werden. Ich glaube auch, wie Sie, daß er begnadet ist wie zurzeit kein anderer deutscher Dichter, und daß sein Werk nicht ihm, sondern der Welt gehört. Ich weiß auch, daß er, um zu schaffen, seine Berge und einen gleichgesinnten Menschen braucht; weiß das alles ja weit besser noch als Sie es wissen können, bester Freund, die ich in der Zeit seines Schaffens jedes Werden eines Gedankens, jeden Ausbruch eines Gefühls schweigend miterlebe – dafür sorge, daß ihn in seiner Welt nichts stört, was oft weit schwerer ist, als Sie es sich denken können.

      Alle diese meine Pflichten kannte und kenne ich, und es tut nicht not, daß Sie mich an sie erinnerten.

      Ich aber habe allen Erwägungen des Freundes und Verlegers, die gewiß den besten Absichten entspringen und der Ausdruck besorgtester Freundschaft, in letzter Linie aber doch die Sorge um sein Werk sind, als Frau und Kameradin noch etwas anderes entgegenzusetzen, und das ist: die Sorge um sein Glück.

      Mir hat in den zwanzig Jahren unserer ehelichen Kameradschaft sein Glück stets mehr gegolten als sein Ruhm. Steinigen Sie mich! aber ich will ihn lieber ruhmlos glücklich sehen, als daß die ganze Welt ihm Kränze flicht, während ihn eine unerfüllte Sehnsucht quält. Abgesehen davon, daß ich es dann wäre, die der Erfüllung sein Wünsche im Wege steht, würde damit die Frage, die für Sie als Freund und Verleger von so großer Bedeutung ist, ja doch eine negative Lösung erfahren. Denn wenn Sie glauben, daß er, innerlich zerrissen, auch nur ein Werk gleichwertig den früheren zu Ende bringt, dann kennen Sie ihn und seine Art nicht.

      Gelänge es aber wirklich, seiner Leidenschaft, die sich vertieft hat und kein Rausch mehr ist, mit Mitteln, die ich nicht kenne, wirksam zu begegnen und das seelische Gleichgewicht wieder in ihm herzustellen, glauben Sie mir: es wäre nur ein gewaltsames Halten und Zurückdrängen; das Gefühl wäre nicht tot, es würde in seinem Unterbewußtsein weiterleben, um eines Tage mit doppelter Kraft wieder hervorzubrechen. Für das Gefühl gilt noch immer: was ist, ist, und kann nur durch sich selbst enden. Einwirkungen von außen, Bemühungen Dritter schaden mehr als sie nützen. Besonders bei einer Natur wie der Carls, der jeder Zweck fremd ist und die ganz nur auf das Gefühl gestellt ist.

      Die Zumutung, ihn für seine Gefühle auch nur einen Augenblick lang verantwortlich zu machen, lehne ich als denkdumm ab. Auf seine Gefühle einzuwirken, dagegen sträubt sich außer den tatsächlichen Gründen, die ich Ihnen verständlich gemacht zu haben glaube, auch meine weibliche Ehre.

      Die Frage, die allein ich mir vorlege, lautet: ist es sein Glück? Und warum soll es das nicht sein, nach allem, was ich von dieser Agnes weiß und höre? – Meine Aufgabe kann demnach nur darin bestehen, mich davon zu überzeugen. Das, freilich, muß geschehen. Denn aus ihren Briefen gewinnt man kein Bild. Wie Sie wissen, spricht Carl mit mir über alles und gibt mir auch ihre Briefe zu lesen. Er meint es gut und kann bei seiner Mitteilsamkeit und Ehrlichkeit wohl auch nicht anders. Aber leichter macht er es mir dadurch nicht. Jedenfalls sind diese Briefe dem Geiste nach einander so unähnlich, als wenn nicht ein und derselbe Mensch sie geschrieben hätte. Ich lege die letzten bei, bitte lesen Sie sie! —

      In dem Augenblicke aber, in dem ich mich davon überzeuge, daß diese Frau sein Glück ist, ist es meine Pflicht, Platz zu machen. Nicht etwa in Form eines Opfers, indem ich mit großer Gebärde Verzicht leiste und ihm Schmerz bereite, sondern indem


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