Abendstunden. Hendrik Conscience
den Arm,
schlaget zu,
Ricketicketu.
Der Colonel stand so rührlos, wie da, wo das Lied begonnen; er schien auf eine zweite Strophe zu horchen, und diese folgte bald:
Ricketicketack,
Ricketicketu,
Stahl in Gluth,
Herz voll Muth,
schlaget zu
Ricketicketu.
Rasch eilte der Colonel auf den Lieutenant zu, griff ihn beim Arme und riß ihn schnell mit sich fort, indem er sprach:
»Komm, komm, Freund! Alle Nerven beben mir . . . es ist mir, als müßt ich sterben, so durchschauert hat’s mich; Barbara hat gesungen, ’s war ihre Stimme, ’s war ihr Lied! O Gott, was hast du mit mir vor!«
Nun hielt der Colonel seinen Gefährten an und zeigte ihm, ohne ein Wort zu sprechen, ein Mädchen, welches am Fuße einiger Wachholdersträuche im Grase saß. Sie schien nicht zu ahnen, daß man sie bespähte, denn ihr weit geöffnetes Auge haftete starr auf der Buche, und die gebogenen Finger ihrer rechten Hand hingen an dem halbgeöffneten Munde, wie wenn sie auch das leiseste Gesumme der Haide hätte schweigen machen wollen, um einem Tone zu lauschen, der von nahe oder ferne sich zu ihr stahl.
Der Colonel that einen Schritt vorwärts; da erst bemerkte sie mit schrecken, daß ihr fremde Personen sie scharfen Blickes beobachteten. Doch verschwand ihre Furcht bald und ein unbeschreiblich inniges Lächeln senkte sich auf ihre Züge.
Von seiner Ungeduld übermannt, trat der Colonel schnell ihr nahe, kniete neben ihr nieder, nahm eine ihrer Hände in die seinen und frug bebend:
»Kind, sage mir, wie heißest du?«
»Lena,« war die Antwort.
Ein Schmerzensschrei entflog der Brust des unglücklichen Kriegsmannes und er rief, wie verzweifelnd:
»Lena? O Himmel, sie ist es nicht.«
Und helle Thränen entstürzten seinen Augen und er bedeckte sein Gesicht beiden Händen. Der Lieutenant wollte ihn von dem Boden aufheben, doch der Colonel stieß ihn sanft von sich und winkte abweisend mit der Hand.
Lena beschaute abwechselnd die beiden Männer, da bemerkte sie, daß der Knieende bitter weinte und, seine Hand fassend, sprach sie voll tiefsten Mitleidens:
»Warum seid ihr denn betrübt, Herr? Ich habe doch nichts gesagt, was euch wehe thun könnte, oder hat das Liedchen, was ich vorhin sang, euch etwa geschmerzt? Dann will ich es gewiß nicht mehr singen.«
Der Colonel war tief ergriffen bei den Worten. Schnell rieb er die Thränen aus den Augen, rückte ihr näher noch, wie zuvor, und frug ängstlich und rasch:
»Sage mir doch Kind, wer hat dich das Lied gelehrt?«
»Ich weiß es nicht,« war die leise Antwort. »Ich kann es schon lange, sehr lange, doch seit wann, weiß ich nicht.«
»Erinnerst du dich nicht, mein Kind, daß du, als du noch sehr jung warst, stets ein Geräusch hörtest, wie von Schmiedehämmern?«
Lena antwortete nicht, doch ihr Auge öffnete sich weiter, und ihre Hand rieb sinnend die schöne Stirn, als hätte sie irgend eine Erinnerung herausreiben wollen.
»Horch,« sprach der Colonel noch schneller, noch ängstlicher, »horch einmal, ob du das nicht oft gehört.«
Und er schlug mit dem Stiel der Reitpeitsche in die Hand, den Dreischlag der Schmiedehämmer nachahmend, und sang dazu:
Ricketicketack,
Stahl in Gluth,
Herz voll Muth,
schlaget zu
Ricketicketu.
Immer mehr bebte das Mädchen, je weiter das Lied fortschritt, dann rief sie, wie in freudigem Entzücken:
»Ja, ja, Ricketicketack!«
Und sie schlug in gleichem Takte, wie der Colonel, in die Hände.
»Erinnerst du dich nicht auch, Kind, daß ein Mann dich auf seinem Knie schaukelte und dich nach dem Takte darauf reiten ließ?«
Lena legte den Zeigefinger an die Lippen und schloß die Augen. Nach einem Augenblicke Schweigens sprach sie leise und wie zweifelnd:
»Der Mann . . . der Mann war . . . mein Vater.«
Der Colonel bebte an allen Gliedern; schon wollte er die Arme weit ausbreiten, um Lena in ihnen zu empfangen, doch hielt er sich zurück und frug noch:
»Sag dann mir auch Kind, heißest du wohl Lena? Bedenk dich wohl. Weißt du nicht, wie der Mann dich nannte, der dich auf seinem Knie reiten ließ?«
Lena schaute zu Boden und dachte lange nach, dann antwortete sie langsam:
»Er nannte mich liebe . . . liebe . . . liebe Monika.«
»Mein Kind! Mein Kind!« rief der Colonel, daß es weit über die Ebene scholl, – Monika lag an seiner Brust.
Sie hob ihr schwarzes Auge zu ihm auf, sie lächelte so süß; dann sank sie von Gefühlen überwältigt, kraftlos in seinen Arm.
So gingen sie, oft anhaltend, des Weges fort, bis sie in der Ferne den Hof zur Rechten sahen und nicht weiter konnten, ohne sich von ihm zu verweitern. Gewiß war es des Colonels Wille, nicht einen Fuß in das Haus zu setzen, in welchem Lena so viel Pein und Schmach gelitten hatte; vor allem scheute er den Anblick der rohen Pachterin, welche den Namen des ihr anvertrauten Kindes geändert hatte, um in Besitz des eisernen Kistchens und des darin verborgenen Schatzes zu kommen. Er zog auch mit einer Art von Ungeduld an Monika’s Hand, und trachtete durch Gespräche und Schmeichelworte ihre Aufmerksamkeit zu fesseln und von dem Pachthofe abzuwenden. Dieß läßt uns mit noch mehr Recht vermuthen, daß Monika ihm schon Alles erzählt hatte, und daß sie nur mit schwerem Herzen von dem jungen Bauern würde scheiden können, der sich ihrer, wie einer Schwester angenommen und sie so getreulich immer beschützt und beschirmt hatte. Wie viel Gutes Monika ihrem Vater auch von Jan gesagt hatte, so fühlte er doch stets noch einen geheimen Widerwillen gegen den Sohn der Quälerin seines Kindes, und am liebsten hätte er kurz und gut jede Verbindung mit der bösen Familie durch schnelle Abreise abgebrochen.
Trotz der Sorgfalt ihres Vaters aber riß sich Monika plötzlich aus seinen Armen, wandte das Gesicht dem Hofe zu und blieb sprachlos also stehen.
Der Colonel überließ sie einen Augenblick ihrer Rührung, die ihm ein Lebewohl an all ihre frühern Erinnerungen schien; bald aber sah er glänzende Thränen aus ihren Augen brechen und sprach:
»Kannst du, liebe Monika, dich über deine Entfernung aus einem Hause betrüben, wo dir so viel Böses gethan wurde?«
»Wird er nicht sterben?« seufzte sie.
»Denke nicht daran, Kind. Deine Entfernung wird ihn wohl in etwa betrüben, doch er wird sich schon bald trösten und dich vergessen.«
Eine eigne Gluth brannte aus Monika’s Auge.
»Mich vergessen?« rief sie. »Er, seine Schwester vergessen? Nie, nie. Ach, säh ich ihn doch nur einmal! . . . Ach da ist er! Jan! Jan!«
Und, einer verfolgten Hindin gleich, flog sie über die Haide hin bis zu dem jungen Bauern, den sie in der Ferne zwischen den Erlen vorübergehen gesehn hatte. Mit offenen Armen stürzte sie auf ihn zu, doch nicht fröhlich; eher lag ein tiefer Schmerz in ihrer Stimme, als sie sprach:
»Jan, ich gehe weg, weit, weit von hier.«
Der Jüngling betrachtete sie erstaunt und schien sie nicht zu verstehen. Sie aber wies die Haide hinauf und sagte:
»Sieh, da hinten kommt mein Vater. Das war die Stimme, welche stets in mir sprach.«
Der junge Bauer bebte erschrocken zusammen und seine Kniee schlotterten, als sein Auge auf den Colonel traf; sein Unglück schien in ganzer Größe vor ihm aufzutauchen. Von dem Vater ab wandte er das trübe Auge dann zu Monika, griff