Im Garten der Liebe. Barbara Cartland
erwiderte der Herzog den Gruß seines Getreuen. »Alles in Ordnung?«
»Es ist uns eine große Freude, Euer Gnaden so bald schon wiederzusehen«, entgegnete der Butler mit einer tiefen Verbeugung. »Der Champagner steht im Arbeitszimmer bereit, und in fünfzehn Minuten kann der Lunch serviert werden.«
»Wunderbar«, sagte der Herzog erfreut. »Mr. Oliver und ich sind ziemlich hungrig, denn wir sind ohne Rast von London durchgefahren.«
»Du hast recht, Onkel Wade. Ich habe heute morgen nicht gefrühstückt und sterbe vor Hunger«, ließ Oliver vernehmen.
»Dein Frühstück hätte nach der durchzechten Nacht zweifellos aus einem Brandy und Sodawasser bestanden, also ist es besser so«, bemerkte der Herzog.
»Du hast gut reden«, erwiderte Oliver. »Jedermann weiß, daß du wenig trinkst, aber es ist schwer, nein zu sagen, wenn sich ringsum alle den Kanal vollaufen lassen!«
Der Herzog lachte. Er erinnerte sich sehr wohl an die Zeit, als er sich kopfüber ins Vergnügen des Londoner Gesellschaftslebens gestürzt hatte.
Irgendwann hatte er jedoch erkannt, daß das seinem sportlichen Ehrgeiz nicht zuträglich war. Seine Pferde waren ihm immer über alles gegangen.
Er galt aber auch als hervorragender Faustkämpfer und, obwohl das aus der Mode gekommen war, als geübter Schwertfechter, der sich schon mit mehreren europäischen Meistern im Kampf gemessen hatte.
Oliver hätte gut daran getan, sich ebenfalls irgendeiner Sportart zu widmen, die den Körper stählte, fand der Herzog, aber zwingen konnte man ihn dazu natürlich nicht. Deshalb behielt er auch seine Gedanken für sich, als Oliver bis zum Lunch drei Gläser Champagner hinuntergestürzt hatte, während der Herzog noch beim ersten Glas war.
Später unternahmen sie einen Rundgang durch die Stallungen, doch Oliver konnte das Gähnen kaum unterdrücken. Der Herzog schlug ihm vor, sich ein paar Stunden aufs Ohr zu legen, um dann für den Ausritt in den kühlen Abendstunden fit zu sein, und Oliver war sofort einverstanden.
Der Herzog ließ einen der neuerworbenen Hengste für sich satteln und begab sich allein auf einen kurzen Ritt durch die Gegend. Das Pferd war frisch und ungebärdig und ließ nichts unversucht, dem neuen Herrn seinen Willen aufzuzwingen. Es war die übliche Kraftprobe zwischen Mensch und Tier, die den Herzog immer wieder aufs Neue reizte. Nach nur einer Stunde hatte er den Hengst völlig unter Kontrolle.
In der Ferne tauchte der Kirchturm des Dorfes auf, und er erinnerte sich an das Gespräch mit Mr. Watson. Spontan beschloß er, diese Miss Linton persönlich aufzusuchen und sich selbst eine Meinung darüber zu bilden, ob sie nun eine »weiße Hexe« war oder nicht.
Er hatte den Verdacht, daß es sich um eine ziemlich verdrehte Person handelte. Wahrscheinlich gaukelte sie ihren wundergläubigen Mitmenschen etwas vor. Von ihrem verstorbenen Vater wußte er nur, daß der Pfarrer ein kluger Mann gewesen war.
Während er sich nun der Kirche näherte, überlegte er, daß Miß Linton vermutlich ziemlich betagt war, keinen Mann abbekommen hatte und sich nun mit Kräuterheilkunde, Gesundbeterei und anderem Hokuspokus befaßte. Auf so etwas konnte Klein-Mortlyn jedoch gut verzichten. Das Dorf verfügte über ein Spital und Armenhäuser sowie eine Schule.
Da das Dorf immer sozusagen im Schatten des Palastes sein Dasein gefristet hatte, war ihm nach Ansicht des Herzogs ein gewisser altväterlicher Charme erhalten geblieben, der es von allen anderen zum herzoglichen Besitz gehörenden Siedlungen unterschied.
In diesem Zusammenhang faßte er den Entschluß, die Pfarrstelle in Mortlyn mit einem würdigen Nachfolger für den verstorbenen Vikar zu besetzen.
Vorschläge würden ihm zwar vom Bischof unterbreitet werden, doch die Entscheidung, wen er einstellte, behielt er sich vor.
Nicht ohne ein schlechtes Gewissen Mr. Watson gegenüber, der es übernommen hatte, in den übrigen Pfarrgemeinden den Geistlichen einzustellen, der seiner Meinung nach am geeignetsten war. Da er über eine ausgezeichnete Menschenkenntnis verfügte, hatte er bisher stets die richtige Wahl getroffen.
In Klein-Mortlyn wollte der Herzog jedoch selbst entscheiden, wer die Nachfolge des verstorbenen Vikars antreten sollte.
Die Kirche war normannischen Ursprungs und befand sich am Rande eines Parks. Sie war von uralten, verwitterten Grabsteinen umgeben, die aus den Gräbern aufragten, und der Herzog stellte voller Genugtuung fest, daß die meisten Gräber mit Blumen geschmückt waren.
Seit er denken konnte, hatte er das Dorf immer als einen Teil des Palastes und seiner Gärten angesehen, wie es vor ihm auch sein Vater getan hatte.
Er erinnerte sich, daß es in seiner Kindheit einmal ein schreckliches Donnerwetter gegeben hatte, weil das Gras auf dem Kirchhof zu hoch gewesen war. Sein Vater hatte beim Kirchgang jedes Unkraut am Wegesrand bemerkt und dem Friedhofsgärtner eine entsprechende Rüge erteilt.
Das Pfarrhaus schloß sich an den Kirchhof an und war ein anheimelndes altes Gebäude, das über eine schmale Auffahrt zu erreichen war.
Die Büsche davor standen in voller Blüte, und der Herzog betrachtete wohlgefällig die gepflegten Blumenbeete vor dem Pfarrhaus.
Niemand ließ sich blicken, um sein Pferd zu übernehmen, aber er entdeckte neben der Haustür einen Haltepfosten und schlang den Zügel um den eisernen Haltering. Danach betrat er die Veranda und stellte fest, daß die Eingangstür offenstand. Daneben befand sich ein Klingelzug, den er kräftig betätigte, doch aus dem Haus drang kein Laut.
Er stellte sich vor, daß nach dem Tode des Vikars eine alte Dienerin oder eine Frau aus dem Dorf dessen Tochter zur Hand ging und möglicherweise bereits nach Hause gegangen war.
Der Herzog betrat die kleine Diele. Alles blitzte vor Sauberkeit, und ein Duft von Bienenwachs und Lavendel erfüllte die Luft. Eine Schale Hyazinthen, die am Fuße der Eichentreppe ein Tischchen zierte, verströmte ebenfalls einen betäubenden Duft. Es sprach zweifellos für Miss Linton, daß das Haus in einem so tadellosen Zustand war.
Der Herzog begab sich zu einer Tür, die zum Wohnzimmer führte. Es war niemand darin, aber die Möbel waren geschmackvoll aufgestellt, und auf allen Tischen standen Vasen mit frischen Blumen.
Die Tür unter der Treppe mußte seiner Schätzung nach in die Küche führen, also begab er sich in die entgegengesetzte Richtung. Er öffnete die nächste Tür, die offensichtlich ins Arbeitszimmer des Vikars führte, denn die Wände waren mit Bücherregalen bedeckt. Am Ende eines kurzen Durchgangs gelangte er zu einem weiteren Raum, und als er die Hand auf die Klinke legte, glaubte er jemanden sprechen zu hören. Ohne anzuklopfen, trat er ein. Das, was sich in diesem Raum seinen Blicken bot, traf ihn völlig unerwartet.
Es gab einen großen Tisch in der Mitte und wenig andere Möbel. Überall standen Käfige und Kisten herum, und an einem kleinen Tisch in Fensternähe stand eine junge Frau. Die Sonne schien durchs Fenster und verlieh ihrem Haar einen goldenen Schimmer. Sie war mit etwas beschäftigt, das dem Herzog ein Vogel zu sein schien.
Dann hörte er sie mit sanfter Stimme sagen: »Nicht bewegen, und keinen Laut!«
Unwillkürlich blieb er wie angewurzelt stehen, obwohl er es nicht gewöhnt war, daß jemand in diesem Ton mit ihm sprach.
Nach einer Minute etwa wandte die Frau sich um, und jetzt konnte er deutlich erkennen, daß sie einen jungen Schwan hielt, dessen Flügel sie offenbar geschient hatte.
Sie trug ihn vorsichtig durch den Raum und setzte ihn behutsam in einen selbstgebastelten Käfig.
»Bald wirst du wieder gesund sein«, sagte sie mit sanfter Stimme, als handle es sich um ein kleines Kind. »In ein paar Tagen darfst du wieder zu deiner Mutter zurück.«
Sie schloß die Käfigtür, die aus einem Drahtgeflecht bestand. Dann wandte sich ihrem Besucher zu, und er las einen Ausdruck des Erstaunens in ihren großen Augen, die das ganze Antlitz zu beherrschen schienen.
Sie war blutjung und bildhübsch, besser gesagt, liebreizend auf eine Weise, wie er es noch nie bei einem jungen Mädchen bemerkt hatte.