Ãœberrascht von Freude. C. S. Lewis

Ãœberrascht von Freude - C. S. Lewis


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war derjenige, der nicht einmal bis zum Ende seiner ersten Woche blieb, und der Rest jenes Tages war für uns Jungen eine Katastrophe.

      Ich selbst war so etwas wie ein Schoßhündchen oder Maskottchen für Oldie – eine Position, um die ich mich, ich schwöre es, nie bemühte und deren Vorzüge ausschließlich negativer Art waren. Auch mein Bruder war keines seiner bevorzugten Opfer. Denn er hatte seine bevorzugten Opfer; Jungen, die ihm nichts recht machen konnten. Ich habe erlebt, wie Oldie nach dem Frühstück das Klassenzimmer betrat, seine Augen umherschweifen ließ und sagte: „Ah, da bist du ja, Rees, du schrecklicher Junge. Wenn ich nicht zu müde bin, werde ich dir heute Nachmittag eine ordentliche Abreibung verpassen.“

      Das sagte er weder im Zorn noch aus Spaß.

      Er war ein großer, bärtiger Mann mit vollen Lippen wie ein assyrischer König auf einem Denkmal, unglaublich stark und schmutzig. Heutzutage hört man allerorts von Sadismus, aber ich zweifle, ob seine Grausamkeit ein erotisches Element enthielt. Halb ahnte ich schon damals, und heute erscheint es mir klar, was all seine Prügelknaben gemeinsam hatten. Es waren die Jungen, die unterhalb eines gewissen sozialen Status standen, Jungen mit vulgären Akzenten. Der arme P. – der liebe, ehrliche, fleißige, freundliche, aufrichtig fromme P. – wurde unausgesetzt verdroschen, und zwar, wie ich heute glaube, wegen eines einzigen Vergehens: Er war der Sohn eines Dentisten.

      Ich habe erlebt, wie Oldie dieses Kind zwang, sich am einen Ende des Klassenzimmers zu bücken und dann bei jedem Schlag einmal durch den Raum und zurück zu sprinten. Doch P. hatte schon zahllose Prügelstrafen hinter sich und war im Leiden geübt und es kam keine Klage von seinen Lippen, bis er gegen Ende der Folter ein Geräusch von sich gab, das nichts mehr mit einem menschlichen Laut zu tun hatte. Jenes eigentümliche Krächzen oder rasselnde Schreien, die grauen Gesichter aller anderen Jungen und die Totenstille, die sich unter ihnen ausbreitete, gehören zu den Erinnerungen, auf die ich bereitwillig verzichten könnte.2

      Das Unerklärliche ist, dass wir trotz all dieser Grausamkeit erstaunlich wenig lernten. Das mag teilweise daran gelegen haben, dass die Grausamkeit völlig irrational und unberechenbar war; teilweise aber sicherlich auch an den eigenartigen Unterrichtsmethoden. Außer in der Geometrie (an der er wirklich Gefallen hatte) könnte man sagen, dass Oldie eigentlich überhaupt nicht lehrte. Er rief seine Schüler auf und stellte ihnen Fragen. Waren die Antworten nicht zufriedenstellend, sagte er mit leiser, ruhiger Stimme: „Bring mir meinen Rohrstock. Ich sehe, dass ich ihn brauchen werde.“

      Wenn dies einen Jungen verwirrte, schlug Oldie mit dem Stock auf sein Pult ein und schrie dabei in einem Crescendo: „Denk nach – denk nach – DENK NACH!“

      Dann, als Vorspiel für die Bestrafung, murmelte er: „Komm raus, komm raus, komm raus.“

      War er wirklich wütend, machte er noch allerlei alberne Späße; er bohrte mit dem Finger nach dem Schmalz in seinen Ohren und jaulte dabei: „Aye, aye, aye, aye, ...“

      Ich habe erlebt, wie er in die Höhe sprang und sich im Kreis drehte wie ein Tanzbär. Inzwischen befragten Wee Wee oder der Hilfslehrer oder (später) Oldies jüngste Tochter uns Jüngere an einem anderen Tisch.

      Nun nahmen „Lektionen“ dieser Art nicht viel Zeit in Anspruch; was aber sollte er während der restlichen Zeit mit den Jungen anfangen? Oldie war zu dem Schluss gekommen, dass es für ihn selbst die geringste Mühe bedeutete, sie Rechenaufgaben lösen zu lassen. Infolgedessen nahm man also, wenn man um neun Uhr das Klassenzimmer betrat, seine Tafel und fing an zu rechnen. Irgendwann wurde man dann plötzlich aufgerufen, um „eine Lektion aufzusagen“. War man damit fertig, kehrte man an seinen Platz zurück und wandte sich wieder seinen Rechenaufgaben zu – und so ging es ewig weiter.

      So erschienen all die anderen Künste und Wissenschaften wie Inseln (und zwar meistens gefährliche und felsige Inseln) im uferlosen Ozean der Arithmetik. Am Ende des Vormittags musste man dann sagen, wie viele Rechenaufgaben man gelöst hatte; und Lügen war hier nicht ganz ungefährlich. Aber man wurde dabei nur nachlässig beaufsichtigt und kaum betreut. Mein Bruder – wie ich bereits sagte, war er schon damals ein Mann von Welt – hatte bald die richtige Lösung gefunden. Er verkündete jeden Vormittag völlig wahrheitsgemäß, er habe fünf Aufgaben gelöst; was er nicht hinzufügte, war, dass es sich jeden Tag um dieselben fünf Aufgaben handelte. Es wäre interessant, zu erfahren, wie viele Tausend Male er sie berechnete.

      Ich muss mich zügeln. Ich könnte mich noch viele Seiten lang über Oldie auslassen; so manches vom Schlimmsten habe ich noch nicht gesagt. Doch vielleicht wäre es bösartig, das zu tun; ganz sicher ist es nicht obligatorisch.

      Etwas Gutes kann ich von ihm berichten. Einmal bekannte ihm ein Junge, von seinem Gewissen getrieben, eine Lüge, die sonst niemals entdeckt worden wäre. Der Unhold war gerührt; er klopfte dem verschreckten Jungen lediglich auf den Rücken und sagte: „Bleib immer bei der Wahrheit.“

      Ebenso kann ich ihm zugutehalten, dass er die Geometrie zwar grausam, aber gut unterrichtete. Er zwang uns zu logischem Denken und jene Geometriestunden sind mir mein ganzes Leben lang von Nutzen gewesen.

      Was das andere angeht, so gibt es eine mögliche Erklärung für sein Verhalten, die es verzeihlicher erscheinen lässt. Jahre später begegnete mein Bruder einem Mann, der im Haus neben Oldies Schule aufgewachsen war. Dieser Mann und seine Familie, wie auch (glaube ich) die Nachbarn allgemein, hielten Oldie für geisteskrank. Vielleicht hatten sie recht. Und wenn diese Krankheit erst kurz vor meiner Zeit ausgebrochen wäre, so würde das einen Umstand erklären, der mir rätselhaft ist. An jener Schule, wie ich sie kannte, lernten die meisten Jungen gar nichts und kein Junge viel. Doch in der Vergangenheit konnte sich Oldie einer beeindruckenden Zahl von Schülern rühmen, die Stipendien errungen hatten. Seine Schule kann also nicht immer der Schwindel gewesen sein, der sie in unserer Zeit war.

      Vielleicht fragen Sie sich, wie unser Vater dazu kam, uns dorthin zu schicken. Gewiss nicht, weil er seine Wahl nicht mit der nötigen Sorgfalt getroffen hätte. Die erhaltene Korrespondenz zeigt, dass er viele andere Schulen in Betracht zog, bevor er sich für Oldies Schule entschied; und ich kenne ihn gut genug, um sicher zu sein, dass er sich in einer solchen Sache niemals von seinem ersten Gedanken hätte leiten lassen (der wahrscheinlich der richtige gewesen wäre), noch auch nur von seinem einundzwanzigsten (der zumindest noch erklärlich gewesen wäre). Zweifellos brachte er seine Überlegungen nicht vor dem hundertundersten zum Abschluss, und der musste unfehlbar und rettungslos falsch sein. Dergleichen passiert in der Regel in den Überlegungen eines schlichten Mannes, der sich für besonders scharfsinnig hält. Wie Earles Scepticke in Religion ist er „immer zu klug für sich selbst“.

      Mein Vater war stolz auf seine Fähigkeit, „zwischen den Zeilen zu lesen“, wie er es nannte. Der offensichtliche Sinn einer Tatsache oder eines Schriftstücks war ihm stets verdächtig; die wahre, innere Bedeutung, unsichtbar für jedermann außer ihm selbst, entstand unbewusst in der rastlosen Fruchtbarkeit seiner Fantasie. Während er meinte, Oldies Prospekt zu interpretieren, dachte er sich in Wirklichkeit selbst eine Schulgeschichte aus. Und all das geschah zweifellos mit äußerster Gewissenhaftigkeit und sogar einiger Qual.

      Man sollte nun vielleicht erwarten, dass diese seine Geschichte sich durch die wahre Geschichte, die wir nach unserer Ankunft in Belsen zu berichten hatten, unverzüglich in Luft auflösen müsste. Aber das geschah nicht. Ich glaube, es geschieht selten. Wenn die Eltern einer jeden Generation immer oder auch nur oft wüssten, was tatsächlich in den Schulen ihrer Söhne vor sich geht, sähe die Geschichte der Schulbildung ganz anders aus.

      Jedenfalls gelang es meinem Bruder und mir nicht, unserem Vater die Wahrheit begreiflich zu machen. Zum einen (und das wird im Folgenden noch deutlicher werden) war er ein Mann, der nicht leicht zu informieren war. Sein Geist war zu aktiv, als dass er ein aufmerksamer Zuhörer hätte sein können. Was er gehört zu haben glaubte, war niemals genau das, was man gesagt hatte.

      Wir gaben uns nicht einmal sehr viel Mühe. Wie alle Kinder hatten wir keine Vergleichsmöglichkeiten; wir nahmen an, das Belsener Elend sei das allgemeine und unvermeidliche Elend aller Schulen. Auch die Eitelkeit band unsere Zungen. Wenn ein Junge aus der Schule nach Hause kommt (besonders in jener ersten Woche, wenn die Ferien noch eine Ewigkeit


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