Dr. Laurin Staffel 3 – Arztroman. Patricia Vandenberg

Dr. Laurin Staffel 3 – Arztroman - Patricia Vandenberg


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hatte seine Amtsmiene aufgesetzt.

      »Mein Bruder ist unschuldig«, sagte sie rasch. »Ich werde Ihnen alles erklären.«

      »Ja, darauf warte ich und hübsch der Reihe nach, beginnend mit jener Nacht in Berlin. Sie waren doch auch dort, wie ich hörte.«

      »Ja, ich war in Berlin. Ich war spät abends angekommen. Mein Verlobter, Herr Lück, wollte mich vom Flugplatz abholen, aber ich wartete vergeblich. Ich fuhr zur Pension Astoria, diese Adresse hatte er mir angegeben.«

      »Haben Sie sich nicht getäuscht? War es nicht das Hotel ›Astor‹?«

      »Nein, es war die Pension Astoria. Deswegen kam mir ja die Erklärung meines Bruders, Dieter hätte ihn ins Hotel ›Astor‹ bestellt, so merkwürdig vor. Jetzt sehe ich das anders.«

      »Aus welchem Grunde?«

      »Deswegen wollte ich ja herkommen, um Ihnen das zu erklären. Meine Mutter hat mich mit entsetzlichen Vorwürfen überhäuft, wegen dieser Koffer und des Geldes, das ich Emilia geschickt habe. Jetzt begreife ich alles, Herr Kommissar.«

      »Das müssen Sie mir schon genauer erklären. Also, fangen wir noch mal in jener Nacht an. Sie fuhren also zur Pension Astoria.«

      »Ja, mit dem Taxi. Dieter war nicht da. Er müsse eben mal weggegangen sein, sagte der Portier.«

      »Wie spät war es da?«

      »Zehn Uhr, vielleicht auch etwas später. Ich war sehr ärgerlich. Ich ging aufs Zimmer, das für mich reserviert war, und legte mich hin.«

      »Haben Sie Herrn Lück in dieser Nacht noch gesehen?«

      »Natürlich. Er kam gegen elf Uhr und sagte mir, daß er mit Horst verabredet wäre, weil er dringend mit ihm über eine Wohnung sprechen wollte. Er wunderte sich, daß er noch immer nicht da sei. Ich fragte ihn natürlich, warum er weggegangen wäre. Er sagte, daß er Ausschau nach Horst gehalten und sich Zigaretten besorgt hätte.«

      »Er hätte Ihren Bruder doch anrufen können.«

      »Nein, das ging nicht. Dieter sagte mir, daß Horst wahrscheinlich doch zu starke Zahnschmerzen gehabt hätte, und am nächsten Morgen erfuhren wir dann von dem Bankraub.«

      »Durch wen?«

      »Durch das Radio.« Sie biß sich nervös auf die Lippen. »Aber wir brauchen uns damit nicht aufzuhalten. Ich weiß heute mehr und werde Ihnen alles sagen.«

      »Ich höre!« Kommissar Thal lehnte sich zurück und betrachtete sie unter halbgeschlossenen Augen.

      Verflixt attraktiv war Horst Geßners Schwester. Ganz anders als er. Eine clevere, selbstbewußte Frau, wenn sie auch jetzt nervös und deprimiert wirkte. Man mußte sie jedenfalls mit äußerster Vorsicht genießen.

      Ihr Gespräch dauerte sehr lange, und es war sehr aufschlußreich. Irene war maßlos überrascht, als er ihr, nachdem das Protokoll aufgenommen war, sagte, daß sie gehen könne.

      »Und Horst?« fragte sie gepreßt.

      »Den behalten wir noch hier«, erklärte er.

      »Aber ich habe doch wohl bewiesen, daß er schuldlos ist.«

      »Sie haben den Versuch gemacht. Es muß sich erst herausstellen, ob alles stimmt.«

      »Warum lassen Sie dann mich frei?«

      »Weil unsere Gesetze es verlangen. Wir haben keine Handhabe, Anklage gegen Sie zu erheben.«

      Aber er hatte ganz andere Gründe, sie freizulassen, und hätte Irene diese gekannt, wäre ihr sehr bange gewesen.

      Der Kommissar beauftragte Inspektor Minden, Irene Geßner zu beschatten. Ihn kannte sie noch nicht. Er war ein gutaussehender Mann, und Hubert Minden hatte genau die richtige Art, mit Frauen umzugehen. Zudem war er immer für einen Flirt zu haben.

      *

      Es war finstere Nacht, als Irene auf die Straße trat. Weit und breit war kein Auto zu sehen.

      Sie hatte den ganzen Tag nichts gegessen, aber zu dieser Zeit traute sie sich nicht, ein Lokal allein zu betreten. Diesbezüglich wirkte die konservative Erziehung in ihrem Elternhaus immer noch etwas nach. Sie lehnte sich an eine Mauer und atmete ganz tief durch. Ein junger Mann stand nun ganz plötzlich vor ihr.

      »Ist Ihnen nicht gut? Kann ich Ihnen behilflich sein?« fragte er höflich.

      »Ich habe Hunger«, flüsterte Irene. »Mir ist ganz schlecht.«

      »Dem ist doch abzuhelfen. Sie stehen direkt vor einem Speiselokal, Gnädigste.« Er lächelte liebenswürdig.

      »Das ist es ja eben«, murmelte Irene, ohne ihn anzusehen. »Aber um diese Zeit…«

      »Ich dachte, Sie hätten vielleicht den Geldbeutel daheimgelassen«, bemerkte der Fremde – Hubert Minden spielte seine Rolle so großartig, wie sein Chef es von ihm erwartete – nachsichtig.

      Es ging alles viel besser, als vorauszusehen war, aber fast tat es ihm ein wenig leid, ihr diese Komödie vorzuspielen, denn er sah mit Kennerblick, daß sie wirklich eine Dame war.

      »Ich muß einfach etwas essen«, sagte Irene, die ihre Selbstsicherheit wiedergewann und den fremden Kavalier in die Klasse der Wohlerzogenen einstufte, nachdem sie ihn kurz, aber eingehend gemustert hatte.

      »Gut, wenn Sie so nett sind und mich begleiten? Ich möchte Sie dafür aber einladen.«

      »Wenn es unbedingt sein muß«, sagte er, da er dann seinem Auftrag gemäß auch einen Blick in

      ihr Portemonnaie werfen konnte. Daß solche Sachen ausgerechnet immer ihm zugeschanzt werden mußten, mißfiel ihm jedoch gründlich.

      »Wenn Sie aber noch ein paar Schritte gehen können, würde ich vorschlagen, daß wir ein sehr nettes anderes Lokal aufsuchen«, sagte er.

      Irene konnte.

      Als sie dann, von ihm gestützt, das wirklich reizende Lokal betrat, ließ sie sich Spezialitäten des Hauses servieren, weil sie nicht mehr fähig war, die Speisekarte anzuschauen, und bald konnte sie ihren Hunger stillen.

      »Warum bestellen Sie sich nichts?« fragte sie, als es ihr wohler wurde.

      »Weil ich schon gegessen habe«, erklärte er. »Außerdem lasse ich mich nicht gern von einer Dame einladen.«

      Er meinte es ehrlich. Es wäre ihm zu fatal gewesen, das zu akzeptieren.

      »Schöne Dame«, sagte sie sarkastisch. »Geht einfach mit einem wildfremden Mann in ein Lokal.«

      »Verzeihung«, sagte er und holte seine Unterlassungssünde nach, um sich mit seinem richtigen Namen vorzustellen. Nein, das konnte der Chef nicht von ihm verlangen, daß er sich selbst verleugnete.

      »Waren Sie auch auf dem Präsidium?« fragte sie gedankenvoll.

      Das Blut schoß ihm in den Kopf, denn er fühlte sich durchschaut.

      »Ich war nämlich dort«, sagte Irene müde. »Ja, schauen Sie mich nicht so verdattert an. Ich komme eben von einem Verhör.«

      Sie wußte selbst nicht, warum sie das sagte. Ihr war alles so völlig gleichgültig. Sie wollte nur mit jemandem sprechen, ganz gleich, was er von ihr dachte.

      »Sie haben meinen Bruder eingesperrt«, fuhr sie tiefsinnig fort. »Es wäre zum Lachen, wenn ich nicht weinen müßte.« Schon füllten sich ihre Augen mit Tränen.

      Hubert Minden legte seine Hand auf ihre. »Regen Sie sich doch nicht so auf«, sagte er bittend.

      »Da soll man sich nicht aufregen«, flüsterte sie mit erstickter Stimme. »Meine Mutter hält mich für eine…« Nun stockte sie doch, und ihr Gesicht verschloß sich. »Ach was, ich kann doch nicht mit einem Fremden reden.«

      Hubert Minden war augenblicklich nicht mehr Polizeiinspektor, sondern ein mitfühlender Mann.

      »Mir


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