Dr. Laurin Staffel 3 – Arztroman. Patricia Vandenberg
»Ich muß zahlen«, sagte sie, aber als sie dann ihre Tasche aufmachte, wurde sie blaß. »Mein Gott, ich habe ja nur Schillinge«, stammelte sie. »Daran habe ich gar nicht gedacht.«
»Dann betrachten Sie sich eben als mein Gast«, lächelte er. Er spürte, wie erschöpft sie war.
Sie ließ sich von ihm führen, und als sie draußen standen, sagte sie: »Ich bin so schrecklich müde.«
»Dann bringe ich Sie nach Hause«, schlug er vor. »Mein Wagen steht ganz in der Nähe.«
»Sie sind furchtbar nett«, flüsterte sie.
Wenn sie das nur zu einem anderen Zeitpunkt auch noch sagen würde, dachte Hubert Minden und wurde sich jäh bewußt, daß ihm dies durchaus nicht gleichgültig war.
Sie hatte ihm ihre Adresse gesagt, aber dann nichts mehr. Sie war eingeschlafen.
Für ihn war es ein leichtes, zu dem Apartmenthaus zu finden, denn er war heute schon einmal hiergewesen. Er ließ den Wagen ausrollen. Sie wachte nicht auf.
»Wir sind am Ziel, Fräulein Geßner«, sagte er.
Sie blinzelte, begriff aber nicht, daß er sie mit ihrem Namen anredete, obgleich sie den gar nicht genannt hatte.
»Geben Sie mir Ihren Schlüssel. Ich bringe Sie hinauf«, sagte er nun.
»Ich muß Ihnen auch noch das Geld zurückgeben«, flüsterte sie.
Hoffentlich liegt keiner auf der Lauer, dachte Hubert Minden, als er sie fast zum Hause trug.
»Ich habe ja so lange nicht geschlafen. Entschuldigen Sie«, lallte Irene schlaftrunken.
Sie standen noch im Lift. Er hatte den Arm um sie gelegt und stützte sie.
»Was müssen Sie von mir denken? Bitte, verzeihen Sie. Ich schäme mich so.«
»Sie brauchen sich nicht zu schämen«, sagte der Privatmann Hubert Minden, der vergessen hatte, daß er einen Auftrag hatte. »Ich weiß, wie das ist, wenn man übermüdet ist.«
»Wissen Sie das wirklich?« fragte sie. »Was haben Sie für einen Beruf?«
Im Unterbewußtsein arbeitete ihr Verstand, ohne daß sie es begriff. »Ich bin Beamter«, erwiderte er.
»Beamter ist ein schöner, ein sicherer Beruf. Mein Vater war Bankdirektor.«
Als er ihre Wohnungstür aufschloß, hob er sie empor und trug sie in das Wohnzimmer, dessen Tür offenstand.
Jetzt kam er sich schäbig vor, als sie sagte: »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.«
Er bettete sie auf die Couch und deckte sie zu.
»Ihr Geld, ich lasse mich doch nicht von Ihnen einladen«, flüsterte sie.
»Schlafen Sie, Irene«, sagte er.
Sie blinzelte. »Woher wissen Sie meinen Namen?«
»Sie haben ihn mir doch gesagt«, entgegnete er geistesgegenwärtig.
»Ich habe soviel gesagt, was müssen Sie nur von mir denken?«
»Ich denke gar nichts. Ich mag Sie«, erwiderte er leise, und seine Lippen streiften ihre Stirn.
Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht, aber sie war schon eingeschlafen. Es war ein Schlaf tiefster Erschöpfung. Sie würde nicht einmal merken, daß er in der Wohnung blieb; und nun erinnerte er sich, daß er seinem Chef Bericht erstatten mußte.
Er wählte die Nummer.
Kommissar Thal meldete sich, und auch seine Stimme war müde.
»Ich bin in ihrer Wohnung«, sagte Hubert Minden.
»Sie sind ein Tausendsassa, Minden. Hat sie was gemerkt?«
»Sie schläft. Sie ist total erschöpft. Außerdem möchte ich sagen, daß sie ein anständiges Mädchen ist, Chef.«
»Bleiben Sie dennoch in ihrer Nähe. Es könnte etwas passieren. Ich habe so ein Gefühl.«
Diese warnenden Worte hätten Hubert Minden munter gehalten, wenn er auch zwei Nächte nicht geschlafen hätte. Aber glücklicherweise war er vollkommen okay. Er saß neben Irene und betrachtete ihr Gesicht, das sich langsam entspannte. Einmal warf sie sich noch herum.
»Du Lump«, flüsterte sie, aber er wußte, daß dies nicht ihm galt.
Liebkosend strich er über ihre Wange. Zart wie Seide war ihre Haut, und Hubert Minden fürchtete schon jetzt, daß er dem Auftrag seines Chefs nicht in der Weise gerecht werden konnte, wie Thal es erwartete.
*
Die Stille hatte auch seine Gedanken zum Schweigen gebracht. Die Nacht kroch auch in dieses
halberleuchtete Zimmer. Ein Geräusch ließ ihn emporfahren.
Sanft löste er Irenes Finger aus seiner Hand. Er konnte sicher sein, daß niemand ungehindert diese Wohnung betreten würde, denn er hatte den Schlüssel von innen ins Schloß gesteckt.
Auf leisen Sohlen schlich er in das Schlafzimmer und wartete. Es läutete. Er hatte sein Ohr an die Tür gepreßt, aber er konnte nicht hören, daß Irene reagierte.
Es läutete wieder, anhaltender. Er vernahm ein leises Scharren. Dann läutete es zum dritten Mal, und nun vernahm er einen schweren Seufzer.
Sein Herz klopfte bis zum Halse, als er ein Knarren, dann einen Fluch vernahm. Aber er verriet ihm, daß Irene erwacht war. Sein Gefühl befahl ihm, in Erscheinung zu treten, aber sein Verstand arbeitete trotz der Müdigkeit. Schließlich war er in erster Linie in beruflicher Eigenschaft hier, erst in zweiter privat.
»Zum Teufel, warum schließt du dich ein?« sagte eine rauhe Männerstimme, die er deutlich hören konnte. »Soll ich das ganze Haus aufwecken?«
»Ich war so müde«, hörte er Irene sagen. »Ich weiß gar nicht mehr, daß ich zugeschlossen habe. Was willst du noch? Wir sind doch fertig miteinander.«
»Sei nicht so albern, Irene. Wir vertreten verschiedene Standpunkte, das ist alles, aber kein Grund, daß wir uns nicht einigen könnten.«
»Ich will mich nicht einigen. Ich durchschaue dich jetzt, Dieter.« Ihre Stimme klang fest.
Hubert Minden konnte sich nicht genug wundern.
Ihr schienen die paar Stunden Schlaf genügt zu haben, um wieder ganz klar zu sein.
»Ich durchschaue dich«, wiederholte sie, nachdem ein unverständliches Murmeln an sein Ohr gedrungen war. »Du hast Horst bewußt hineingeritten, um dich selbst zu schützen. Das Geld, das du mir gegeben hast für Emilia, stammte aus dem Bankraub. Du hast es mir nur gegeben, um Horst noch verdächtiger zu machen, du Menschenfreund.«
»Spiel nicht verrückt, Irene. Jetzt höre mir mal gut zu…«
»Ich höre dir nicht mehr zu. Verschwinde. Horst hat sich gestellt, und ich war heute bei der Polizei. Ich habe alles gesagt, was ich weiß. Ich habe gesagt, daß ich das Geld für Emilia von dir bekommen habe. Sie haben die Nummern von den Banknoten gehabt und sind darauf gekommen, als Emilia ihren Klinikaufenthalt damit bezahlt hat. Natürlich dachten sie, daß das Geld von Horst stammt, aber ich habe ihnen die Wahrheit gesagt. Ich werde nicht dulden, daß mein Bruder noch länger gehetzt wird.«
»Dieser Narr, dieser Versager, der zu nichts fähig ist! Willst du denn auch ein solches Leben führen?«
Hubert Minden stand schon auf dem Sprung, die Tür aufzustoßen, als Dieter Lück Irene anfauchte: »Du blöde Gans, dann werde ich eben meine Koffer nehmen und verschwinden.«
Tödliches Schweigen folgte, dann sagte Irene laut: »Es sind also deine Koffer, die Mutter gefunden und der Polizei übergeben hat.«
»Der Polizei? Ihr wahnsinnigen Weiber!«
Doch da stürzte Hubert Minden in das Wohnzimmer und auf den völlig überraschten Dieter Lück, der zu Boden fiel und