Dr. Laurin Staffel 3 – Arztroman. Patricia Vandenberg
und sah Hanna an. »Ist alles in Ordnung?«
»Alles«, versicherte sie, »tausend Euro hat sie hinterlegt.«
»Ich meine doch nicht das Geld, ich meine ihre Personalien. Ich habe nämlich keine Lust, mal wieder ein Fiasko zu erleben.«
Hoffentlich nicht, dachte Hanna beklommen, denn ganz sicher war sie sich doch nicht, ob alles stimmte, was die Fremde gesagt hatte, aber sie ging nach ihrem Gefühl, und das sagte ihr, daß diese junge Frau wohl Kummer haben mochte, aber ganz bestimmt ehrlich war.
Augenblicklich gab sich Dr. Laurin keinen Überlegungen mehr hin. Er war Arzt, und in Bezug auf das Kinderkriegen machte ihm Emma Grohn keinerlei Schwierigkeiten. Die Entbindung ging schnell und glatt vonstatten. Schon eine knappe Stunde später konnte er ihr einen gesunden, kräftigen Jungen in den Arm legen.
»Na, hat es sich gelohnt?« fragte er freundlich.
Sie lächelte unter Tränen. »Mein süßer, kleiner Sohn«, sagte sie zärtlich, und wenn eine junge Mutter sich so freute, schwiegen bei Dr. Laurin alle unterschwelligen Zweifel.
*
Es war Mitternacht. Dr. Laurin hatte nachmittags keine Sprechstunde. Seine Frau Antonia war mit den Kindern am See im Alpenvorgebirge, weil die Zwillinge Konstantin und Kaja ihren Skikurs nicht unterbrechen sollten, und am Wochenende wollten sie den Geburtstag seines Schwiegervaters, Professor Kayser, am See feiern.
Frau Grohn hatte sich mit der Geburt so beeilt, daß er sein Vorhaben, ein Geburtstagsgeschenk für Joachim zu kaufen, noch in die Tat umsetzen konnte.
Er wußte auch schon, was er ihm kaufen wollte, aber er mußte vorher noch zur Bank fahren.
»Die Banken haben aber schon zu«, stellte Hanna fest, als er das bemerkte. »Aber Sie können doch mal in die Kasse greifen. Chef, wir haben ja genug darin. Wieviel brauchen Sie denn?«
»So vierhundert«, meinte er. »Antonia hat da ein besonders schönes, handgeschnitztes Schachspiel gesehen.«
Hanna gab ihm die Scheine.
»Der Professor wird sich freuen«, meinte sie noch.
»Na, manchmal bin ich mir nicht sicher, ob wir ihm nicht lieber Spielzeug schenken sollten, das seine Enkel dann aufarbeiten können«, lachte Dr. Laurin.
Professor Kayser war ein närrischer Großpapa. Niemand, der ihn von früher kannte, hätte ihm das zugetraut, aber er stellte es tagtäglich unter Beweis. Natürlich war auch er mit seiner Frau Teresa im Ferienhaus, um die Skikünste der Kleinen zu bewundern und auf sie aufzupassen. Er meinte, daß es auf jeden Fall gut sei, wenn die Ärzte gleich immer zur Stelle wären, und wenngleich auch Antonia Laurin Ärztin war, setzte er auf sie nicht so sehr, denn wenn es um ihre Kinder ging, geriet sie doch leicht in Panik.
Daß es bei ihm nicht anders war, hätte man ihm nicht sagen dürfen.
Während Dr. Laurin sich nun mit seinem Sportwagen den Weg durch das dichte Verkehrsgewühl bahnte, dankte er Gott, daß er das nicht jeden Tag mußte. Früher, als er seine Praxis noch in der Stadt gehabt hatte, machte ihm das überhaupt nichts aus, aber mit den Jahren liebte er die Geruhsamkeit.
Das Geschäft, in dem er das Schachspiel besorgen sollte, lag in der Nähe seiner früheren Praxis. Irgendwie bekam er immer seltsame Gefühle, wenn er in diese Gegend kam.
Recht dramatisch hatte ihre Liebe hier begonnen, dort in jenem Haus, in dem Dr. Borchert, der Zahnarzt, noch immer seine Praxis hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich das Antiquitätengeschäft.
Fürsorglich hatte Antonia das Schachspiel bereits reservieren lassen. Es war ein selten schönes Stück. Daran konnte er sich auch begeistern.
Es wurde ihm eingepackt, er zahlte und ging. Er überlegte, ob er noch auf einen Sprung zu Matthias Borchert gehen sollte, ließ es dann aber doch. Ohne Antonia machte ihm überhaupt nichts Spaß. Wenn ihm jemand das vor acht Jahren gesagt hätte, dem hätte er ins Gesicht gelacht.
Ja, so änderten sich die Zeiten!
Dennoch folgten ihm auch jetzt noch lockende Blicke aus Frauenaugen. Er sah wie eh und je blendend aus, ein Mann, von dem die Frauen zwischen siebzehn und siebzig träumten. Nur, jetzt nahm er es nicht mehr zur Kenntnis.
Hoffentlich ist Konstantin nicht zu ungestüm, dachte er. Um Kaja brauchte er sich solche Sorgen nicht zu machen. Darin unterschieden sich die Zwillinge, die sich äußerlich so ähnlich waren. Kaja war ein süßes, sanftes Mädchen, Konstantin ein Treibauf, und Kevin versprach auch einer zu werden.
Herrgott, wie ihm Antonia und die Kinder fehlten! Und die gute treue Karin, die den Strohwitwer versorgte, machte auch schon ein betrübtes Gesicht.
Leon Laurin fuhr lieber noch mal in die Klinik, damit der Abend nicht gar zu lang wurde.
*
Erschöpft war Emma Grohn eingeschlafen. Wirre Träume warfen sie unruhig hin und her.
»Horst!« stöhnte sie laut, und ihre eigene Stimme riß sie aus dem Schlummer. Zitternd und schweißgebadet lag sie in ihrem Bett. Angstvoll blickte sie zu Inge Büren hinüber.
»Habe ich phantasiert?« fragte sie beklommen.
»Horst, haben Sie gerufen. Das ist wohl Ihr Mann?«
»Mein Bruder«, stammelte Emma Grohn.
Inge Büren schwieg. Sie war zwar redselig, aber nicht taktlos. Vielleicht hatte ihre Bettnachbarin gar keinen Mann. Sie dachte da völlig liberal. Ihr war es gleich, ob eine Frau verheiratet oder nicht verheiratet ein Kind bekam. Sie konnte es nur nicht verstehen, wenn Frauen die Kinder nicht haben wollten.
»Haben Sie Hunger?« fragte sie freundlich. »Sie haben vorhin gar nichts gegessen. Es ist ja nicht so wie bei Operierten. Liebe Güte, ich habe einen Appetit gehabt, als alles überstanden war. Na, hoffentlich gehe ich jetzt nicht ganz aus der Form. Aber eigentlich macht es meinem Mann gar nichts aus. Hauptsache, du bist gesund, sagt er immer. Mein Sohn ist ein schöner Brocken. Sie werden ihn ja sehen. Jetzt bringen sie ihn gleich zum Stillen.«
Da ging die Tür schon auf, und Büren junior wurde hereingefahren. Er schrie Zeter und Mordio.
»Kommt mein Baby nicht?« fragte Emma Grohn zaghaft.
An der Brust seiner Mutter hatte sich auch der kleine Büren schnell beruhigt, und Emma Grohn konnte bald auch ihren kleinen Sohn im Arm halten.
Sie betrachtete ihn mit tränenfeuchten Augen. »Mein Liebling«, flüsterte sie. »Wir haben uns doch so auf dich gefreut. Nun müssen wir beten, daß dein Papi bald wiederkommt. Es muß gut werden.«
Das Kind wußte nichts von ihrem Schmerz, den niemand ahnen konnte. Die Fäustchen an die Wangen gedrückt, schlummerte es in ihrem Arm, und sie drückte ihre Nase an das mit seidigem Flaum bedeckte Köpfchen.
»Wie soll er denn heißen?« fragte Schwester Otti, als sie den Kleinen wiederholte.
»Tobias«, erwiderte Emma Grohn leise.
»Das heißt: Gott ist gut«, sagte Schwester Otti, die sich neuerdings mit Namensdeutung befaßte.
»Ja, ich weiß. Man muß daran glauben«, erwiderte Emma Grohn.
»Blümchen, ich meine Frau Bluhme, wird nachher noch mal zu Ihnen kommen, Frau Grohn. Sie braucht noch Angaben über Ihren Mann und bezüglich der Anmeldung. Das hat sie vorhin vergessen. Es ging ja alles ein bißchen Hals über Kopf.«
Aber als Hanna dann kam, schlief Emma Grohn wieder, oder wenigstens tat sie so, und Hanna meinte, daß es mit dem Nachtrag auch noch bis morgen Zeit hätte.
*
Für Leon Laurin wäre es eigentlich eine geruhsame Nacht gewesen, in der nichts ihn störte. Daß er dennoch nicht ruhig schlafen konnte, lag daran, daß er Antonia vermißte, nicht nach ihrer Hand greifen konnte und ihren Atem nicht hörte.
Karin hatte ihn wie immer gut versorgt. Sie hatten gemeinsam vor dem Fernsehapparat