Dr. Laurin Staffel 3 – Arztroman. Patricia Vandenberg
daß sie zu Sandra fuhr, ohne die Kinder mitzunehmen. Den Grund erfuhr er jedoch erst am späten Abend, nachdem sie ihre Trabanten endlich zur Ruhe gebracht hatten.
Antonia mixte für jeden einen Drink und stellte Gebäck auf den Tisch. »Fein, daß wir ein bißchen Zeit haben«, sagte sie. »Ich habe dir viel zu erzählen.«
»Ich dir auch«, entgegnete er.
»Dann fang du an«, sagte sie.
»Du wirst es nicht glauben, aber heute war Amelie Westhaus bei mir«, begann er.
Antonias schöngeschwungene Augenbrauen hoben sich leicht. »Ist das die Möglichkeit«, sagte sie erstaunt. »Aus welchem kühlen Grunde?«
»Sie erwartet ein Baby.«
»Dann tut sie ja ihre Pflicht und Schuldigkeit«, erklärte Antonia ironisch.
»So was höre ich nicht gern«, meinte Leon stirnrunzelnd.
»Ob du es nicht gern hörst oder nicht, ist diesbezüglich egal. Jedenfalls hat er sie darum geheiratet. Ja, darum, Leon. Um seinem Erben eine ebenbürtige Mutter zu geben. Mich bringt so etwas in Harnisch.«
»Woher beziehst du dein Wissen?« fragte Leon.
»Von deiner Schwester. Sandra hat sich informiert. Sie hat die Gellenstein eingeladen.«
»Wer ist das?« fragte er verblüfft.
»Die Freiin von Gellenstein ist die Klatschtante der feinen Welt«, erwiderte Antonia munter. »Sie hört alles, sie weiß alles, sie ist das wandelnde Tageblatt, aber sonst eigentlich nicht übel. Recht ansehnlich dazu. Es war ein unterhaltsamer Nachmittag.«
»Du läßt die Kinder zu Hause, um dir die Geschichten einer Klatschtante anzuhören?« fragte er konsterniert.
»Wir wollten eine ganz bestimmte Geschichte hören«, erklärte Antonia. »Nämlich die von Westhaus und einer gewissen Delia Dillon, die bald Frau Sabat werden soll. Meine Güte, man kann doch auch mal neugierig sein. Mit unserer Omi ist da nichts mehr anzufangen. Sie kümmert sich nur noch um ihre Enkelkinder.«
Ja, früher war immer Teresa diejenige gewesen, die über allen Gesellschaftsklatsch Bescheid wußte.
»Es ist eine interessante Story«, sagte Antonia.
»Dann erzähle mal«, meinte Leon.
»Julian Westhaus war mit Delia vor vier Jahren liiert. Sein Vater war dagegen. Eine Schlagersängerin paßte nicht in die erlauchte Familie der Westhaus.«
Antonia machte es auf die spöttische Art. »Ob nun der alte Baron seinen aus der Art geschlagenen Sprößling zur Räson gebracht hat, oder ob sein Testament Delia zurückscheuchte, weiß niemand. Ich nehme das Letztere an, nachdem ich sie kennengelernt habe und ahne, wozu sie für Geld alles fähig ist. Also, der alte Westhaus machte ein Testament, in dem er seinen Sohn enterbte, falls er Delia Dillon heiraten würde. Er muß das ziemlich drastisch und laut verkündet haben, denn bald darauf nahm die Dillon ein Engagement im Ausland an, und der brave Julian machte seinen Doktor in Philosophie. Dann verkündete er seine Verlobung mit Amelie von Hartenstein, Tochter aus edlem, aber verarmten Geblüt, die als Haustochter bei seiner Tante Donata weilte.«
»Ja, sie hat mir gesagt, daß die Tante ihres Mannes sie nach dem Tode ihrer Eltern zu sich genommen hätte. Sie ist übrigens ein sehr scheues, aber sehr sympathisches Wesen.«
Antonia blinzelte.
»Frau Gellenstein sagte, daß sie völlig unscheinbar sei und nirgends in Erscheinung treten würde.«
»Sie ist sehr zurückhaltend. Ich würde sagen unterjocht«, erklärte Leon aggressiv.
Antonia sah ihn nachdenklich an. »Sie hat deine Ritterlichkeit geweckt, also muß etwas an ihr dran sein«, bemerkte sie.
»Wie genau du mich kennst, Liebling.«
Sie lehnte sich an ihn und blickte träumerisch. »Alle Frauen, die nicht geliebt werden, tun mir leid«, sagte sie leise. »Aber zurück zu Amelie Westhaus. Sie bekommt also ein Baby.«
»Ja, die Hälfte der Zeit ist schon bald vorüber, aber sie war noch nie beim Arzt.
Sie hat mir schüchtern bekannt, daß sie sich schon einmal getäuscht hatte«, sagte Leon sinnend. »Ich nehme an, daß er nicht sonderlich viele Nächte mit ihr geteilt hat. Ich habe was gegen diesen Mann.«
»Du bist für die Frau«, erklärte Antonia. »Ich muß sie kennenlernen.«
»Gefährlich werden kann sie dir nicht, mein Schatz, aber du würdest sie gern haben. Ich hatte direkt Vatergefühle. – Was, zum Teufel, ist jetzt noch zwischen ihm und dieser Delia?«
»Willst du dich etwa einmischen? Die Gellenstein hat gesagt, daß er nur noch wenig in Erscheinung tritt. Geld hat er wie Heu, aber er lebt mit seiner Frau nur auf dem Gut.«
»Augenblicklich nicht. Sie wohnen im Gästehaus Grün. Du kennst doch Frau Grün auch?« fragte er sinnend hinzu.
»Meinst du etwa, ich sollte ihr mal einen Besuch machen?« fragte Antonia konsterniert.
»Sie würde sich bestimmt freuen, wenn sie die Zwillinge mal wieder beäugen könnte«, erwiderte Leon.
»Na, diese Amelie muß wirklich ein besonderes Wesen sein«, stellte Antonia anzüglich fest.
»Ein Geschöpf, das Mitgefühl erregt und das eine sehr anmutige Frau sein könnte, wenn eine kluge Freundin ihr helfen würde.«
»Und diese kluge Freundin soll wohl ich sein?«
»Du würdest ein gutes Werk tun, mein Liebes. Sei ehrlich, neugierig bist du doch auch.«
Das leugnete sie diesmal nicht. Sie war sehr neugierig geworden, was sie aber nicht hinderte, das Glück zu genießen, ihrem Mann noch immer eine begehrenswerte Frau zu sein.
*
Während Dr. Laurin anderntags schon wieder im Operationssaal stand, zog Antonia ihre Kinder zu einem Spaziergang an.
»Schön ist das Wetter gerade nicht«, meinte Konstantin.
»Aber gute Luft ist es. Von allem Staub befreit. Wir machen unsere Trimm-dich-Aktion, Konstantin.«
Damit konnte sie ihm den kleinen Ausflug schmackhaft machen. Kevin dagegen konnte das Vergnügen genießen, heute bei Omi und Opi Hahn im Korb zu sein.
Die Zwillinge sahen süß aus in dem gelben Lackmäntelchen, und Antonia war, wie immer, bildhübsch anzuschauen. Sie war eine ausgesprochen attraktive Frau mit einem gewissen Etwas, das überall Aufsehen erregte. So war es auch nicht verwunderlich, daß jedermann ihnen nachschaute. Bekannt waren sie ohnehin, und wenn sie durch die Straßen gingen, mußte sie es einkalkulieren, daß sie oftmals angesprochen wurde.
»Wo wollen wir denn eigentlich hin?« fragte Konstantin.
»Ein Stück durch den Wald, und dann können wir mal Frau Grün besuchen«, sagte Antonia.
»Frau Grün haben wir schon lange nicht mehr besucht«, meinte Kaja. »Das ist fein, Mami. Vielleicht hat sie wieder junge Kätzchen.«
»Koko hat sie doch auch sicher noch«, meinte Konstantin hoffnungsvoll, denn Frau Grüns sprechender Wellensittich hatte ihnen damals sehr imponiert. Sie hatten mal Gäste aus dem Ausland bei Frau Grün einquartiert gehabt, weil für vier Personen doch kein Platz mehr in ihrem Haus war.
Frau Grün hatte ihr Altersproblem vorzüglich gelöst. Sie hatte das hübsche Haus, das sie mit ihrem Mann bewohnt hatte, der in der Prof.-Kayser-Klinik an einem Leberleiden gestorben war, umbauen lassen zu einer komfortablen Pension, in der sie zehn Gäste aufnehmen konnte. Das Haus
war eigentlich ständig belegt. Frau Grün hatte eine Beschäftigung und immer Kontakt zu Menschen. So sah sie mit ihren fast siebzig Jahren noch jung und rüstig aus.
Als sie auf Konstantins stürmisches Läuten die Tür öffnete, ging ein Strahlen über ihr Gesicht.