Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Max Weber
Max Weber
Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen
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2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1282-8
Einleitung.
Unter »Weltreligionen« werden hier, in ganz wertfreier Art, jene fünf religiösen oder religiös bedingten Systeme der Lebensreglementierung verstanden, welche besonders große Mengen von Bekennern um sich zu scharen gewußt haben: die konfuzianische, hinduistische, buddhistische, christliche, islamitische religiöse Ethik. Ihr tritt als sechste mitzubehandelnde Religion das Judentum hinzu, sowohl weil es für jedes Verständnis der beiden zuletzt genannten Weltreligionen entscheidende geschichtliche Voraussetzungen enthält, als wegen seiner teils wirklichen, teils angeblichen historischen Eigenbedeutung für die Entfaltung der modernen Wirtschaftsethik des Okzidentes, die in neuester Zeit mehrfach erörtert wurde. Andere Religionen werden nur soweit herangezogen, als für den historischen Zusammenhang unentbehrlich ist. Für das Christentum wird zunächst auf die früher erschienenen, in dieser Sammlung vorangestellten, Aufsätze Bezug genommen, deren Kenntnis vorausgesetzt werden muß.
Was unter »Wirtschaftsethik« einer Religion verstanden ist, ergibt hoffentlich die Darstellung selbst in ihrem Verlaufe zunehmend deutlich. Nicht die ethische Theorie theologischer Kompendien, die nur als ein (unter Umständen allerdings wichtiges) Erkenntnismittel dient, sondern die in den psychologischen und pragmatischen Zusammenhängen der Religionen gegründeten praktischen Antriebe zum Handeln sind das, was in Betracht kommt. So skizzenhaft die nachfolgende Darstellung ist, so wird sie doch erkennen lassen, welch ein kompliziertes Gebilde eine konkrete Wirtschaftsethik und wie überaus vielseitig sie bedingt zu sein pflegt. Es wird sich ferner auch hier zeigen, daß äußerlich ähnliche ökonomische Organisationsformen mit einer sehr verschiedenen Wirtschaftsethik vereinbar sind und je nach deren Eigenart dann sehr verschiedene historische Wirkungen zeitigen. Eine Wirtschaftsethik ist keine einfache »Funktion« wirtschaftlicher Organisationsformen, ebensowenig wie sie umgekehrt diese eindeutig aus sich heraus prägt.
Keine Wirtschaftsethik ist jemals nur religiös determiniert gewesen. Sie besitzt selbstverständlich ein im höchsten Maß durch wirtschaftsgeographische und geschichtliche Gegebenheiten bestimmtes Maß von reiner Eigengesetzlichkeit gegenüber allen durch religiöse oder andere (in diesem Sinn:) »innerliche« Momente bedingten Einstellungen des Menschen zur Welt. Aber allerdings: Zu den Determinanten der Wirtschaftsethik gehört als eine – wohlgemerkt: nur eine – auch die religiöse Bestimmtheit der Lebensführung. Diese selbst aber ist natürlich wiederum innerhalb gegebener geographischer, politischer, sozialer, nationaler Grenzen durch ökonomische und politische Momente tief beeinflußt. Es wäre ein Steuern ins Uferlose, wollte man diese Abhängigkeiten in allen ihren Einzelheiten vorführen. In diesen Darlegungen kann es sich daher nur um den Versuch handeln, jeweils die richtunggebenden Elemente der Lebensführung derjenigen sozialen Schichten herauszuschälen, welche die praktische Ethik der betreffenden Religion am stärksten bestimmend beeinflußt und ihr die charakteristischen – d.h. hier: die sie von anderen unterscheidenden und zugleich für die Wirtschaftsethik wichtigen – Züge aufgeprägt haben. Das muß nun durchaus nicht immer eine Schicht allein sein. Auch können im Lauf der Geschichte die, in jenem Sinne: maßgebenden Schichten wechseln. Und nie ist dieser Einfluß einer einzelnen Schicht ein exklusiver. Aber es lassen sich für die einzelnen gegebenen Religionen doch meist Schichten angeben, deren Lebensführung wenigstens vornehmlich bestimmend gewesen ist. Um einige solche Beispiele vorwegzunehmen, so war der Konfuzianismus die Standesethik einer literarisch gebildeten weltlich-rationalistischen Pfründnerschaft. Wer nicht zu dieser Bildungs schicht gehörte, zählte nicht mit. Die religiöse (oder wenn man will: irreligiöse) Standesethik dieser Schicht hat die chinesische Lebensführung weit über jene selbst hinaus bestimmt. – Der ältere Hinduismus wurde dagegen getragen von einer erblichen Kaste literarisch Gebildeter, die, jedem Amt fremd, als eine Art ritualistischer Seelsorger der Einzelnen und der Gemeinschaften fungierten und, als fester Orientierungsmittelpunkt der ständischen Gliederung, die soziale Ordnung prägten. Nur vedisch gebildete Brahmanen waren als Träger der Tradition der vollwertige religiöse Stand. Erst später trat ein nicht brahmanischer Asketenstand ihnen konkurrierend zur Seite, und noch später, im indischen Mittelalter, trat im Hinduismus die inbrünstige sakramentale Heilands-Religiosität der unteren Schichten mit plebejischen Mystagogen auf den Plan. – Der Buddhismus wurde von heimatlos wandernden, streng kontemplativen und weltablehnenden Bettelmönchen propagiert. Im vollen Sinne waren nur sie Zugehörige der Gemeinde, alle andern blieben religiös minderwertige Laien: Objekte, nicht Subjekte der Religiosität. – Der Islam war in seiner ersten Zeit eine Religion welterobernder Krieger, eines Ritterordens von disziplinierten Glaubenskämpfern, nur ohne die sexuelle Askese der christlichen Nachbildungen in der Kreuzzugszeit. Im islamischen Mittelalter aber erlangte der kontemplativ-mystische Sufismus, und aus ihm hervorwachsend das Bruderschaftswesen des Kleinbürgertums nach Art der christlichen Tertiarier, nur weit universeller entwickelt, eine mindestens ebenbürtige Rolle, unter der Führung von plebejischen Technikern der Orgiastik. – Das Judentum war, seit dem Exil, die Religion eines bürgerlichen »Pariavolkes« – wir werden die prägnante Bedeutung des Ausdruckes seinerzeit kennen lernen – und geriet im Mittelalter unter die Führung einer ihm eigentümlichen literarisch-ritualistisch geschulten Intellektuellenschicht, welche eine zunehmend proletaroide, rationalistische Kleinbürgerintelligenz repräsentierte. – Das Christentum endlich begann seinen Lauf als eine Lehre wandernder Handwerksburschen. Es war und blieb eine ganz spezifisch städtische, vor allem: bürgerliche, Religion in allen Zeiten seines äußeren und inneren Aufschwungs, in der Antike ebenso wie im Mittelalter und im Puritanismus. Die Stadt des Okzidentes in ihrer Einzigartigkeit gegenüber allen andern Städten und das Bürgertum in dem Sinne, in welchem es überhaupt nur dort in der Welt entstanden ist, war sein Hauptschauplatz, für die antike pneumatische Gemeindefrömmigkeit ebenso wie für die Bettelorden des hohen Mittelalters und für die Sekten der Reformationszeit bis zum Pietismus und Methodismus hin.
Nun ist es in gar keiner Weise etwa die These der nachfolgenden Darlegungen: daß die Eigenart einer Religiosität eine einfache Funktion der sozialen Lage derjenigen Schicht sei, welche als ihr charakteristischer Träger erscheine, etwa nur deren »Ideologie« oder eine »Widerspiegelung« ihrer materiellen oder ideellen Interessenlage darstelle. Im Gegenteil wäre ein gründlicheres Mißverständnis des Standpunktes dieser Erörterungen kaum möglich als gerade eine solche Deutung. Wie tiefgreifend auch immer die ökonomisch und politisch bedingten sozialen Einflüsse auf eine religiöse Ethik im Einzelfalle waren, – primär empfing diese ihr Gepräge doch aus religiösen Quellen. Zunächst: aus dem Inhalt ihrer Verkündigung und Verheißung. Und wenn diese nicht selten schon in der nächsten Generation grundstürzend umgedeutet, weil den Bedürfnissen der Gemeinde angepaßt wurden, so doch eben in aller Regel wiederum zunächst: deren religiösen Bedürfnissen. Erst sekundär konnten andere Interessensphären, oft freilich recht nachdrücklich und zuweilen ausschlaggebend, einwirken. Wir werden uns überzeugen, daß zwar für jede Religion der Wandel der sozial ausschlaggebenden Schichten tiefgreifende Bedeutung zu haben pflegte, daß aber andrerseits der einmal geprägte Typus einer Religion seinen Einfluß ziemlich weitgehend auch auf die Lebensführung sehr heterogener Schichten auszuüben pflegte.
Man hat die Zusammenhänge zwischen religiöser Ethik und Interessenlage in verschiedener Art so zu interpretieren gesucht, daß die erstere nur als eine »Funktion« der letzteren erschien. Nicht nur im Sinn des sog. historischen Materialismus, – was wir hier nicht erörtern, – sondern auch rein psychologisch.
Eine ganz allgemeine, gewissermaßen abstrakte, Klassengebundenheit der religiösen Ethik könnte aus der seit Fr. Nietzsches glänzendem Essay bekannten, seitdem auch von Psychologen mit Geist behandelten Theorie vom »Ressentiment« abgeleitet werden. Wenn die ethische Verklärung des Erbarmens und der Brüderlichkeit ein ethischer »Sklavenaufstand« der, sei es in ihren natürlichen Anlagen, sei es in ihren schicksalsbedingten Lebenschancen, Benachteiligten war, und also die Ethik der
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Erschienen im Jafféschen Archiv für Sozialwissenschaft Bd. 41-46 (1915-19) in Einzelteilen; die ersten Partien unverändert so, wie sie zwei Jahre vorher niedergeschrieben und Freunden vorgelesen waren. Einziehung zum Dienst machte es damals unmöglich, den wissenschaftlichen »Apparat«, wie beabsichtigt, beizufügen; an seiner Stelle wurden kurze Hinweise auf die Literatur bei Beginn jedes Abschnittes beigegeben. Daher auch die verschieden eingehende Behandlung der einzelnen Gebiete. Wenn die Aufsätze trotzdem damals gedruckt wurden, so lag der Grund darin, daß es unmöglich schien, nach dem Ende des Krieges, der für jeden eine Lebensepoche bedeutete, auf Gedankenreihen früherer Zeit zurückzukommen. Die Aufsätze waren nebenbei auch bestimmt, gleichzeitig mit der im »Grundriß der Sozialökonomik« enthaltenen Abhandlung über »Wirtschaft und Gesellschaft« zu erscheinen, den religionssoziologischen Abschnitt zu interpretieren und zu ergänzen (allerdings auch in vielen Punkten durch ihn interpretiert zu werden). Dieser Aufgabe aber schienen sie auch in ihrem damaligen Zustand dienen zu können. Was ihnen infolge ihres notgedrungen skizzenhaften Charakters und der ungleichmäßigen Ausführlichkeit der Darstellun gen an Eigenwert abging, werden sicherlich künftig die Arbeiten anderer wesentlich besser bringen, als es mir möglich gewesen wäre. Denn in irgend einem Sinn ein »Abschluß« zu sein, hätten ja auch in ihrer fertigen Form solche Abhandlungen nie beanspruchen dürfen, bei welchen der Verfasser auf übersetzte Quellen angewiesen ist. Auch in ihrer jetzigen Form können sie aber vielleicht zur Ergänzung der Problemstellungen der Religions- und hie und da wohl auch der Wirtschafts-Soziologie in einigen Punkten nützlich sein. Ich habe bei der jetzigen gesammelten Herausgabe gesucht, neben der Beseitigung einiger kleinerer Versehen auch die starken Unvollkommenheiten der Darstellung, namentlich der chinesischen Verhältnisse, soweit zu bessern, als es dem Nichtfachmann nach Lage des ihm zugänglichen Materials möglich ist und die Quellenzitate etwas vervollständigt.