Gesammelte Werke. Henrik Ibsen
So laß uns friedlich unsrer Straße gehn;
Wir wollen Dir ja nicht im Wege stehn.
Du magst, so hoch Du willst, gen Himmel schweben.
Traun! Einmal wollt' auch sie und ich dahin; Doch Arbeit will der Tag, nicht leichten Sinn; Dem stirbt man ab, so nach und nach im Leben. Das Jugendleben, schau, ist ein Prozeß – Und zwar ein törichter im großen Ganzen. Vergleich Dich, Freund, und denk nicht an Regreß. Denn Du verlierst in sämtlichen Instanzen.
Falk (frisch und zuversichtlich, mit einem Blick nach der Laube hinüber.)
Nein, würden mich auch alle Richter richten, –
Begnadigung würd' ihren Spruch vernichten!
Es können zwei ihr Sein in hohem Streben Und reinem Glauben auch zu Ende leben. Doch Du vertrittst der Jetztzeit ekle Lehre, Das Ideal sei erst das Sekundäre!
Stüber.
"Primäre" sag, – denn sprang die Frucht daraus,
Ist sein Beruf, wie der der Blüte, aus.
(Am Klavier drinnen spielt und singt Frl. Elster: "Ach du lieber Augustin." Stüber bricht ab und horcht in stiller Bewegung.)
Sie lockt mich mit den nämlichen Akkorden,
Bei denen wir uns einst bekannt geworden.
(Legt seine Hand auf Falks Arm und sieht ihm in die Augen.)
So oft sie sich mit diesem Lied beschäftigt, Da weht ihr erstes Ja, wie neu bekräftigt, Aus ihrem sehnsuchtsvollen Spiel mich an. Und wird einst unsre Lieb' zu Grabe gehen, Um dann als Freundschaft wieder aufzustehen, Verknüpfe dieses Lied das Einst dem Dann. Und wird mein Schreiberkreuz auch krumm und krummer Und mein Beruf nur Krieg mit Not und Kummer, So kehr' ich doch getrost nach Haus, wo mich In Tönen wieder grüßt, was längst entwich. Ist dort dann nur ein Stündlein unser eigen, – So will ich gern zu all dem andern schweigen.
(Ab ins Haus. Falk wendet sich der Laube zu. Schwanhild kommt hervor; sie ist bleich und erregt. Sie sehen sich einen Augenblick schweigend an und umarmen einander heftig.)
Falk.
O Schwanhild, halten wir uns überm Schlamm,
Du Rosenstock auf wüstem Totenacker!
So "leben" sie nun, die geplackten Placker!
Nach Leichen riecht die Braut, der Bräutigam.
Nach Leichen riecht's, wo zwei im Sonnenschein
An Dir vorbeigehn, Lächeln auf den Lippen,
Der Lüge schwüles Kalkgrab im Gebein,
Verwesung hinter den gebrochnen Rippen.
Das heißen sie dann leben! Himmel und Erde! Dazu der Aufwand tragischer Gebärde? Dazu so vieler Kinderherden Zucht? Dazu die Mast mit Pflicht- und Rechtesfrucht? Dazu der Hoffnung kurze Sommerweide, – Daß nur die Schlachtbank nimmer Mangel leide?
Schwanhild.
Falk, laß uns fort!
Falk. Fort, Schwanhild? Und wohin?
Ist nicht die Welt sich gleich an jedem Orte,
Und ist nicht Lüge doch der letzte Sinn
All der mit Wahrheit aufgeputzten Worte?
Nein, nein, genießen wir die Maskerade,
Die tragikomische Hanswurstiade:
Lügner, die ihre eignen Gläubigen sind! Sieh Strohmann und sein Weib, sieh Stüber, Lind – Der Liebe feierliche Wachtparade; Betrug im Herzen, Glaubenswort im Munde, – Und doch welch ehrenwertes Volk im Grunde! Sie lügen vor sich selbst und jedem dritten; Ihr Recht dazu scheint ihnen unbestritten – Ein jeder preist, zerbrach auch längst sein Steuer, Sich einen Krösus, einen Gott des Glücks; Sich selber fuhr er blindlings übern Styx, – Pardauz – da saß er schon im Höllenfeuer; Doch sagst Du's ihm, er läßt Dich ruhig reden Und dünkt sich nach wie vor ein Gast in Eden Und lächelt unter Ach und Weh Dich an; Und kommt mit Horn und Bocksfuß Urian Und überschüttet ihn mit Schimpf und Spott, So stößt er eifrig seinen Nebenmann: "Du, zieh den Hut! Da geht der liebe Gott!"
Schwanhild (nach einem kurzen nachdenklichen Schweigen.)
Wie ließ mich wundersam ein liebes Licht
Den Weg zu unserm Frühlingsglück erkennen.
Ein Leben, mir bis heute nur Gedicht,
Soll ich von morgen an mein Tagwerk nennen.
O guter Gott! Ich ging gleich einer Blinden, –
Da schufst du Licht – und ließest ihn mich finden! (Betrachtet Falk mit stiller, zärtlicher Bewunderung.) Wie stark Du bist! So ragt ein Baum voll Trutz Dem alles fällenden Orkan entgegen, – Noch mehr! Er nimmt noch mich in seinen Schutz –!
Falk.
Der Geist der Wahrheit, Schwanhild, macht verwegen!
Schwanhild (blickt mit einem Anflug von Scheu nach dem Haus.)
Als arge Frager kamen sie zu zwein,
Und hinter jedem stand die halbe Welt.
Der fragte: Wie kann Liebe wohl gedeihn, Wenn Geld und Gut das Herz gefangen hält? Der andre: Wie kann Liebe wohl bestehn, Wenn ihre Augen nichts als Armut sehn? Entsetzlich – das als Wahrheit auszugeben, Und dann ein solches Sein noch fortzuleben!
Falk.
Und wenn das uns nun gälte?
Schwanhild. Uns? Was dann?
Was ficht uns all solch Äußerliches an?
Du weißt, willst Du den Weg der Wahrheit wallen,
So will ich mit Dir stehn und mit Dir fallen.
Die leicht'ste Schrifterfüllung, die es gibt,
Ist, alle zu verlassen und von allen
Nur dem zu Gott zu folgen, den man liebt.
Falk.
So mag uns, was da will, den Weg vergällen!
Wir stehn dem Sturm, – und niemand kann uns fällen.
(Frau Halm und Goldstadt treten rechts im Hintergrund auf. Falk und Schwanhild bleiben an der Laube stehen.)
Goldstadt (mit leiser Stimme.)
Sehn Sie!
Frau Halm (überrascht.)
Zusammen!
Goldstadt. Zweifeln Sie noch, Frau?
Frau Halm.
Das wär' doch –!
Goldstadt. O, ich merkt' es bald genug,
Womit sich unser Freund im stillen trug.
Frau Halm (vor sich hin.)
Mich wundert nur, – wie konnte sie so schlau – (Lebhaft zu Goldstadt.) Nein, nein –
Goldstadt. Ich werde Ihren Zweifel heben.
Frau Halm.
Sie wollten selbst –?
Goldstadt. Jawohl und das nachdrücklich.
Frau Halm (reicht ihm die Hand.)
Mit Gott!
Goldstadt (ernst.)
Ja, er muß seinen Segen geben. (Kommt in den Garten herab.)
Frau Halm (sich umsehend, während sie geht.)
Wie das auch enden mag, mein Kind wird glücklich.
(Ins Haus ab.)
Goldstadt (nähert sich Falk.)
Die Zeit ist wohl gemessen?
Falk. Ungefähr