Gesammelte Werke. Henrik Ibsen
Weg mit dem Kinde, – ich bin der erwachsene, der starke Mann! – Aber Guthorm war Königssohn; es lag eine Kluft zwischen mir und dem Königssitz.
Bischof Nikolas. Und Ihr wagtet nicht –
Jarl Skule. Dann ward dem Erling Stejnväg von den Slittungern gehuldigt. Da schrie es wieder in mir: Skule ist ein größerer Häuptling als Erling Stejnväg! Aber ich hätte mit den Birkebeinern brechen müssen, – das war damals die Kluft.
Bischof Nikolas. Und Erling ward König der Slittunger und nachmals der Ribbunger, und Ihr wartetet!
Jarl Skule. Ich wartete auf Guthorms Tod.
Bischof Nikolas. Und Guthorm starb, und Inge Bårdsson, Euer Bruder, ward König.
Jarl Skule. Nun wartete ich auf meines Bruders Tod. Er war krank vom ersten Tag an; jeden Morgen, wenn wir uns bei der heiligen Messe trafen, saß ich da und schielte hinüber, ob die Krankheit nicht zunähme. Jeder Schmerzenszug, der über sein Gesicht flog, war wie ein Windstoß in mein Segel und trug mich dem Königssitze näher. Jeder Seufzer, durch den er Weh und Qual sich erleichterte, klang mir wie Posaunenton fern unten auf der Halde, wie eines Sendboten Hörn, der weither gezogen kam, mir zu melden, daß ich nun bald das Steuer des Reichs ergreifen würde. So riß ich jeden zärtlichen Brudergedanken heraus mit Wurzel und Fasern; und Inge starb und Håkon kam, – und die Birkebeiner machten ihn zum König.
Bischof Nikolas. Und Ihr wartetet.
Jarl Skule. Mir war's, als müßte Hilfe von dort oben kommen. Ich fühlte die Königskraft in mir, und ich alterte; jeder Tag, der verstrich, war ein Tag, der meinem Lebenswerk genommen ward. Jeden Abend dachte ich: morgen geschieht ein Wunder, das ihn erschlägt und mich auf den leeren Sitz erhebt.
Bischof Nikolas. Gering war damals Håkons Macht; er war ein Kind noch; es galt bloß einen Schritt von Eurer Seite, aber Ihr tatet ihn nicht.
Jarl Skule. Den Schritt zu tun war schwer; er hätte mich von all meinen Verwandten und Freunden geschieden.
Bischof Nikolas. Ja, das ist die Sache, Jarl Skule, – das ist der Fluch, der auf Eurem Leben lag. Ihr wollt jeden Weg offen wissen für den Notfall, – Ihr wagt nicht, alle Brücken abzubrechen und nur eine zu behalten, die allein zu verteidigen, und da zu siegen oder zu fallen. Ihr legt Schlingen Eurem Feind, Ihr stellt Fallen seinem Fuß und hängt ein scharfes Schwert über sein Haupt, Ihr streut Gift in alle Schüsseln und spannt hundert Netze aus: aber will er in eins davon hinein, so wagt Ihr nicht den Faden anzuziehen; greift er nach dem Gifte, so dünkt es Euch sicherer, daß er durch das Schwert falle; steht er im Begriff, sich am Morgen fangen zu lassen, so findet Ihr's besser, daß es zur Abendzeit geschehe.
Jarl Skule. blickt ihn ernst an. Und was würdet Ihr tun, Herr Bischof?
Bischof Nikolas. Sprecht nicht von mir; mein Geschäft ist, die Königssitze in diesem Lande zu zimmern, nicht darauf zu sitzen und Volk und Reich zu regieren.
Jarl Skule. nach einer kurzen Pause. Antwortet mir auf Eins, ehrwürdiger Herr, – aber antwortet mir mit voller Wahrheit. Weshalb geht Håkon so unerschütterlich vorwärts auf dem geraden Wege? Er ist nicht klüger als Ihr, nicht kühner als ich.
Bischof Nikolas. Wer vollbringt die größte Tat in der Welt?
Jarl Skule. Die vollbringt der größte Mann.
Bischof Nikolas. Aber wer ist der größte Mann?
Jarl Skule. Der mutigste.
Bischof Nikolas. So spricht der Kriegshauptmann. Ein Priester würde sagen: der gläubigste; – ein Weiser: der erfahrenste. Aber von ihnen ist es keiner, Jarl. Der glücklichste Mann ist der größte Mann. Der glücklichste vollbringt die größten Taten, – er, über den die Forderungen der Zeit wie ein Brand kommen: sie erzeugen ihm Gedanken, die er selbst nicht faßt, weisen ihm den Weg, dessen Ziel er selbst nicht kennt, den er aber wandelt und wandeln muß , bis er den Jubelschrei des Volkes hört – und mit weit aufgerissenen Augen sieht er sich um und erkennt voll Verwunderung, daß er ein großes Werk vollbracht hat.
Jarl Skule. Ja, Håkon hat etwas so unerschütterlich Sicheres.
Bischof Nikolas. Er hat das, was die Römer ingenium nannten –. Ich bin sonst nicht der beste Lateiner: aber das hieß ingenium.
Jarl Skule. zuerst gedankenvoll, dann in wachsender Erregung. Håkon sollte aus andrem Stoffe geschaffen sein als ich? Der Glücklichen einer? – Ja, gelingt ihm nicht alles? Schlägt nicht alles zum besten aus, wenn es ihn betrifft? Selbst der Bauer spürt das; er sagt, die Bäume trügen zweimal Früchte, und die Vögel brüteten zweimal in jedem Sommer, seit Håkon König ist. Varmeland, das er niederbrannte und verheerte, steht wieder da blitzblank mit seinen neugezimmerten Häusern, und alle Äcker wallen schwer von Ähren im Winde. Es ist, als ob Blut und Asche das Land düngten, das Håkon mit Krieg überzieht; es ist, als ob der Herr mit Wachstum segnete, was Håkon niedertritt; es ist, ob als die heiligen Mächte sich beeilten, jede Schuld hinter ihm her auszutilgen. Und wie leicht gelang es ihm nicht, König zu werden! Er hatte Inges frühzeitigen Tod nötig, und Inge starb; Schutz und Schirm hatte er nötig, und seine Mannen schützten und schirmten ihn; er hatte die Eisenprobe nötig, und seine Mutter kam und bestand sie für ihn.
Bischof Nikolas bricht unwillkürlich in die Worte aus: Aber wir – wir beiden –!
Jarl Skule. Wir?
Bischof Nikolas. Ja, Ihr – Ihr!
Jarl Skule. Håkon hat das Recht, Bischof.
Bischof Nikolas. Er hat das Recht, weil er der Glückliche ist – das größte Glück ist, das Recht zu haben. Aber mit welchem Recht hat Håkon das Recht, und nicht Ihr?
Jarl Skule nach einer kurzen Pause. Es gibt Dinge, an die zu denken Gott mich gnädig bewahren wolle.
Bischof Nikolas. Saht Ihr nie ein altes Bild in der Christkirche zu Nidaros? Es stellt die Sintflut dar, die steigt und über alle Berge hinaufschwillt, so daß nur noch eine einzige Zinne emporragt. Diese klimmt ein ganzes Geschlecht hinan, Vater und Mutter und Sohn und des Sohnes Weib und Kinder; – und der Sohn zerrt den Vater in die Wasserflut hinab, um besseren Halt zu gewinnen, und er wird die Mutter hinabreißen und sein Weib und all seine Kinder, um selbst den Gipfel zu gewinnen – denn droben ist ein Fußbreit Land, da kann er sich eine Zeitlang halten – das, Jarl, das ist der Weisheit Saga und jedes Weisen Saga.
Jarl Skule. Aber das Recht!
Bischof Nikolas. Der Sohn hatte das Recht. Er hatte Kraft und Lust, zu leben, – folge deiner Lust und nütze deine Gaben: das Recht hat ein jeglicher.
Jarl Skule. Zu dem, was gut ist, ja.
Bischof Nikolas. Spielt und tändelt mit Worten! Es gibt weder Gutes noch Böses, weder Oben noch Unten, weder Hoch noch Niedrig. Solche Worte müßt Ihr vergessen, sonst tut Ihr nie den letzten Schritt, setzt Ihr nie über die Kluft! Leise und eindringlich: Ihr sollt die Menge oder die Sache nicht hassen, weil die Menge oder die Sache dies und nicht jenes verlangt; aber Ihr sollt in der Menge jeden Menschen hassen, weil er Euch widerstrebt, und Ihr sollt einen jeden hassen, der eine Sache vertritt, weil die Sache Euren Willen nicht fördert. Alles, was Euch nützen kann, ist gut; – alles, was Euch Dornen in den Weg legt, ist böse.
Jarl Skule blickt grübelnd vor sich hin. Was hat mich nicht der Königssitz gekostet, zu dem ich doch nicht hinaufreichte – und was hat er Håkon gekostet, ihn, der jetzt so sicher darauf sitzt! Ich war jung und opferte meine holde heimliche Liebe, um in ein mächtiges Geschlecht hineinzuheiraten. Ich betete zu den Heiligen, mir möchte ein Sohn geschenkt werden, – ich bekam nur Töchter.
Bischof Nikolas. Håkon bekommt Söhne, Jarl, – verlaßt Euch drauf!
Jarl Skule tritt an das Fenster rechts. Ja, – für Håkon wendet sich alles zum besten.
Bischof Nikolas ihm nachgehend. Und Ihr, Ihr wollt Euch Euer ganzes Leben lang friedlos vom Glücke jagen lassen! Seid Ihr denn blind? Seht Ihr nicht, daß eine stärkere Macht als die Schar Birkebeiner hinter Håkon