Gesammelte Werke. Henrik Ibsen
bereitet, das König Christian erdulden sollte, und dem er nur durch die Flucht entging. – Aber auch abgesehen davon waren die Dänen nicht untätig. Sie ließen es nicht an Drohungen noch an Versprechungen fehlen, um mich auf ihre Seite hinüberzudrängen.
Olaf. Begreiflicherweise. Aller Blicke waren auf Euch gerichtet, wie auf die Flagge, der sie nachsegeln sollten.
Inger. Da kam Herluf Hydefads Aufstand. Gedenkt Ihr jener Zeit noch, Olaf Skaktavl? War es nicht, als sei ein sonniger Frühling über das Land gekommen? Mächtige Stimmen mahnten mich, hervorzutreten – aber ich wagte es nicht. Ich saß unschlüssig – fern vom Kampf – auf meinem einsamen Hof. Oft war mir, als ob Gott der Herr selbst mich riefe; aber dann kam wieder jene tödliche Angst und lähmte mir den Willen. »Wer wird siegen?« Seht, das war die Frage, die unaufhörlich vor meinen Ohren klang. – Nur ein kurzer Frühling war's, der damals über Norwegen anbrach. Herluf Hydefad und sehr viele mit ihm wurden in den Monaten, die folgten, aufs Rad geflochten. Mich konnte niemand zur Rechenschaft ziehen. Und doch blieben verblümte Drohungen von Dänemark nicht aus. Wie? wenn man um das Geheimnis wüßte? Ich konnte es mir zuletzt nicht anders denken, als daß man darum wüßte. – In dieser qualvollen Zeit kam Reichshofmeister Gyldenlöve herauf nach Oestrot und begehrte meine Hand. Laßt eine geängstigte Mutter sich an meine Stelle versetzen –! Einen Monat später war ich des Reichshofmeisters Ehefrau, – und heimatlos in den Herzen meiner Landsleute. – – Dann kamen stille Jahre. Keiner erhob sich mehr. Die Herren konnten uns bedrücken und bedrängen, so tief und schwer sie wollten. Zuzeiten faßte mich Ekel vor mir selbst. Denn was hatte ich zu schaffen? Nichts andres, als in Angst zu leben, verhöhnt zu werden und Töchter zur Welt zu bringen. Meine Töchter! Gott mag mir vergeben, wenn ich kein Mutterherz für sie hatte! Der Ehefrau Pflichten wurden mir zum Frondienst – wie könnt' ich also meine Töchter lieben? O, mit meinem Sohn war das etwas anderes! Er war das Kind meiner Seele, war das Einzige, was mich an jene Zeit erinnerte, da ich Weib und nichts als Weib gewesen. – Und ihn hatten sie mir genommen! Er wuchs unter Fremden auf, die vielleicht die Saat des Verderbens säten in sein Inneres! Olaf Skaktavl, – hätte ich, gleich Euch, in Winter und Wetter, verfolgt und geächtet, durchs Hochgebirg wandern müssen, und hätt' ich mein Kind in meinen Armen gehabt, – glaubt mir, ich hätte nicht getrauert und geweint so, wie ich um ihn weinte und klagte von seiner Geburt an bis zu dieser Stunde!
Olaf. Hier meine Hand. Ich hab' Euch zu hart gerichtet, Frau Inger. Verfügt wieder über mich wie sonst. Ich will Euch gehorchen. – Ja, bei allen Heiligen! – ich weiß, was es heißt, um sein Kind leiden.
Inger. Eures erschlugen die Gewalthaber. Aber was ist der Tod gegen jahrelange ruhelose Angst!
Nils Lykke. Nun wohl – in Eurer Macht steht es, diese Angst zu enden. Versöhnt die streitenden Parteien, dann wird es keiner beifallen, sich Euer Kind als Pfand Eurer Treue anzueignen.
Inger für sich. Das ist des Himmels Rache – – Blickt ihn an. Kurz und gut, was fordert Ihr?
Nils Lykke. Erstens fordere ich, daß Ihr das Volk nördlich vom Dovrefjeld unter die Waffen ruft, um die Mißvergnügten in Schweden zu unterstützen.
Inger. Und weiter –?
Nils Lykke. – daß Ihr dahin wirkt, daß der junge Graf Sture in seines Stammes Rechte als Beherrscher Schwedens eingesetzt wird.
Inger. Er? Ihr fordert, daß ich –?
Olaf leise. Das ist der Wunsch vieler Schweden. Auch uns wäre damit gedient.
Nils Lykke. Ihr bedenkt Euch, edle Frau? Ihr, die Ihr um die Sicherheit Eures Sohnes bebt – was könnt Ihr Bessres wünschen, als seinen Halbbruder auf dem Thron zu sehen?
Inger gedankenvoll. Wohl wahr, – wohl wahr –
Nils Lykke betrachtet sie scharf. Es müßte denn ein andrer Anschlag im Werke sein –
Inger. Was meint Ihr?
Nils Lykke. Daß Inger Gyldenlöve danach trachtet – Königsmutter zu werden.
Inger. Nein, nein! Gebt mir mein Kind zurück, so könnt Ihr die Kronen geben, wem Ihr wollt. – Doch wißt Ihr auch, ob Graf Sture gewillt ist –?
Nils Lykke. Davon kann er selbst Euch überzeugen.
Inger. Er selbst? Und wann?
Nils Lykke. In dieser Stunde.
Olaf. Wieso?
Inger. Was sagt Ihr?
Nils Lykke. Mit einem Wort: Graf Sture ist auf Oestrot.
Olaf. Hier?
Nils Lykke zu Inger. Es ward Euch vielleicht hinterbracht, daß ich mit einem Gesellen durch das Burgtor geritten bin? Der Graf war mein Gefährte.
Inger leise. Ich bin in seiner Macht. Hier bleibt keine Wahl. Sie sieht ihn an und sagt: Gut, Herr Reichsrat, – Ihr sollt die Versicherung meines Beistandes haben.
Nils Lykke. Schriftlich?
Inger. Wie Ihr begehrt.
Sie geht zu dem Tische links hinüber, setzt sich und nimmt Schreibzeug aus der Schublade.
Nils Lykke bei Seite, am Tische rechts. Endlich ist der Sieg mein!
Inger bedenkt sich einen Augenblick, wendet sich dann plötzlich zu Olaf Skaktavl und flüstert: Olaf Skaktavl, – nun weiß ich gewiß – Nils Lykke ist ein Verräter!
Olaf leise. Wie? Ihr glaubt –?
Inger. Er sinnt auf Betrug.
Sie legt das Papier zurecht und taucht die Feder ein.
Olaf. Und doch wollt Ihr schriftlich eine Versicherung abgeben, die Euren Untergang herbeiführen kann?
Inger. Still! Laßt mich gewähren! Nein, wartet und hört mal zuerst – –
Sie spricht im Flüsterton mit ihm.
Nils Lykke leise, indem er sie beobachtet. Ja, beratschlagt nur, soviel Ihr wollt! Jetzt ist alle Gefahr vorbei. Mit ihrer schriftlichen Zusage in der Tasche kann ich sie zu jeder Stunde verklagen. Noch in dieser Nacht soll heimlich ein Bote zu Jens Bjelke –. Ich sage keine Lüge, wenn ich ihm versichere, daß der junge Graf Sture nicht auf Oestrot ist. Und morgen, wenn der Weg frei ist – nach Drontheim mit dem Junker. Dann zu Schiff mit ihm als Gefangenen nach Kopenhagen. Sitzt er da erst im Turm, dann können wir Frau Inger jede Bedingung vorschreiben, die uns paßt. Und ich –? Ja, dann, denk' ich, wird der König die Sendung nach Frankreich in keines andern Hände legen als in die meinen.
Inger flüstert fortwährend mit Olaf . Nun, Ihr habt mich also verstanden?
Olaf. Vollkommen. So sei es denn gewagt nach Eurem Willen!
Er geht rechts durch die zweite Tür ab.
Nils Stenssön kommt durch die erste Tür rechts, ohne von Inger bemerkt zu werden, die schon zu schreiben begonnen hat.
Nils Stenssön mit gedämpfter Stimme. Herr Ritter, – Herr Ritter!
Nils Lykke zu ihm gewendet. Unvorsichtiger! Was wollt Ihr hier? Hab' ich Euch nicht gesagt, Ihr solltet da drinnen warten, bis ich Euch riefe?
Nils Stenssön. Wie könnt' ich das? Nun, da Ihr mir anvertraut habt, daß Inger Gyldenlöve meine Mutter ist, nun dürst' ich mehr denn je danach, sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen – – O, das ist sie! Wie stolz und edel! So hab' ich sie mir immer vorgestellt. Seid unbesorgt, lieber Herr, – ich werde mich nicht verraten. Seit ich um das Geheimnis weiß, fühl' ich mich gewissermaßen älter und besonnener. Ich will fürder nicht stürmisch und leichtfertig sein; ich will sein wie andre edle Junker. – Sagt mir doch – weiß sie, daß ich hier bin? Habt Ihr sie vorbereitet?
Nils Lykke. Ja, freilich hab' ich das, aber –
Nils Stenssön. Nun?
Nils Lykke. – sie will Euch nicht als ihren Sohn anerkennen.
Nils Stenssön. Sie will mich nicht anerkennen? Aber sie