Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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einer einen sehr hämischen Seitenblick mit der ernsthaftesten Verachtung auf mich zuwarf und der andre eine so ehrerbietige Verbeugung machte, daß sogar meine Eigenliebe nicht anders glaubte als – der Mann müßte mich verkennen. Höflichkeitshalber muß ich doch ein paar Worte mit beiden sprechen.

      Der erste, nachdem er dem Verfasser des Tobias Knauts mit aller Politesse eines Rezensenten offenherzig ins Gesicht gesagt hat, daß er ein Affe ist, bejammert es nebenher mit christlichem Mitleiden, daß es Leute genug geben wird, die ihre höchst kostbare Zeit an die Durchlesung eines Büchelchens verschwenden, welches das Unglück hat, ihm durchaus zu mißfallen. Was würde er nun vollends tun, wenn er richtiger prophezeit hätte, als ich nach der wohlhergebrachten Autordemut vermuten darf? – Über eine solche Verblendung laut weinen oder – stillschweigend seufzen? – Inzwischen muß ich ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß seine Kritik das schönste Muster von Persiflage ist.

      Das andre Kompliment kam aus dem Schwabenlande und galt eigentlich nicht mir, dem Lebensbeschreiber Tobias Knauts, sondern dem Herr Hofr. Wieland, den er für den Verfasser dieses Werkchens angesehn hatte, wohl nur wegen der ähnlichen Unterzeichnung unter der Vorrede. So gern ich unter diesem Namen im Heiligen Römischen Reiche herumschleichen möchte, wenn nur nicht Herr Wieland so viel dabei verlöre, als ich gewinne, so muß ich doch, ehe ich mich auf eine andre Art verrate, hiermit dem Hrn. Verfasser der Augsburgischen Chronik und andern, die durch ihn zu dem nämlichen Irrtum verführt sein möchten, öffentlich erklären, daß nicht Herr Wieland, sondern ich der Lebensbeschreiber Tobias Knauts bin, in dessen Leben er aber übrigens nicht, wie er tun will, interessante und rührende Szenen erwarten darf, sondern Gemälde und Begebenheiten des gewöhnlichen menschlichen Lebens, in der Lebensbeschreibung eines unbedeutenden Tobias Knauts zusammengestellt, der, wie gewöhnlich, andre Leute neben und für sich sehr vieles tun sieht und selbst sehr wenig tut. Andre Absichten dabei lassen sich zur Zeit noch nicht sagen.

      Das Zerimoniell war also besorgt; aber nun ist mir noch eine saure Arbeit übrig – eine bittre Klage über mich, und zwar darüber, daß ich eine Vorrede vor den ersten Teil gesetzt habe, die, wie im »Merkur« angemerkt wird und ich hernach gefunden habe, leicht ein Mißverständnis zwischen dem Autor und seinen Lesern veranlassen könnte. Um dieses in Zukunft zu verhüten – wenn anders diese Genugtuung für das bisherige Ärgernis zureichend ist –, soll hier eine Erläuterung oder umständliche Auseinandersetzung der daselbst nur kurz angezeigten Theorie stehn.

      Wie bei der Vorstellung der sichtbaren Gegenstände, so kömmt es auch bei den bloß denkbaren auf den Bau des beobachtenden Auges, auf das Medium, wodurch es sieht, auf die Seite, die der Gegenstand ihm zukehrt, und auf die weitre oder nähere Entfernung an, ob unser Urteil, unsre Vorstellung davon so oder anders ausfallen, ob die Vorstellung mit dieser oder jener Farbe, mit starkem Schatten oder starkem Lichte gemalt werden soll. Zu verwundern ist es also niemals, wenn ein Autor in einem Buche eine Sache auf zwo ganz verschiedene Arten abbildet: Die Ursache ist ganz natürlich – er sah jedesmal durch ein andres Medium oder eine andre Seite. Wenn die Atmosphäre um seine Seele voller Feuchtigkeiten ist, schwarze oder gelbe Galle in seinem Blute regiert, sein Magen viel oder wenig zu tun hat, seine Nerven stark angespannt oder schlaff sind, so laufen die Gläser in seinem Sehrohre an, die betrachteten Gegenstände sind hell oder dunkel, klein oder groß, und der Beobachter lacht oder weint, seufzt oder schmäht in jedem Falle, wie sein Blut und sein Magen es verlangen; reiben sich gewisse Teile in der Seelenatmosphäre zu oft und zu stark aneinander, so entsteht gar ein Donnerwetter, eine Götzische Streitschrift oder so eine ähnliche Lufterscheinung oder auch eine Moral in dem Tone meiner hypochondrischen Muhme, dergleichen sie ein paar in den ersten Teil wider meinen Willen eingerückt hat und nicht mehr einrücken soll; denn aufrichtig gesprochen, ihr Hypochonder ist ein gar zu derber Moralist. – Aber mit einem Fuße hinkt doch meine Vergleichung; denn die Entfernung tut bei Beobachtungen in der moralischen Welt gerade die entgegengesetzte Wirkung: In der physischen werden die Gegenstände dunkler und undeutlicher, je weiter sie sind, die Winkel fließen zusammen, eckichte Türme werden rund; in der moralischen hingegen werden die Ecken der Gegenstände stumpfer, je näher man ihnen ist, und demjenigen, der selbst sehr geschäftig darinne ist, verschwinden endlich alle oder doch die meisten Erhöhungen und Vertiefungen, so daß er auf die letzte nichts als eine glatte Fläche sieht. In der weitern Entfernung, d. h. in der Einsamkeit, übersieht man das Ganze besser und jeden Hocker, jede Ecke scharf, deutlich, helle – wenn, wie gesagt, Blut und Magen nichts dawider einzuwenden haben.

      Aber das Sehrohr? – So nenne ich gewisse Grundsätze, die jeder Beobachter moralischer Sachen zu seiner Betrachtung mitbringt und die sich auf eine von den bekannten Arten, wie Grundsätze erzeugt werden, meistenteils wider Wissen und Willen in der Seele festgesetzt haben.

      Dies alles war nur vorbereitungsweise gesagt; um meine Leser zum voraus den Schluß machen zu lassen, daß ich und jeder meiner Nebenmenschen, wenn wir eine Vorstellung der Welt machen, sie nicht malen wollen und können, wie sie ist, sondern wie sie uns damals erschien, als wir den Abriß verfertigten – welches, beiläufig gesagt, alle Leute wohl beherzigen möchten, die sich getrauen, eine Wahrheit zu behaupten, die auf ihre ganze Lebenszeit und für alle Menschenkinder Wahrheit sein soll.

      In manchen Körpern ist der Luftkreis so veränderlich, wie, nach dem Berichte des »Spectators«, die Witterung in England ist; in einem Tage alle vier Jahreszeiten! – Diese sehen also jeden Tag oder oft jeden halben Tag eine andre Welt.

      Als ich besagte Vorrede schrieb, war gerade die Abbildung der Welt in meinem Gehirne, die ich dort nur mit etlichen Zügen hingeworfen habe; aber ich bin nicht gut dafür, daß ich sie nicht in einer andern Vorrede wie einen Himmel voller Engel und in einer andern wie eine Hölle voller Teufel malen werde: jedesmal in völligem Ernste und jedesmal mit einigem Rechte.

      Um sie nun in ebendem Gesichtspunkte zu fassen, in dem ich sie damals erblickte, stelle man sich auf den Mond, den Jupiter oder wohin es sonst beliebt: Um und in der Seele muß gerade mittelmäßiges Wetter sein, weder helle noch trübe, und die Lebensgeister müssen in einem gesetzten halben Trabe gehn; das Sehrohr muß die Voraussetzung sein, daß Vollkommenheiten des Verstandes und des Herzens allein wahre und einer menschlichen Seele würdige Vollkommenheiten sind – und so sieht man – was ich damals sah.

      Eine Halbkugel, mit einem Mosaik von unendlicher Mannigfaltigkeit überzogen, das aus Menschenfiguren zusammengesetzt ist, die durch so feine und oft unmerkliche Ungleichheiten voneinander unterschieden sind, daß kein einziger mit dem andern denselben Kopf und dasselbe Herz hat, wenn man auch bei einigen schwören möchte, daß gar kein Unterschied wäre; – aus Menschenfiguren, worunter keine einzige entbehrlich ist, ohne eine Lücke zu machen und dem Effekte des Ganzen zu schaden, sollten sie auch noch so häßlich sein und nur dastehn, um durch ihren pechschwarzen Schatten das Licht der übrigen zu heben. So stark bin ich überzeugt, es dürfe aus diesem Gemälde der dümmste, schlechteste Kopf und – was ich aber doch noch eine kleine Weile überlegen will, ehe ich es als meine Meinung sagen mag – das schlechteste Herz nicht herausgenommen werden, daß der Philosoph Pangloß kein eifrigerer Verteidiger der besten Welt gewesen sein kann als ich – Prügel ausgenommen, wo ich ihm den Vorrang des Eifers gern überlasse.

      So unzählbar diese Menge von Stufen unterschieden ist, so schienen mir doch damals drei Klassen darunter sich auszuzeichnen, unter welchen alle begriffen werden könnten.

      Einige, die bei mittelmäßigen Seelenkräften starke sinnliche Triebe oder bei schlechtem und bessern Anlagen des Geistes heftige Begierden und Leidenschaften haben, bringen ihr Leben entweder in einer sinnlichen Passivität oder in einer lasterhaften Tätigkeit zu: Jene sind Sklaven des Gaums, der Wollust, des sinnlichsten körperlichen Gefühles, diese begehn die verschiedenen Arten der Laster, die gegen Nebenmenschen begangen werden können. Diese Klasse nennte ich – die unglücklichen Schlachtopfer des Lasters – wohl verstanden! – des passiven und tätigen Lasters.

      Andre hat Natur, Schicksale, Umstände und was noch weiter an der Beschaffenheit eines Menschen arbeitet, so daniedergedrückt, daß in allen Gefäßen ihres Körpers und in der ganzen Seele eine beständige Ebbe ist. Die schwächsten Kräfte des Geistes sind mit den schwächsten vernünftigen Begierden


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