Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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Geld in der Tasche noch Kräfte in den Gliedern hat, daß seine Füße wund sind und seine Knie wanken; wie dann, vor der Fürchterlichkeit dieser Vorstellung schauernd, seine Seele zurückflieht und weder Gedanke noch Empfindung in ordentlichem Schritte fortgehen: so geht's mir, armen Livius – – –

      Gerade umgekehrt muß man sich dies Gleichnis denken, wenn es auf mich, den Lebensbeschreiber Tobias Knauts, passen und etwas mehr als eine Anfangsleiste zu diesem Bande sein soll. Ich freue mich, daß ich meinen Helden aus dem Käfige des väterlichen Hauses erlöset und ins freie Feld gebracht habe, und erstaune nicht wenig, daß ich nebst ihm einen ganzen Band hindurch auf einem so engen Theater habe aushalten können. Müde Beine haben wir freilich wohl nicht wie Livius und sein Wandrer; aber es ist doch auch höchst unbequem, wenn man sich keine Handbreit rühren kann, ohne anzustoßen.

      Doch itzt – wie herrlich! was für reichlicher Platz! Die ganze Welt ist unser Theater, und alle vergangne, gegenwärtige und künftige Geschlechter der Menschen in nördlicher und südlicher Breite des Erdbodens, Kaiser, Könige, Fürsten, Nobiles, Gelehrte, Schuhflicker, Küchenjungen, alle, alle sind unsre Mitspieler. – Das wird eine Komödie werden!

      Wie viele wichtige Handlungen mögen meine Leser wohl seit dem vierundzwanzigsten Junius getan haben, wo sie meinen Tobias morgens mit dem Schlage drei auswandern sahen! wie viele Tricks im Whist gewonnen, wie viele Fische im Lomber verloren, wie viele Ellen Netz geknüpft, wie viele Predigten gehört, wie viele wohltätige Handlungen zu tun vergessen haben! Währenddessen Tobias nichts weiter getan hat, als daß er seinen geraden Weg mit gleichen Schritten fortgewandelt ist, und zwar in der festen Entschließung, seine ganze kleine Person dem Vaterlande zum Soldatendienst anzubieten und, so oft und so bald es der Nutzen des Staats erfordern würde, alle Tropfen seines knautischen Bluts für denselben aufzuopfern. Wenn auch gleich dieser heroische Plan nicht völlig so ausgedrückt in seinem Gehirne dalag, so würde er ihn doch gewiß so gedacht haben, wenn die Mode, fürs Vaterland zu sterben, nicht noch allzu neu gewesen wäre, um an seinem Geburtsorte schon bekannt zu sein, wo sogar die Auswüchse einer Konsideration fremde Sachen waren, wie wir im ersten Bande gesehen haben. Überhaupt hat jene Mode seit dem Untergange der römischen Republik bei uns noch keine Nachahmer gefunden, es müßte denn ein paarmal einem hypochondrischen Kopfe, der mit republikanischen Grillen angefüllt war, oder einem Abbt in seiner liebenswürdigen Schwärmerei eingefallen sein, sie einführen zu wollen; indessen hätte doch der erste, der sie durch sein Beispiel in Gang zu bringen suchte, noch immer das völlige Verdienst der Neuheit für sich. In Tobias' Vaterlande war sie nun vollends so neu, daß man darinnen seit der ersten Existenz desselben, nichts davon gehört hatte, so neu, daß der Kommendant der Hauptstadt dem Herrn Rektor der dasigen Stadt- und Landschule geradezu ins Gesicht lachte, als er ihm bei seiner Vermählung auf einem gedruckten Bogen bewies, daß er so ein großer Held als Miltiades, Themistokles, Aristides, Pausanias, Cimon usf. wäre und die Ehre verdiente, wie sie fürs Vaterland zu sterben. An einem solchen Tage einem fünfundzwanzigjährigen Bräutigame, der erst anfangen wollte, sein Dasein recht zu fühlen, dies zu wünschen, war freilich ein ziemlicher Pedantenstreich, und darauf ist ohne Zweifel ein großer Teil des Lachens zu rechnen, in welches dieser bärtige Krieger seine Heldenmiene verzerren mußte. Doch mochte er selbst ein dunkles, unbestimmtes Gefühl haben, wie wenig er die eigentliche Bestimmung seines Standes erfüllte, und da er selbst keinen Beruf empfand, fürs Vaterland zu sterben, so war er zu Ersetzung dieses Schadens schon vor der Ehe unermüdet, dem Staate wenigstens eine Kompanie Menschen ans Leben zu bringen, die es an seiner Stelle tun konnten. Wer kann es nun meinem Tobias bei einer solchen Unwissenheit, in welcher sein ganzes Vaterland lag, verargen, daß er seinen Entschluß nicht mit allen den schönen Phrasen von Ehre und Vaterlandsliebe verbrämte, womit ein ungetreuer Romanschreiber die Wahrheit dieser Geschichte gewiß ausgeschmückt haben würde, sondern daß er schlechtweg – Soldat werden wollte und schlechtweg es darum werden wollte, weil er gern zur Wache aufziehn mochte. Eine nicht ungewöhnlich wirkende Ursache bei der Entschließung zum Soldatenstande!

      Übrigens erhebt sich mein Held durch diesen Entschluß und die Geschwindigkeit in der Ausführung desselben weit über gemeine Seelen. Um ihn zu fassen und unter solchen Umständen auszuführen, mußte man wenigstens eine sehr feurige Einbildungskraft, eine mutige Tätigkeit der Seele und überhaupt alle niedern Seelenkräfte in einem ausnehmenden Grade besitzen – würde der Geisterlehrer, Aberscheidius, sagen, wenn man ihn um eine Erklärung darüber ersuchte.

       Inhaltsverzeichnis

      Non caret is, qui non desiderat: »Wer nichts verlangt, entbehrt nichts.« – Eine Sentenz, die eigentlich für den Magen gemacht ist und Cicero gewiß von seinem eignen abstrahiert hat; und wenn er mir nicht zuvorgekommen wäre, so hätte ich der erste sein können, der diese Beobachtung itzt an dem Magen meines Tobias machte.

      Ohne gefrühstückt, ohne abends vorher gegessen zu haben, hatte er nach seiner Ausreise in beständigem kurzem Trabe einen Weg von sechs Stunden zurückgelegt. Der Tag war der heißeste im ganzen 1++8 Jahre; seine doppelte Kleidung schluckte die auffallenden Sonnenstrahlen so häufig in sich, daß sie so ziemlich die Dienste eines durchhitzten Brütofens hätte verrichten können; innerhalb seines Kopfes marschierte die ganze Leibgarde seines Landesvaters auf, schwenkte sich, schlug Wirbel auf der Trommel usw. –durch welchen innerlichen Lärm die Wärme seines Bluts nach dem geringsten Anschlage zehn Grade über die gemäßigte Hitze gestiegen sein mußte; daß also nach genauer Berechnung, die ich meinen Lesern als einen Anhang zum vierten Bande mitteilen will, wenn sie es ausdrücklich von mir verlangen; daß, sage ich, nach genauer Berechnung der Refraktionswinkel, die die Sonnenstrahlen bei ihrem vielfachen Durchgange durch seine Kleidung machten, nach genauer Berechnung – vieler andern Dinge, wozu ich gerade 23½ Bogen großes Postpapier verwendet habe, sich deutlicher als irgendeine astronomische und optische Wahrheit zeigt, daß die Hitze in der Atmosphäre um die Seele meines Tobias dem höchsten Grade gleich war, den fleißige Beobachter in der Venus an ihren Wettergläsern im Jahre 18432, nach der dort angenommnen Chronologie, bemerkt haben. Hiezu setze man noch, daß er in seiner Begeisterung unvermerkt in eine sandige Heide geraten war, wo

      Die kühle Sommerluft auf dem versengten Boden

      Nie eine Staud erfrischt.

      Demungeachtet watete er getrost durch, fühlte nicht, daß ihm warm war, noch daß ihn hungerte. Ein so standhafter Magen, der unter solchen grausamen Beschwerlichkeiten den Hunger so mutig ausstehen kann, muß unmittelbar vom Himmel zum Dienste des Vaterlandes bestimmt sein; das ist ein patriotischer Magen, und Tobias könnte mit demselben allein sein ganzes Glück machen, dächte man.

      Da die höchste Tugend doch ihre bestimmten Grenzen hat, so ließ der Patriotismus meines Tobias allmählich nach und verlor sich endlich so sehr, daß sich der Magen in dem jämmerlichsten Tone über die Liebe zum Vaterlande beschwerte. Die Füße traten auf seine Seite, und Tobias sank ermattet mitten in den Sand hin und empfand zum ersten Male in seinem Leben das rühmliche Glück, fürs Vaterland zu hungern, und zwar in seiner völligen Stärke empfand er es.

      Glücklicherweise hat die Natur für solche leidende Patrioten den Schlaf erfunden, der sogleich bei der Hand war, um ihm mit seiner Hülfe beizustehn. Tobias schlief so fest und so sanft in dem Sande als keine Braut auf einem seidenen Unterbette.

       Inhaltsverzeichnis

      Wenn ich nicht selbst ein Geschöpf wäre, das zuweilen einem Dichter ähnlich sieht, und also aus einem Selbstgefühle wüßte, wie wenig man ausrichtet, wenn man Dichter von schwerem und leichtem Blute gründlich und bündig widerlegen will, so hätte ich hier die beste Gelegenheit, mit dem Nachtwandler Young einen großen und weitläuftigen Streit über den Schlaf anzufangen. Eines Morgens, als Hypochonder und Gram ihn von einem kurzen, unruhigen Schlummer aufweckten, rief er aus: »Ach du balsamischer Schlaf, gleich der Welt, besuchst du nur diejenigen gern, denen das Glück zulächelt; die Elenden verlassest du; fliegst auf deinen weichen Fittichen schnell


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