Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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Heide, sondern auch bis in die Residenzstadt erstrecken mußte, wo er seine Kriegsdienste sogleich den ersten Tag seiner Ankunft anzutreten gedachte, in welcher Meinung sie ihn unablässig zu bestärken suchte. Die Frau mußte offenbar einen Plan gemacht haben, wie sie noch vor der Ankunft in die Residenzstadt zu ihrer Belohnung zu gelangen hoffte, sonst hätte sie die vierschuhichte Figur des Tobias leicht belehren können, daß sie ihren Weg gewiß umsonst tun würde, wenn ihre Bezahlung von seinem militärischen Glücke abhängen sollte.

      Nach einer halben Stunde Weges kamen die beiden Reisenden an einen Teich. Je näher die Mittagsstunden heranrückten, je mehr ließ es die Sonne empfinden, daß es der heißeste Tag im 17++ Jahre war. Der Himmel schien recht für Tobias' Erfrischung gesorgt zu haben, daß er ihn hier einen so bequemen Badeort finden ließ. Gleichwohl schlug ihm sein Gefühl von Schamhaftigkeit diese Erquickung rund ab. Was war zu tun? Er legte seiner Begleiterin seine sämtlichen Zweifel, alle pro und contra vor Augen, und ehe er noch mit der Hälfte seines Vortrages fertig war, erbot sie sich schon, unterdessen, daß er sich badete, auf dem nahgelegnen adeligen Hofe ein kleines Geschäfte zu besorgen, welches in nichts geringerm bestand, als daß sie sich eine Mittagsmahlzeit zu erbetteln gedachte; ihre Zurückkunft wollte sie ihm durch ein lautes Rufen zu erkennen geben, alsdann ihr erobertes Mittagsbrot mit ihm am Rande des Teiches teilen und endlich den versprochnen Weg in seiner Gesellschaft zurücklegen.

      Sie ging, und Tobias sprang in den Teich, nachdem er vorher sorgfältig seine Kleidung Stück vor Stück auf dem Damme hingelegt hatte. In der Begeistrung über das Wohlsein, das das kühle Wasser allen seinen Nerven zu empfinden gab, schweifte er eine lange Strecke des sehr seichten Teiches hindurch, bis ihm endlich sein Magen sehr einleuchtend bewies, daß seine Reisegefährtin gewiß mit dem Mittagsbrote zurückgekommen sein müßte und daß er ohne Zweifel ihr verabredetes Zeichen wegen des Geräusches in dem Wasser nicht hätte vernehmen können. Er ging also zu dem Orte zurück, wo er sich ausgekleidet hatte, suchte, fand den Ort, doch ohne Kleidung. Seine Augen blieben drei Minuten lang mit dem völligen Ausdrucke des Erstaunens auf den Ort geheftet; aber die Kleidung blieb unsichtbar.

      Verschiedene mögliche Ursachen dieses Phänomens fuhren sogleich durch seinen Kopf, und unter allen schien ihm keine möglicher, als daß die Kleider gestohlen wären. Diese Vermutung verwandelte sich bald in die demonstrativeste Gewißheit, als er seine Reisegefährtin in einer Entfernung von dreißig Schritten mit seinen sämtlichen Kleidungsstücken in den Busch hineingehen sahe und von ihr einen Abschiedsgruß in dem frechsten, spöttischsten Tone und mit der possierlichsten Gebärde, nebst einem ebenso beißenden Glückwunsche zum Flügelmanne, bei ihrem Eintritte in den Busch empfing – alles, was sie ihm für eine doppelte, vollständige Kleidung zurückließ.

      Die Undankbare! – Bei dieser Gelegenheit muß ich meinen Lesern hinterbringen, was vielleicht sonst niemand außer mir weiß, daß in der ganzen rührenden Erzählung dieser Boshaften nicht ein Haarbreit Wahrheit ist; daß sie das Ganze in dem Augenblicke erdichtete, als sie die Tonart wahrgenommen hatte, in welcher Tobias' Herz sein Lied zu spielen pflegte; daß sie eine verschmitzte, höchst liederliche Dirne war, die ihren Eltern entlief, um ungehindert ausschweifen zu können, und endlich von Armut und böser Gesellschaft verleitet, zum Stehlen und Betteln ihre Zuflucht nahm, wovon sie aber das letztere nie anders als in zween Fällen gebrauchte: entweder um Gelegenheit zum Stehlen zu finden oder wenn der Diebstahl wenig einträglich war. Besonders hatte sie die jungen Mannspersonen zu ihrem Fache gemacht, und niemals war ihr ein einziger ihrer Angriffe mißlungen. – O die schwachen Streiter, die Mannspersonen! Wenn sie auch gleich so tapfer sind wie ein vierteljähriger Lieutenant, sind sie doch, sobald es wider einen weiblichen Feind geht – alle Stephan Wäderhatte.

       Inhaltsverzeichnis

      Nichts macht die Kunst zu leben so außerordentlich schwer als die kleinen Widerwärtigkeiten, die jedes Menschenkind bei allen Schritten wie kleine schäkernde Hunde anfallen. Sie bellen nur, fassen den Rockzipfel oder drücken höchstens ihre unschädlichen Zähne, ohne zu verwunden, ins Bein. Indessen, wen sie zum ersten Male anbellen, der erschrickt doch, und jedermann hat, wenn es weiter nichts ist, wenigstens die Beschwerlichkeit davon, daß er ihr Bellen beständig anhören muß.

      Ja, eine schwere Kunst wird dadurch das Leben! Aber meistenteils treibt sie derjenige am besten, der sie niemals gelernt hat, und der ausgelernteste Meister ist – ein Pfuscher.

      Ein jeder lege hier die ausgebreitete Hand auf seine Brust, um zu fühlen, was sein Herz ihm auf die Frage antwortet: welche Partie er wohl in Tobias' Zustande ergriffen hätte? Ich für meinen Teil bekenne mit meiner gewöhnlichen Aufrichtigkeit, daß ich so gewiß nicht weiß, was ich darinnen tun würde, so gewiß der chinesische Kaiser sterben wird, ohne ein Wort von meiner Unentschlossenheit zu erfahren. – Ja, ich weiß es nicht, ob ich schon, um es zu wissen, die staubichten Vorratskammern manches bärtigen Philosophen durchkrochen bin und Tobias in keine einzige nur einen Blick geworfen hat, und doch war er nicht einen Augenblick in Verlegenheit.

      Aber die liebe Natur ist eine viel bessere Mutter als die Philosophie, die eigentlich nur eine Hofmeisterin ist, die zuweilen jener Stelle vertreten muß. Jene lehrt ihre Kinder nichts, als was ihnen nützlich ist, und lehrt sie es kurz und leicht, sobald die Umstände einen Gebrauch davon erfodern; von dieser lernen sie nichts – als einen zierlichen Knicks machen und sehr artige Komplimente herplaudern. Ein Kind, das die rechte Mutter vernachlässigt, aus Eigensinn oder unvermeidlichen Ursachen vernachlässigt – denn auch in mütterlichen Fehlern ist die Natur ganz Frauenzimmer –, ein solches Kind bleibt unter der Aufsicht der Gouvernantin, was es ist oder wird ein zweideutiges Etwas; und wenn die Mutter selbst alle nötige Sorgfalt auf ihr Kind wendet, so ist die Hofmeisterin unnütze, und wenn sie ja etwas dabei tun kann, so ist es nichts weiter, als daß sie die Lektion der Mutter mit dem Kinde noch einmal wiederholt.

      Aber einen Nutzen hat doch die Philosophie für alle, den eigentümlichen Nutzen einer Gouvernantin: Sie lehrt ihre Eleven, über jede Sache ganz allerliebst plaudern. Auch unterscheiden sich ihre Lehrlinge bloß dadurch, daß sie bei den widrigen Fällen des menschlichen Lebens, ohne sie im geringsten besser als andre Leute zu ertragen, mit einem ungemeinen Flusse von Beredsamkeit sich und andern erzählen können, wie sie ertragen werden müssen.

      Dem Weltweisen Sextus, dem Stoiker, zerbrach ein Sklave sein liebstes Gefäß. Dem Sklaven wurde der Rücken wund geprügelt, und der Herr sagte sich mit vieler Gravität: »Jede Sache hat zwo Handhaben: eine, an welcher sie getragen werden kann, und eine andre, an welcher sie nicht getragen werden kann. Macht deine Frau dich zum Hahnrei, so greife die Sache nicht da an, daß du zum Hahnrei geworden bist, sondern auf der andern Seite, daß sie deine Frau ist. – Dein Gefäß ist zerbrochen? – Nun gut, daß sie nicht alle zerbrochen sind! – Ja, ein Weiser wünscht und unternimmt alles mit Bedingung. Daher kann man sagen, daß ihm alles vonstatten geht und nichts wider seinen Wunsch begegnet; denn sobald etwas anders ausschlägt, als er anfangs wollte, so macht er die Sache, wie sie ausschlug, zu seinem Wunsche. – Mein Gefäß ist zerbrochen? Ich will, es soll zerbrochen sein.«

      Würde Albinus, der Schlemmer, der in seinem Leben mehr Austern als Gedanken verdaut hat, etwas anders getan haben als der Philosoph? Er hätte gezürnt, den Sklaven prügeln lassen – aber ohne sich ein Wort hinterdrein zu sagen: Ja, hierinnen lag der Vorzug des Philosophen.

      Wenn Plutarch mitten unter den empfindlichsten Hieben eines schreienden Sklaven spottend mit ihm über die Rechtmäßigkeit der Strafe und seine Kaltblütigkeit disputieren will, was muß man dann sein, um den unwissendsten Sterblichen nicht weit über den wilden Philosophen zu setzen?

      Da Plato wegen eines Versehens seinem Sklaven die Kleider heruntergerissen und schon die Hand aufgehoben hatte, um ihn eigenhändig zu bestrafen, so sah er einen seiner Bekannten kommen. Hurtig hielt er inne und blieb mit aufgehobner Hand stehen. »Wozu das?« fragte der andre. – »Ich bestrafe mich für meinen Jachzorn.« – Das war eine von den zierlichen Grimassen, die ihn seine Gouvernantin gelehrt hatte.

      Ohne jemals unter der Aufsicht dieser Lehrmeisterin gestanden


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